Gesetz gegen Tarifeinheit, Grundgesetz, Gewerkschaften … gegen uns!

Heinrich Schafmeister
5. Dezember 2014
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Die große Koalition hat ihr Versprechen wahr gemacht und einen ersten Referentenentwurf zum Tarifeinheitsgesetz erarbeitet. Sie will Tarifeinheit in Betrieben gesetzlich erzwingen, Gewerkschaftskonkurrenz gesetzlich regeln und damit in der Praxis Streiks von Spartengewerkschaften verbieten. Worum geht’s? Und was hat das mit uns Schauspielerinnen und Schauspielern zu tun?

Die breite Öffentlichkeit empört sich über die aktuellen Streiks im Bahn- und Flugverkehr und spendet der Regierungsabsicht, sie zu verbieten, reichlich Applaus. Auch der Bund der Arbeitgeber klatscht in die Hände, selbst manche DGBler freuen sich, alle jubeln – außer einigen scheinbar abgehobenen Verfassungsrechtlern, scheinbar unnützen Berufsgewerkschaften, ach ja und außer ver.di.

Und das ist der Plan: Nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft, die eine Mehrheit unter der Arbeitnehmerschaft im Betrieb hat, soll in Zukunft ausschlaggebend sein. Die anderen, die Minderheitsgewerkschaften sollen sich fügen, sollen ihre Tarifverträge von denen der Mehrheitsgewerkschaften abschreiben dürfen, sollen jedenfalls nicht – was das ureigenste Merkmal einer Gewerkschaft und im Grundgesetz garantiert ist – streiken dürfen. Zwar steht ein Streikverbot nicht direkt im Referentenentwurf, aber die Rechtsnormen sind dort so trickreich konstruiert, dass Arbeitsgerichte die Streiks von Minderheitsgewerkschaften in Zukunft wohl als unverhältnismäßig verbieten müssten. Und wenn den um das Streikrecht kastrierten Spartengewerkschaften erst die Leute weglaufen, dann die Lichter ausgehen würden und nur noch eine Gewerkschaft am Platz wäre, hätte die Regierung ihr eigentliches Ziel erreicht.

Ein Betrieb, ein Tarifvertrag, eine Gewerkschaft.

Klingt doch scheinbar vernünftig, oder? Der Schein trügt! Nehmen wir – weil die Politik zurzeit nur noch „Bahnhof“ versteht – die Deutsche Bahn. Sie ist kein einheitlicher Betrieb. Das ehemalige Staatsunternehmen, das privatisiert wurde und damals unbedingt an die Börse sollte, ist in Wahrheit in über 500 Betriebe zerpflückt.

Nicht die Einheit des Betriebs bringt Profite und liegt im Interesse der Arbeitgeber. „Teile und herrsche“ ist ihre Devise. Sie dürfen nach ihrem Gusto die Einheit ihrer Betriebe zerstückeln, dürfen gleiche Arbeit uneinheitlich entlohnen, dürfen wesentliche Arbeitsstränge an (vogel-)freie Arbeitnehmer außerhalb der Betriebseinheit delegieren usw. Warum dringt der Gesetzgeber hier nicht auf mehr Einheit? Warum will er jetzt ausgerechnet die abhängig Beschäftigten, die Opfer dieser Zerrissenheit zwingen, die Einheit hochzuhalten? Warum will er ausgerechnet sie in nur eine Mehrheitsgewerkschaft sperren? Damit, wie er sagt, die „im allgemeinen Interesse“ liegende „Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens“ nicht in Gefahr gerät? Das ist absolut unglaubwürdig! Das ist scheinheilig!

Das passt alles nicht zusammen!

Das passt nicht zur Koalitionsfreiheit, die in Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz garantiert wird. Das passt nicht zum streikarmen Deutschland, in dem die im allgemeinen Interesse liegende Ordnung nie jemals gefährdet war und sein wird. Das passt nicht zur freiwilligen Tarifeinheit, wie sie die meisten Branchen- und Berufsgewerkschaften leben. Und das passt letztlich nicht zur Betriebswirklichkeit, wie sie sich z. B. in unserer Bühnen-, Film- und Fernsehlandschaft darstellt. Denn von welcher Mehrheit reden wir?

Mehrheit im Betrieb? In welcher Betriebsphase?

Zählt die Mehrheit der Angestellten eines Filmbetriebs in der Akquise- und Entwicklungsphase mit allenfalls zwei festangestellten Sekretariatskräften ohne Tarif- und wahrscheinlich ohne Gewerkschaftsbindung? Oder geht es um die Mehrheit desselben Filmbetriebs in der zeitlich begrenzten Drehphase? Wird gerade ein Film produziert mit mehr (potentiell ver.di-organisierten) Teamleuten? Oder soll eine Serie hergestellt werden mit mehr (potentiell BFFS-organisierten) Schauspielerinnen und Schauspielern? Die Mehrheit gerät zum Lottospiel!

