Rahmenfrist- und Frustverlängerung

Heinrich Schafmeister
6. September 2018

Besuch beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Kompromiss im Koalitionsausschuss

Der Koalitionsausschuss plant, die Rahmenfrist, in der die Anwartschaftszeit für den Arbeitslosengeld-Anspruch gesammelt wird, von 2 auf 2½ Jahre zu verlängern. Die Anspruchsregelungen für uns kurz befristet Beschäftigte werden zwar nicht wie befürchtet abgeschafft, aber auch nicht verbessert, sondern sogar bis Ende 2022 verlängert.

Über die Vereinbarungen im Koalitionsausschuss war zunächst nur zu erfahren, dass die Rahmenfrist auf 2½ Jahren verlängert werden sollte. Nach all den Erfahrungen der letzten Jahre mussten wir befürchten, für diesen Kompromiss, der völlig an uns vorbei geht, würden die Regelungen für uns kurz befristet Beschäftigte geopfert. So schlimm kommt es nun doch nicht. Aber diese Regelungen werden auch nicht verbessert, bleiben also wirkungslos.

Mit der bloßen Verlängerung der Rahmenfrist ist uns nicht geholfen. Das zeigt die Gegenüberstellung.

Bisherige 2-jährige Rahmenfrist

(1) Wer in der bisherigen Rahmenfrist 360 sozialversicherte Tage und mehr (mit AV-Beiträgen) sammelte – auf 1 Jahr runtergerechnet waren das im Schnitt 180 sozialversicherte Tage und mehr –, erlangte einen Anspruch auf Arbeitslosengeld 1.

(2) Wer in der bisherigen Rahmenfrist zwischen 180 und 359 sozialversicherte Tage (mit AV-Beiträge) sammelte, – auf 1 Jahr runtergerechnet waren das im Schnitt zwischen 90 und 179 sozialversicherte Tage –, erlangte nur dann einen Anspruch auf Arbeitslosengeld 1, wenn

  1. die gesammelten sozialversicherte Tage überwiegend aus Beschäftigungen kamen, die nicht länger als 10 Wochen befristet waren und
  2. das in den letzten zwölf Monaten vor der Beschäftigungslosigkeit erzielte Arbeitsentgelt die Bezugsgröße von zurzeit 36.540 € nicht überstieg.

Neue 2½-jährige Rahmenfrist

(1) Wer in der neuen Rahmenfrist 360 sozialversicherte Tage und mehr (mit AV-Beiträgen) sammelt – auf 1 Jahr runtergerechnet wären das im Schnitt 144 sozialversicherte Tage und mehr –, erlangt einen Anspruch auf Arbeitslosengeld 1.

(2) Wer in der neuen Rahmenfrist zwischen 180 und 359 sozialversicherte Tage (mit AV-Beiträge) sammelte, – auf 1 Jahr runtergerechnet wären das im Schnitt zwischen 72 und 143 sozialversicherte Tage –, erlangt nur dann einen Anspruch auf Arbeitslosengeld 1, wenn die gleichen zusätzlichen 10-Wochen- und Arbeitsentgelt-Bedingungen erfüllt sind wie bisher.

Fazit

144 Beschäftigungstage im Jahr, das schaffen von uns die allerwenigsten. Auch die anderen Filmschaffenden nicht.

Die in der Regelung (2) für kurz befristet Beschäftigte erforderlichen 72 Beschäftigungstage im Jahr wären für Filmschaffende wie für uns durchaus denkbar, vor allem, wenn wir auch Theater spielen. Aber dann werden wohl unsere Engagements meist länger als 10 Wochen dauern bzw. wir werden dabei jährlich mehr als 36.540 € verdienen und sind deswegen draußen.

Kurzum: Mit dem Kompromiss des Koalitionsbeschlusses zur Rahmenfrist haben wir (noch) nichts verloren, aber auch gar nichts gewonnen. Die Rahmenfrist und unser Frust über die Benachteiligung beim Arbeitslosengeld-1-Anspruch werden verlängert.

BFFS und ver.di besuchen das Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Hubertus Heil (SPD) kennt eigentlich die Problematik. Unsere BFFS-Vertreter haben sich oft genug mit ihm in den vergangenen Jahren getroffen. Seit Mitte März ist er der zuständige Bundesminister für Arbeit und Soziales. Am 5. September waren BFFS und ver.di wieder im Ministerium geladen. Die Botschaft der Gewerkschaften war klar:

Wir Schauspielerinnen, Schauspieler und die anderen Filmschaffenden sind immer noch benachteiligt. Die Ungerechtigkeit besteht darin, dass wir ständig in eine Sozialversicherung einzahlen, die andere in Anspruch nehmen können, wir aber nie, weil wir als permanent kurz befristet Beschäftigte so gut wie nie die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen können. Wir brauchen dringend eine Lösung. Diese Lösung wird von der Koalition seit Jahren versprochen – zuletzt wieder im Koalitionsvertrag. Die Regierung darf über die großen Kompromisse nicht die relativ kleine Schar der kurz befristet beschäftigten Kulturschaffenden vergessen.

Die Regelungen (2) für kurz befristet Beschäftigte beinhalten Hürden, an denen die meisten von uns scheitern. Entweder wir verdienen „zu viel“, nämlich über der Bezugsgröße von zurzeit 36.540 € im Jahr. Oder unsere Engagements sind meistens „zu lang“, nämlich über 10 Wochen. Oder eben beides.

Trotzdem, wenn diese Hürden „sachgerecht“ an die „Erwerbsbiografie“ der kurz befristet beschäftigten Kulturschaffenden angepasst würden – so wie es im Koalitionsvertrag explizit versprochen wurde und BFFS, ver.di und andere Verbände es schon ewig fordern –, hätten deutlich mehr von uns eine Chance, Arbeitslosengeld 1 zu beanspruchen. Also wenn bei der Regelung (2) für kurz befristet Beschäftigte …

  1. die Wochenanzahl von 10 auf mindestens 14 erhöht und
  2. die Verdienstgrenze entfiele oder wenigstens auf die jährliche Beitragsbemessungsgrenze der Arbeitslosenversicherung von zurzeit 78.000 € angehoben würde

hätten viele von uns, vor allem die Kolleginnen und Kollegen von der Bühne, eine faire Chance, im Bedarfsfall Arbeitslosengeld 1 zu beziehen. Die Regelungen für kurz befristet Beschäftigte würden endlich die gewünschte Wirkung entfalten. Warum bewegt die Koalition sich nicht? Diese kleinen Korrekturen wären für sie – gemessen an anderen Problemen, die sie lösen muss – ein Klacks. Stattdessen treibt die Koalition mit ihrer Ignoranz viele von uns in die Scheinselbständigkeit und in die Politikverdrossenheit.

Aber wie auch immer: BFFS und ver.di werden dran bleiben. Frust hilft ja nicht weiter – die Verlängerung der Rahmenfrist aber auch nicht.