Was jetzt? Einige "Pfadfinder"-Gedanken für unseren neuen Bundesverband BFFS

BFFS Geschäftsstelle
28. August 2006

1)   Wer sind wir, und wo wollen wir hin?

a)   Endlich haben wir unseren Bundesverband für Film– und Fernsehschauspieler gegründet, und wir haben ihn noch lange nicht in trockenen Tüchern, da quält man – quälen wir uns mit der Frage: „Was will der Verband denn erreichen? Was bringt der uns? Wofür zahle ich meinen Beitrag?“

Klar, wir kennen alle das Leid des Einzelkämpfers, haben oft und immer öfter erleben müssen, wie wir im Dschungel deutscher R egeln zwischen allen Stühlen landen, und in uns reifte irgend so ein Gefühl: „Wir gründen einen Verband, mit dem werden wir endlich ernst genommen und der vertritt unsere Interessen!“

Ja, aber wie gesagt, wie sehen die aus? Wo wollen wir hin, und wer sind eigentlich „Wir“ ?

b)   Sind „Wir“ grundsätzlich anders als die Anderen, als die Nichtschauspieler, und wollen wir folgerichtig nicht mit ihnen in einen Topf geworfen werden? Wollen wir unseren Platz im Elfenbeinturm bestätigt wissen und wünschen wir uns Sonderbehandlung? Haben wir im Ernst einen Verband gegründet, um mit seiner Hilfe in die Gesellschaft hineinzurufen: „Wir sind nicht wie ihr Normalos und wollen Euer Schicksal nicht teilen, denn wir sind etwas ganz Besonders“ – was für die sicher wie „Absonderes“ klingen dür fte? Unser Problem ist doch jetzt schon, als Exoten dazustehen, um die man sich nicht kümmern muss. Auch genießen wir keinerlei Artenschutz. Sind wir weiterhin eitel bemüht, uns von den Anderen abzusondern, dürfen wir nicht deren Hilfe erwarten, wenn es uns irgendwo weh tut. Da hilft auch kein Verband.

c)   Oder wollen wir nach innen und außen endlich klarstellen:

„Gut und schön, wir haben einen außergewöhnlichen Beruf.
Aber er ist nicht außergewöhnlicher als viele, viele
außergewöhnliche Berufe von Euch Nichtschauspielern:
Bauer, Boxer, Binnenschiffer,
Soldat, Sanni, Sonderlehrer,
Pilot, Priester, Politesse
Unser Beruf ist genauso notwendig und wichtig wie Eure
Berufe, und überhaupt, er ist ein Beruf, kein Job. Wir fühlen
uns berufen, zu schauspielen, so wie Ihr Euch berufen fühlt,
zu operieren, zu forschen, zu richten, zu regieren.
Wir sind keine Paradiesvögel, wir sind genauso verrückt wie
ihr Normalen und haben genauso normale Bedürfnisse wie
Ihr Verrückten.
Wir arbeiten hart, schwitzen, riskieren viel, müssen fleißig
sein, kreativ sein und immer dazulernen – wie Ihr.
Wir haben Frau und Mann und Kinder – wie Ihr.
Wir werden arm und reich – wie Ihr.
Wir können – wie Ihr – manchmal vor Kraft kaum laufen und
werden krank, arbeitslos und alt – wie Ihr. Ja, wir träumen
viel, aber wir schlafen genauso schlecht – wie Ihr.

Im Grunde sind wir wie Ihr, darum können wir uns, wenn wir Euch verkörpern, auch so gut in Euch hineinversetzen. Aber bitte versetzt Ihr Euch auch in unsere Situation und nehmt Rücksicht auf unsere speziellen Berufsbedingungen. Weil wir bereit sind – wie in der Vergangenheit auch in der Zukunft – unseren Beitrag für unsere Gemeinschaft zu leisten, verlangen wir: Gebt Euch Mühe und gestaltet die Regeln unserer Gesellschaft endlich so, dass nicht ausgerechnet unsere Berufsgruppe immer durch den Rost fällt.“