Und was kann der Filmproduzent noch an der Mehrheit im Betrieb drehen? Mit tarifungebundenen Tochter- oder gar Fremdfirmen, die bestimmte Berufsgruppen binden? Mit Verpflichtung von Selbständigen (oder Scheinselbständigen)? Die Gewerkschaften könnten nur passiv zusehen, wie sie gegeneinander ausgespielt werden. Sie sind die einzig Gekniffenen – und der arme Notar, der demnächst die Mehrheit ermitteln müsste!

Soll Abschreiben nun erlaubt werden?

Abschreiben verzerrt nicht nur Klausurergebnisse. Mit der geplanten sogenannten Nachzeichnungsregel gibt der Gesetzgeber der Arbeitgeberseite ein weiteres Instrument in die Hand, sich die Gewerkschaftsseite nach seinem Geschmack zu backen und zu schwächen. Bisher haben im Sinne der Koalitionsfreiheit nur organisationstarke, eben „sozial mächtige“ Gewerkschaften eine Chance, Tarifverträge zu verhandeln und – wenn nötig kämpferisch – durchzusetzen. Nun könnte die Arbeitgeberseite zunächst sozial ohnmächtigen Splittergruppen irgendwelche harmlose Tarifvereinbarungen zugestehen. In einem weiteren Schritt würden die wirklich brisanten Punkte einfach mithilfe der jetzt geplanten Nachzeichnungsregel vom Tarifvertrag der echten Gewerkschaften abgeschrieben. Schwuppdiwupp entstünden Pseudo-Gewerkschaften, die mit den Errungenschaften der echten Gewerkschaften hausieren gingen und ihnen Mitglieder abwerben könnten.

Das Tarifeinheitsgesetz bedroht unsere Tarifeinheit!

Glücklicherweise pflegen die Branchengewerkschaft ver.di und der BFFS als Berufsgewerkschaft schon seit Jahren eine vertrauensvolle und erfolgreiche Tarifeinheit. Unser Schauspieltarifvertrag und der Kinoerlösbeteiligungstarifvertrag sind die Ergebnisse dieser gedeihlichen Zusammenarbeit. In letzter Zeit ist auch der Dachverband „Die Filmschaffenden“ näher an dieses Bündnis herangerückt und hat z. B. geholfen, endlich die schmerzliche Frage zu lösen, wie die Kinoerlösbeteiligungen unter den Kreativen aufgeteilt werden sollen.

Aber all das ist bedroht. Unsere derzeitige Tarifeinheit könnte durch die gesetzlich diktierte Tarifeinheit destabilisiert werden. Schon im Vorfeld provoziert sie Hysterie unter den Mitgliedern der Gewerkschaften, sich gegen die jeweils andere zu wappnen und in ihren Kreisen zu wildern. Das ist zurzeit ja auch bei der Bahn zu beobachten.

Gerade die schwerwiegenden handwerklichen Mängel des Gesetzentwurfs, das ungeeignete Kriterium Mehrheit im Betrieb und die mächtigkeitsverzerrende Nachzeichnungsregelung, könnten bei uns alles auf den Kopf stellen. Das Mehrheitslottospiel wird für Rechtsunsicherheit unter unseren Gewerkschaften sorgen, wer im Zweifel das Sagen hätte. Gleichzeitig ist die Nachzeichnungsregel geeignet, die Aufsplitterung der Bühnen-, Film- und Fernsehschaffenden in immer kleinere Grüppchen zu fördern. Das Nachsehen haben dann die sozial mächtigen Gewerkschaften und letztlich wir alle, weil wir ohne starkes gewerkschaftliches Engagement und ohne breite Bündnisse für uns nichts durchsetzen können.

Für uns ein Muss: Schulterschluss!

Wie viele andere Gewerkschaften auch warnen BFFS, ver.di und GDBA die Regierung vor dem Irrweg der gesetzlichen Tarifeinheit. Insbesondere im kulturellen Bereich – das sollten die Politiker wissen, bevor sie den Tarifeinheitszug auf das falsche Gleis setzen – kann das unnötige Gesetz gehörige Kollateralschäden anrichten.

Darüber hinaus ist der BFFS – Tarifeinheitsgesetz hin oder her – fest entschlossen, die Tarifeinheit mit ver.di zu stärken, die Bündnisse mit anderen Gewerkschaften und Verbänden auszubauen und den Zusammenhalt der Bühnen- Film- und Fernsehschaffenden zu fördern. Schließlich wollen wir Verantwortung tragen für unsere Zukunft, wenn die Politiker, die nur „Bahnhof“ verstehen wollen, längst abgewählt sind.