Urheberrecht versus Nutzerrecht

Heinrich Schafmeister
30. März 2012

Eine Standortbestimmung des BFFS

Es herrscht Krieg. Die Metaphern werden aufgerüstet, und die Gräben zwischen den Kriegern für das „Urheberrecht“ und den Kombattanten für das „Nutzungsrecht“ werden tiefer. Die Gegner eines Gesetzes zur stärkeren Kontrolle des Netzes organisieren sich sehr effektiv und gehen mit einer Entrüstung auf die Straße, als stünde tatsächlich die Meinungsfreiheit auf dem Spiel. Die Rechteverwerter dagegen prägen martialische Begriffe wie „Raubkopierer“ und schalten Spots, in denen diese mit Schwerverbrechern gleichgesetzt werden.

In dieser aufgeheizten Atmosphäre wird auch der BFFS als einer der wichtigsten Vertreter der Film- und Fernsehbranche nach seinem Standpunkt gefragt. Es handelt sich dabei allerdings selten um einfache Fragen, sondern eher um eingeforderte Solidarität oder Gegnerschaft, vorgebracht im rechthaberischen Ton des Kämpfers für die „gerechte Sache“. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Die Kriegsmetaphern sind zur Normalität geworden.

Darum hier einige klärende Worte.

Das sogenannte „geistige Eigentum“ ist deswegen ein so heikler Begriff, weil er sich auf etwas bezieht, das man nicht sehen oder anfassen kann, aber deutlich wirkmächtiger ist als, sagen wir, ein Tisch, nämlich eine Idee. Für die Nutzer haben diese Ideen einen Wert, nämlich Unterhaltungswert, Anregungswert, Zerstreuungswert, Bildungswert, Inspirationswert.

Für die Urheber haben sie ebenfalls einen Wert: Den Tauschwert. Von diesem Wert leben sie, so wie der Tischler vom Tauschwert des Tisches lebt, den er herstellt. Wenn sie für diesen Wert nicht mehr vergütet werden, weil die Nutzer nicht mehr bereit sind, den angemessenen Tauschwert anzuerkennen und zu entrichten, müssen die Urheber einen anderen Wert herstellen, um leben zu können, zum Beispiel einen Tisch. Dann können sie allerdings keine Ideen mehr produzieren.

Nun ist es in dem hochkomplexen Produktionsprozess „geistigen Eigentums“ natürlich nicht so einfach wie bei der Herstellung eines Tisches. An einem Produkt wie dem Film sind viele Urheber beteiligt: Der Autor, der Regisseur, der Komponist, um nur einige zu nennen, und noch mehr Leistungsschutzberechtigte wie Schauspieler und Produzenten. Der Tauschwert muss also verteilt werden. Und Menschen wären nicht Menschen, wenn dieser Verteilungsprozess freiwillig in fairer Weise stattfinden würde. Darüber, welche Leistung an dem Gesamtkunstwerk Film wie viel wert ist, ist schon immer gestritten worden und wird immer weiter gestritten werden. Das ist normal und in der gegenständlichen Warenwelt nicht anders.

Aber seit es möglich geworden ist, dieses immaterielle „geistige Eigentum“ nahezu kostenlos zu kopieren und grenzenlos und umsonst zu nutzen, erscheint es vielen Menschen nicht mehr nachvollziehbar, dass der von ihnen genutzte Unterhaltungswert viel Arbeit und Geld gekostet hat. Die in der gegenständlichen Warenwelt nicht angefochtene Notwendigkeit des Auftraggebers eines solchen Werkes, Profit zu machen, um davon leben zu können, die Urheber und Leistungsschutzberechtigten angemessen zu vergüten und weitere Werke finanzieren zu können, wird plötzlich nicht mehr verstanden. Der vollkommen normale Streit über den Wert der einzelnen Urheberleistungen wird als Indiz dafür verstanden, dass der einzelne Künstler und Kreative letztlich nichts vom Urheberrecht hat, sondern nur die Verwerter, insbesondere die großen Produktionsgesellschaften.