d)   Wir sind nicht so, wie wir im Rampenlicht aussehen wollen, und nicht die, für die wir uns im Lampenfieber gerne halten. Der Verband sollte helfen, unser manchmal abgehobenes Selbstverständnis wieder zu erden. Aber wir haben bestimmt nicht verdient, diese seltsame Suppe aus Missgunst, Missverständnis und Missachtung, in die wir Schauspieler gerade in Deutschland getunkt werden, auch noch auslöffeln zu müssen. Interessant wäre mal zu untersuchen, wieso wir gerade hierzulande ein solch verzerrtes Ansehen genießen. Wahrscheinlich ist unsere teilweise egomanische Selbstdarstellung nicht unschuldig daran. Wie dem auch sei, Aufgabe unseres Verbandes sollte sein, unser Bild in der Öffentlichkeit zu korrigieren, uns auf Augenhöhe mit anderen gesellschaftlichen Kräften zu bringen und zu signalisieren:

„Wir gehören auch dazu und kämpfen für einen gerechten Platz an Eurer Seite!“

2)   Deutsch ist Ordnung, ist Sozialversicherung!

a)   „Was wir Deutsche machen, machen wir ordentlich.“ Dieser Anspruch ist zutiefst deutsch und zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Geschichte, durch unser Leben. Machen wir Deutsche eine Revolution und wollen einen Bahnhof stürmen, lösen wir ordentlich eine Bahnsteigkarte, wie schon Lenin zu spotten wusste. Eine verbotene Montagsdemo melden wir trotzdem ordentlich an. Haben wir Probleme, fordern wir Verordnungen, Gesetze oder ordentliche Grundgesetzänderungen, haben wir keine – auch. So verordnen wir uns z.B. ohne Not eine Rechtschreibreform, die prompt ordentlich daneben geht. Neulich hörte ich in einer Talkshow eine deutsche Seele sagen: „Irgendwo sehe ich ja ein, dass der Staat uns kleinen Leute immer mehr aufbürdet, aber wenn, dann bitte ordentlich!“

Dieses urdeutsche Ordnungs-Gen liefert aber nicht nur reichlich Stoff für unsere Comedies, es verführt uns auch zu ordnungspolitischen Ideen, für die uns die Welt beneidet.

b)   Eine davon, vielleicht die wichtigste, hatte Bismarck 10 Jahre nach der von ihm beförderten deutschen Reichsgründung 1871. Mit seiner Idee der gesetzlichen Sozialversicherung wollte er zum Einen die sozialen Probleme der Industrialisierung entschärfen, zum Anderen seinen sozial engagierten Gegnern, der Kirche und der Arbeiterbewegung, den Wind aus den Segeln nehmen und sie schwächen. Das eine ist ihm ziemlich gelungen… Im ersten Entwurf seines Gesetzes für Sozialversicherung 1881 heißt es: „…dass der Staat sich in höherem Maße als bisher seiner hilfsbedürftigen Mitglieder annehme, ist nicht bloß eine Pflicht der Humanität und des Christentums, von welchem die staatlichen Einrichtungen durchdrungen sein sollen, sondern auch eine Aufgabe staatserhaltender Politik, welche das Ziel zu verfolgen hat, auch in den besitzlosen Klassen der Bevölkerung, welche zugleich die zahlreichsten und am wenigsten unterrichteten sind, die Anschauung zu pflegen, dass der Staat nicht bloß eine notwendige, sondern auch eine wohltätige Einrichtung sei“.

c)   Die Idee der Sozialversicherung ist doch folgende: Wir bewahren den sozialen Frieden, in dem wir uns verpflichten, soziale Risiken, die den Einzelnen überfordern würden, gemeinschaftlich aufzufangen. Wir können uns im Leben nicht gegen alles absichern, aber wir können manche Härten abschwächen, wenn wir für einander einstehen. Um den Einzelnen sozial zu schützen, gründen wir eine Versicherung, die von den drei Nutznießern des sozialen Friedens bezahlt werden soll: Dem Arbeitnehmer, dem Arbeitgeber, dem Staat.

