Zur Nachwuchsförderungsdebatte

BFFS Geschäftsstelle
7. Oktober 2011

Zur Nachwuchsförderungsdebatte

Liebe Kollegen!

Durch die laufenden Tarifverhandlungen und derzeitigen Debütfilmdiskussionen sehen wir uns veranlasst, Euch noch einmal die Zusammenhänge der beiden Themen und die Position des BFFS zu erläutern.

Ausgangssituation:

Seit Jahren reden öffentlich-rechtliche Sender von „Nachwuchsförderung“, wenn sie außerhalb der Primetime Debütfilme ausstrahlen, bei denen das Team weit unter Tarif arbeiten musste und bei denen Schauspieler mitspielten, ohne eine angemessene Gage erhalten zu haben. Wohlgemerkt: Als Debütanten gelten dabei nicht die Sender, nicht die Filmfirmen, auch nicht das Team und nicht die Schauspieler, sondern nur die bereits ausgebildeten Jungregisseure, die ihren ersten Langfilm machen.

Manchmal wurde mit Schauspielern Rückstellungsverträge geschlossen, die ihnen im Falle eines finanziellen Erfolges zusicherten, die zurückgestellte, angemessene Gage Stück für Stück nachgezahlt zu bekommen. Aber auch diese eher theoretische als praktische Gagenvertröstung stirbt langsam aus und war tariflich ohnehin nie legitimiert.

Der Reiz für uns Filmschaffende trotz wirtschaftlicher, rechtlicher, politischer und tariflicher Bedenken bei den von Sendern billig erworbenen Debütfilmen mitzumachen, besteht meist darin, dass diese Projekte voller künstlerischer Leidenschaft stecken, die wir in der übrigen Film- und Fernsehlandschaft so herzlich vermissen.

Anlässlich der First Steps Awards im August eröffnete ProSiebenSat.1 cora publikum, solche Low-Budget-Debütfilme sogar zur (werberelevanten) Primetime ausstrahlen zu wollen, und beanspruchte, was für die öffentlich-rechtlichen Sender Recht sei, müsse nun auch für die privaten Sender billig sein: ProSiebenSat.1 sieht die Pflicht und Schuldigkeit der Schauspieler und ihrer Agenten, Primetime-Debütfilme zu unterstützen und dabei auf den größten Teil einer angemessenen Gage zu verzichten. Von der Opferbereitschaft des Teams war dort zwar nicht die Rede, wird aber dennoch von ProSiebenSat.1 eingefordert.

Beim ersten nicht öffentlichen Briefwechsel hat ProSiebenSat.1 dem BFFS angekündigt, an einer „attraktiven Lösung“ zu arbeiten und diese mit „besonders relevanten Schauspielagenturen“ zu diskutieren. An die zuständigen Arbeitnehmervertretungen als Gesprächpartner – z. B. ver.di, BFFS, Die Filmschaffenden mit den dort organisierten Teamleuten – hatte ProSiebenSat.1 dabei nicht gedacht.

Weil diese Treffen bereits ab Ende September terminiert waren, hat sich der BFFS beeilt, einen offenen Brief an ProSiebenSat.1, eine Stellungnahme und eine Pressemeldung zu schreiben, die von den anderen Filmschaffendenverbänden und ver.di mit unterschrieben wurden. Diese Unterstützung, der sich u. a. auch der Verband der Schauspielagenturen, der Castingverband, der Composers Club anschlossen, ist umso bemerkenswerter, da der Abstimmungsprozess unter großem Zeitdruck geschehen musste.

Nun weiß jeder, der in unserer Branche „Lösungen“ diskutiert, worin sich alle zuständigen Arbeitnehmervertretungen einig sind:

  • Der gesetzlich vorgesehene Schutz, als Arbeitnehmer keine Unternehmensrisiken tragen zu müssen, darf nicht für ein paar Süßigkeiten abgekauft werden.
  • Es gibt auch bei Debütfilmen grundsätzlich keine Legitimation, Tarifverträge zu brechen. „Lösungen“, die davon ausgehen, zunächst keine Tarifgagen (und keine faire Schauspielergagen) zahlen zu müssen und die Filmschaffenden auf spätere Erlöse zu vertrösten, widersprechen dem gültigen Tarifvertrag und sind inakzeptabel – insbesondere wenn dahinter ausgewachsene Sender stecken.