Der wahre Kern dieser Argumentation besteht in dem, was wir seit Jahren schmerzhaft erleben, dem Gagendumping und der schleichenden Abschaffung jeder Folgevergütung. Es ist richtig: Die Kreativen werden nicht angemessen für ihre Leistungen vergütet. Dafür, dass sich das ändert, gibt es die Interessenvertreter der Kreativen wie den BFFS.

Der Denkfehler allerdings besteht in der Schlussfolgerung, dass es deshalb nicht nötig sei, für den genutzten Unterhaltungswert den angemessenen Tauschwert zu entrichten, weil er bei den einzelnen Urhebern und ausübenden Künstlern nicht ankommt. Denn so lange er noch entrichtet wird, kann man das durch Verhandlungen und Druck ändern. Wenn er überhaupt nicht mehr entrichtet wird, kann er aber auch nicht mehr verteilt werden, Verhandlungen hin oder her.

Nicht nur das: Wenn er nicht mehr entrichtet wird, kann dieser Wert irgendwann nicht mehr geschaffen werden oder nur noch in sehr fragwürdiger Qualität. Wenn man dem Tischler für seinen Tisch nichts mehr bezahlt, muss er irgendwann seine Werkstatt verkaufen und seine Tische mit dem Taschenmesser schnitzen. Das mag im Einzelfall zu interessanten Ergebnissen führen, in der Konsequenz wird es aber deutlich weniger, dafür aber schiefe und krumme Tische geben.

Nun wird von Seiten der Nutzer-Aktivisten natürlich offiziell nicht behauptet, dass Ideenwerke umsonst zu haben sein sollten, sondern dass sie jederzeit für jeden zu haben sein sollten und zwar in der Form, die dem Nutzer und nicht dem Hersteller am Besten gefällt. Dieses Argument ist ebenfalls nicht völlig von der Hand zu weisen. Warum Werke, die verfügbar sind, nur in bestimmten Territorien genutzt werden dürfen und in anderen nicht, ist nicht zu verstehen, solange der angemessene Tauschwert entrichtet wird. Auch das Argument, dass durch diese Verfügbarkeit neue Bedürfnisse geweckt werden, die für neue Käufe sorgen, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Es gibt sicher Menschen, die durch die einfache Verfügbarkeit Werke bei i-tunes downloaden, die sie sonst nicht gekauft hätten. Und auch das Argument der Kreativität, der keine Grenzen gesetzt werden sollten, weil Kunst häufig das kreative Verarbeiten anderer Kunst bedeutet, ist in sich nicht falsch.

Es ist aber ebenso wahr, dass sehr, sehr viele Menschen es bevorzugen, sich die Musik und die Filme umsonst herunterzuladen, statt dafür zu bezahlen, manche mit schlechtem Gewissen, manche aus Sport und erschreckend viele, weil sie glauben, das Recht dazu zu haben. Als es möglich wurde, Musik kostenlos auf Tauschbörsen herunterzuladen, brach der Musikmarkt überall auf der Welt dramatisch ein, nirgendwo aber so stark wie in Deutschland, wo ein allseits bekannter Elektronikmarkt mit dem Werbespruch "Geiz ist geil" punkten kann.

Und das ist das wirklich Alarmierende: Wenn der Tauschwert von den Nutzern nicht mehr anerkannt wird, wird das Werk nicht mehr als Kunstwerk geachtet, das eine eigene Identität und Aura besitzt und die Inspiration, die es gibt, nicht mehr als Wert verstanden. Natürlich baut Kunst auf andere Kunst auf, selbstverständlich dürfen Künstler sich von den Werken anderer Künstler beeinflussen lassen und sie interpretierend weiterverarbeiten. Aber wenn dabei die Achtung vor der Leistung der Urheber verloren geht, verlieren wir weit mehr als einen der wichtigsten Wirtschaftszweige dieses Landes, dessen Wohlstand nicht auf seinem Öl- sondern seinem Ideenreichtum beruht.

Wenn das Kunstwerk nicht mehr geachtet wird, verlieren wir unsere Kultur und müssen in einer Gesellschaft leben, die von allen Geistern verlassen ist.

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