Diese gegenseitige Hilfe staatlich zu ordnen, ist typisch deutsch und war bisher, allen Anfeindungen und Unkenrufen zum Trotz, äußerst erfolgreich, weltweit vorbildlich, wahrlich staatserhaltend.

d) Definition:

„Die Sozialversicherung ist ein vom Staat geschaffenes, auf Versicherungspflicht beruhendes Vorsorgesystem. Es hat die Aufgabe, den Eintritt bestimmter Risiken zu verhüten und bei Eintritt solcher Risiken unplanmäße Ausgaben und Verluste an Arbeitseinkommen unter Beachtung sozialer Ziele ganz oder teilweise auszugleichen.“ (Staatslexikon, Recht -Wir tschaft -Gesellschaft, Hrsg.: Görres-Gesellschaft, Freiburg -Basel -Wien 1989) Oder:

“Die Sozialversicherung ist als wichtigster Teil der sozialen Sicherung eine auf gesetzlicher Grundlage beruhende öffentliche Pflichtversicherung, vor allem für Arbeiter und Angestellte (nicht für Beamte). Sie gliedert sich in die Versicherungszweige der Rentenversicherung, Krankenversicherung, Unfallversicherung und Arbeitslosenversicherung. Auf die Leistungen der Sozialversicherung besteht grundsätzlich ein Rechtsanspruch.“ (Nach Avenarius: Kleines Rechtswörterbuch, Hrsg.: Bundeszentrale für politische Bildung, Freiburg 1987) 1994 wurde noch die „Soziale Pflegeversicherung“ hinzugefügt. Damit gibt es in der deutschen Sozialgesetzgebung fünf Versicherungszweige: Die Krankenversicherung (KV), die Rentenversicherung (RV), die Arbeitslosenversicherung (AV), die Unfallversicherung (UV) und die Pflegeversicherung (PV). Man nennt sie auch die Säulen der Sozialversicherung.

e)   Aber sind diese Säulen nicht in jüngster Zeit ins Wanken geraten? Globalisierung, Massenarbeitslosigkeit, wir werden immer älter und alle reden durcheinander: „Wenn ich alt bin, ist nix mehr in der Rente“ und „das System steht vor dem Aus.“ Ja, angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen wirkt unsere politische Klasse kopflos, schlägt sich in die Büsche, einigt sich auf den feigsten gemeinsamen Nenner und übt den ungeordneten Rückzug. Nervös plappert sie was von „Eigenverantwortung“, meint aber nicht ihre eigene Verantwortung, ordentliche Konzepte zu entwickeln, die wenigstens die Dauer eines Wahlkampfes überleben könnten. Nicht unser Sozialversicherungssystem steckt in der Krise, sondern – schlimm genug – unsere Politikfähigkeit. Keine Regie, zuviele miserable Darsteller! Wer weiß das besser als wir, so fahren wir den genialsten Shakespeare an die Wand. Trotzdem, Shakespeare wird überleben.

f)    Und Tatsache ist: Seit Geburt der deutschen Sozialversicherung hat sie die Krisen der Geschichte besser gemeistert als alle anderen Besitzstandssysteme, denen die Deutschen vertrauten. Die deutschen Katastrophen wie 1. Weltkrieg (1914 – 1918), die Inflation (1921 – 1923), die Weltwirtschaftskrise (1930) stellten die sozialen Sicherungssysteme auf harte Bewährungsproben, konnten sie aber nie in die Knie zwingen. Im 2. Weltkrieg (1939 – 1945) hat Hitler die Sozialversicherungkassen geplündert und die Gelder in die Rüstung gesteckt. Nach Zusammenbruch des Dritten Reiches, Deutschland lag am Boden, wurden am 1. November 1945 die Rentenzahlungen wieder aufgenommen. Und mit der Währungsreform 1948 wurden die Renten im Verhältnis 1:1 von Reichsmark auf DM umgestellt, während die übrige Währungsumstellung im Verhältnis 1:10 erfolgte. Das bedeutete, Grundbesitz, Vermögen, private Rentenversicherungen usw. wurden entwertet, aber die staatliche Rente behielt ihren Wert. Außerdem gelang es, Millionen von Flüchtigen und Vertriebenen in das neue Rentensystem Westdeutschlands zu integrieren. Auch nach der Wiedervereinigung 1990 musste das Rentensystem Westdeutschlands Millionen bisherige DDR-Bürger aufnehmen und für deren Rentner die Zahlungen sicherstellen. Mit dem Rentenüberleitungsgesetz wurde das in der DDR auf eine Mindestsicherung ausgerichtete Rentensystem durch das lohn-und beitragsbezogene bundesdeutsche Rentensystem abgelöst. Das alles war nicht leicht, wurde aber von uns Deutschen vorrangig behandelt.