Inzwischen hat ProSiebenSat.1 gegenüber einigen Schauspielagenten ein Entgegenkommen in Aussicht gestellt, das der BFFS und die Unterstützer des offenen Briefs aber für eine Mogelpackung halten:

Schauspieler und Teamleute sollen demnach zwar keine Tarif- bzw. keine faire Gage bekommen, aber bei Wiederholungen und Auslandsverkäufen aus 50 % der Erlöse nach vergütet werden. ProSiebenSat.1 überbietet damit zwar die übliche Gagenpraxis der öffentlich-rechtlichen Debütfilmproduktionen, unterläuft aber wie diese den gültigen Tarifvertrag.

Dieser Verlockung und dem künstlerischen Reiz der Debütprojekte mögen einige Schauspieler und ihre Agenturen nicht widerstehen können. Wer sollte ihnen das in diesen harten Zeiten übel nehmen?

Aber die Interessensvertretung der Schauspieler selber, der BFFS und sein Vorstand, der zurzeit in Tarifverhandlungen eine „Anfängergage“ für Schauspieler durchsetzen will, kann keine „Lösung“ gutheißen, die gültige Tarifverträge unterläuft.

Außerdem darf der BFFS nicht den Zusammenhalt mit den Teamkollegen gefährden. Schließlich brauchen wir den Rückhalt des Teams – gerade weil wir unsere tariflichen Ziele auch mit Maßnahmen am Set durchsetzen müssen.

Der BFFS bleibt dialogbereit, aber er darf keine falschen Kompromisse eingehen. Es gilt, die wenigen bestehenden Regeln zu schützen und sie nicht durch überbordende Ausnahmen ad absurdum zu führen.

Grundsätzliche BFFS-Positionen:

Keine Kostenübernahme von Unternehmerpflichten! Im Sinne des Gesetzes ist Zukunftssicherung, wie Innovation, Nachwuchsförderung, Experimentier- und Risikobereitschaft, die ureigenste Pflicht und Schuldigkeit eines Unternehmens und darf von ihm nicht den Arbeitnehmern in Rechnung gestellt werden. Dieser Grundsatz – auch wenn er in unserer Branche oft gebrochen wird – darf nicht zur Disposition stehen.

Kein Recht im Unrecht! Ein Sender kann seine unlautere Praxis, die Nachwuchskosten durch untertarifliche Bezahlung der Teamleute und Dumping der Schauspielergagen zu refinanzieren, nicht mit dem Verweis auf die ähnlich unlautere Praxis anderer Sender entschuldigen. Es gibt kein Recht im Unrecht – auch nicht, wenn dieses Unrecht schon seit Jahren geschieht!

Keine falschen Kompromisse! Das von ProSiebenSat.1 aktuell in Aussicht gestellte Entgegenkommen, bei Wiederholungen und Auslandsverkäufen ein bisschen nach zu vergüten, klingt verlockend, ändert aber nichts an den elementaren Einwänden: 

  • Der gesetzlich vorgesehene Schutz, als Arbeitnehmer keine Unternehmensrisiken tragen zu müssen, wird aufgeweicht.
  • Der gültige Tarifvertrag wird gebrochen, weil Teamleute untertariflich vergütet werden. Und das tarifliche Ziel einer Gagenuntergrenze für Schauspieler wird durch die Vorfestlegung auf eine unfaire Gagenhöhe unterhalb der BFFS-Forderung vereitelt.

Der BFFS kann als Tarifpartei der Schauspieler diese Prinzipien nicht aufgeben, sonst würde er sich für die laufenden Tarifverhandlungen disqualifizieren. 

Aber Dialogbereitschaft! Der BFFS unterstellt allen Filmschaffenden, auch den Entscheidungsträgern bei den Filmfirmen und Sendern, in bester Absicht den Nachwuchs fördern zu wollen. Das sollte die Grundlage sein, mit allen Beteiligten ins Gespräch zu kommen. Der BFFS muss allerdings mit aller gebotenen Strenge darauf achten, dass Förderung nicht falsch „eingepflanzt“ wird. Sonst wird nicht Nachwuchs, sondern arbeits- und tarifrechtlicher Wildwuchs gefördert.

 Der Vorstand des BFFS

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