g)   Im Laufe der Geschichte wurden immer weitere Berufschichten ins deutsche Sozialversicherungssystem eingebunden und immer weitere Risiken abgedeckt. Am Anfang dachte Bismarck nur an die Arbeiter,

1911 stießen die Angestellten dazu und konnten das als Erfolg ihrer Verbände verbuchen, 1927 entstand die Arbeitslosenversicherung, 1972 öffnete der Gesetzgeber die Rentenversicherung, insbesondere für Selbstständige und Hausfrauen, seit 1983 bietet die Künstlersozialkasse den selbständigen Künstlern und Publizisten ein Stückchen soziale Sicherheit, 1992 folgte ein Gesetz über die Altershilfe für Landwirte, um nur einige Beispiele zu nennen.
Selbst in jüngster Zeit, in der Phase der totalen Konfusion vor dem Wahlkampf 2005, favorisierten starke gesellschaftliche Kräfte gegen die „Kopfpauschale“ die „Bürgerversicherung“, Ein Versuch, auch die restlichen Berufsgruppen, Beamte, Freiberufler, Selbständige, ins Sozialversicherungssystem einzugliedern. Jetzt haben wir die große Koalition, keine Entscheidung, aber auch keine Kopfpauschale, mal sehen…

h)   Kurz: Wenn es hart auf hart ging, haben die Deutschen ihr Sozialversicherungssystem korrigiert, reformiert, häufig erweitert, letztendlich aber nie im Stich gelassen. Steht die „staatserhaltende“ Idee der Sozialversicherung, das Herzstück deutschen Ordnungsdenkens, also wirklich bald vor dem Aus? Darauf sollten wir nicht wetten. Der ordnungsverliebte Deutsche wird kaum einen deutschen Staat akzeptieren ohne deutsche Sozialversicherung.

3)   Sozialversicherung, rein oder raus?

a)   Viele von uns Schauspielern wissen nichts von ihrer Sozialversicherung und wissen nicht, dass sie nichts wissen. Viele wissen nichts, ahnen aber, dass da was ist, was sie nicht wissen. Nur eine kleine Schauspielerschar weiß von ihrer Sozialversicherung und weiß, dass da praktisch nichts richtig läuft, weil die Filmfirmen uns nicht oder falsch sozialversichern, weil sie auch nicht richtig durchblicken und weil sie sparen wollen und weil die Sender es ihnen nicht zurückerstatten, weil jeder was anderes sagt, weil man unsere Einwände nicht für voll nimmt, weil wir nicht wissen, wer uns helfen könnte, weil wir keine Zeit und keinen Nerv und keine Geduld für so was haben, weil Arbeitsamt, weil Hartz, weil, weil, weil… Kein Wunder, die meisten von uns wünschen sich, sie stehen morgen, übermorgen oder überübermorgen auf und all das ist weg. Bis dahin stecken wir den Kopf in den Sand. Aber wie kriegen wir all das weg?

b)   Scheinbar ganz einfach: Wir erklären, „wir sind selbständig, dann haben wir keinen Ärger mehr mit Arbeitgebern, Arbeitsamt und Rentengedöns, notfalls reicht ja die Künstlersozialkasse und Ruhe ist.“

Überhaupt „selbständig“ klingt doch irgendwie wichtiger, oder? Wären wir selbständig, schlössen wir mit den Produzenten Werkverträge, wären folglich nicht weisungsgebunde Beschäftigte und deswegen nicht sozialversicherungspflichtig. Bisher sind wir – in der Regel – Arbeitnehmer, Beschäftigte, die einen Arbeitsvertrag haben, also weisungsgebunden und deswegen sozialversicherungspflichtig sind. Praktisches Beispiel: Kabarettist und Schauspieler. Der Kabarettist hat einen Werkvertrag mit dem Veranstalter. An ihn verkauft der Kabarettist eine Ware – sein Programm. Er ist nicht weisungsgebunden, der Veranstalter kann ihm – theoretisch – nicht reinreden. Der Kabarettist ist vielleicht am Gewinn, in der Regel aber am Risiko beteiligt. Hat alles geklappt, bekommt er sein Geld. Geht etwas schief – weil wegen schlechter Werbung keine Zuschauer kommen, das Lokal abbrennt, er sich verletzt und abbrechen muss, der Kassierer mit dem Eintritt durchbrennt oder einfach, weil der Veranstalter findet, die versprochene Darbietung des Programms habe er sich so nicht vorgestellt – bekommt der Kabarettist womöglich kein Geld. Denn beim Werkvertrag wird der Erfolg honoriert. Der Schauspieler hat einen Arbeitsvertrag mit der Filmfirma. Er bietet seine Arbeit an. Er ist weisungsgebunden, der Regisseur, der Produzent, der Sender, manchmal auch die Kollegen können reinreden. Der Schauspieler ist in der Regel nicht am Gewinn, auf keinen Fall am Risiko beteiligt. Geht etwas schief – weil der Film floppt oder nicht fertig gestellt wird, der Schauspieler krank wird und umbesetzt werden muss, der Sender den Produzenten nicht bezahlt, oder einfach, weil der Produzent findet, die Darstellung der Figur habe er sich so nicht vorgestellt – hat der Schauspieler trotzdem Anspruch auf sein Geld. Denn beim Arbeitsvertrag wird die Arbeit bezahlt. Nebenbei: Tritt der Schauspieler weisungsgemäß seine Arbeit an, gilt das gleiche wie bei jedem anderen Arbeitnehmer: Der Arbeitgeber befände sich bei Nichtannahme im „Annahmeverzug“ , das heißt, er muss die angebotene Arbeit annehmen und der Lohn, die Gage ist fällig. Da gelten keine Ausreden, egal was in der Produktion schief gelaufen sein mag, der Unternehmer trägt das Risiko, nicht der Arbeitnehmer. Die Mär von, „der Drehtag zählt erst, wenn du in Kostüm und Maske bist“, ist so falsch wie unausrottbar. Sie widerspricht schlicht den gesetzlichen Regelungen – schon gewusst?! Zugegeben, dieses Wörtchen „Weisungsgebunden“ kratzt ziemlich an unserem Selbstverständnis. „Ich gestalte meine Rolle durchaus eigenständig, ich warte doch nicht, bis dem Regisseur irgendwann etwas einfällt und er mir Anweisungen gibt, manchmal schreibe ich sogar meine Texte um, den Quatsch darf ich doch nicht einfach aufsagen, ich denke mit, ich fühle mich schließlich verantwortlich“ . Schön und gut, aber bitte nicht missverstehen: Weisungsgebunden bedeutet nicht Befehlsgehorsam. Ein Pilot, ein Kapitän, ein Klinikarzt arbeiten durchaus eigenständig und verantwortlich, sind aber trotzdem in eine betriebliche Ordnung gebunden – das meint die Sozialgerichtsbarkeit mit „weisungsgebunden“. Sie sind sozialversicherungspflichtig und nicht selbständig. Herr Ackermann und andere Manager gelten nicht als selbständig. Sie sind angestellt, arbeiten weisungsgebunden, folgen nämlich den Weisungen der Aktionäre – jedenfalls auf dem Papier, in Wirklichkeit der Großaktionäre – bzw. des Unternehmensbesitzers. Geht im Unternehmen etwas schief, tragen sie kein persönliches Risiko. Naja, vielleicht müssen sie vorzeitig gehen – mit Abfindung. Aber zurück in unsere Film– und Fernsehlandschaft. Haben wir da, oder könnten wir da den Einfluss kriegen, der wiederum das Risiko der Selbständigkeit rechfertigen würde? Könnten wir z.B. die Dramaturgie, die Besetzung, den Schnitt, den Sendetermin, den Kinostart, die Kopienzahl usw. mitbestimmen? Wollen wir das Risiko tragen, dass nach dem Dreh irgendein Redakteur an unserer Figur herummäkelt und daraufhin der Produzent sich berechtigt fühlt, uns nicht vollständig bezahlen zu müssen. Sicher, die Filmfirmen würden sich freuen, etwas Risiko an uns weiterzureichen, uns nicht mehr sozialversichern zu müssen, aber gäben sie uns mehr Einfluss, mehr Gewinnbeteiligung, mehr Selbständigkeit?

Scheinbar einfache Lösungen führen zur Scheinselbständigkeit! Marlene Dietrich soll ihre Beine versichert haben – kurios, aber logisch. Wir Schauspieler spielen ein Instrument, das wir selber sind. Wenn es abgenutzt ist oder ihm etwas zustößt, können wir uns kein neues kaufen. Tragen wir nicht schon genug Risiko?

c)   Nun ein kurzes Wort zur Künstlersozialkasse: Sie ist ein Auffangbecken für jene Künstler und Publizisten, die selbständig sind, und soll auch ihnen einen Teil des sozialen Schutzes bieten, den sonst nur Nichtselbständige genießen. Aber eben nur einen Teil! Die Säulen Arbeitslosen– und Unfallversicherung fehlen. Wenn ein normal Sozialversicherungspflichtiger, z.B. ein Schauspieler arbeitslos ist und Arbeitslosengeld 1 bekommt, fließen auch Beiträge in die Kranken–, Pflege und Rentenversicherung. Pflichtbeiträge zur Rente in jedem Kalendermonat sind wichtig, falls er invalide werden sollte und eine Erwerbsunfähigkeitsrente braucht. Wenn der Schauspieler arbeitet, zahlt er nichts in die Unfallversicherung, die trägt der Arbeitgeber allein. Wenn ein selbständiger Künstler, z.B. Kabarettist, keinen Auftrag hat, kann er sich nicht arbeitslos melden. Eine Erwerbsunfähigkeit– und Unfallversicherung sollte er privat abschließen.

Welches Unfallrisiko würde ein privater Versicherungsvertreter wohl am höchsten einschätzen: Das eines Malers in seinem Atelier, eines Drehbuchautors an seinem Schreibtisch – beides typische KSK-Kunden – oder das eines Schauspielers am Drehort? Die KSK ist ja besser als gar nichts, aber für uns Schauspieler wäre sie, verglichen mit unserem jetzigen Status, eine soziale Degradierung. Übrigens, ein Künstler in der KSK trägt – wie der sozialversicherungs pflichtige Schauspieler auch – die Hälfte der Beitragslast. Für die andere Hälfte kommt der Produzent aber nicht allein auf. Er teilt sich die Kosten mit dem Staat im Verhältnis 3:2. Die KSK rentiert sich also doch – für den Produzenten.

d)   Also gut, dann wollen wir mal nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten und mit Selbständigkeit kokettieren, die wir nicht haben. Bleiben wir nüchtern. Und wenn wir den Horror mit unserer Sozialversicherung nüchtern auseinanderdröseln, stellen wir fest: Für den ganzen Stress, den wir haben, sind – nur – drei Missstände verantwortlich: Erstens, wir haben zu wenig Ahnung. Zweitens, die Arbeitgeber im Sparzwang sprühen vor Ideen, sich vor den Sozialversicherungsbeiträgen zu drücken. Drittens, die Architekten der Sozialgesetzgebung basteln stur immer noch Schubladen für Mainstream-Berufe, obwohl die Gruppe der flexiblen Berufe, die mit befristeten Zeitverträgen, ständig größer wird. Übrigens „flexibel“ , das war politisch gewollt. Und mit Hartz wurde der Vogel endgültig abgeschossen: Agentur für Arbeit?! Im Gegenteil, das Arbeitsamt wurde noch amtiger. Und wie sollen wir mit Zeitverträgen in zwei Jahren ein Jahr an Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung zusammen kriegen, um wieder Anspruch auf Arbeitslosengeld 1 zu haben? Unmöglich! Für fast alle von uns! Obwohl wir Höchstbeiträge abdrücken! Aber wir wollten ja nüchtern bleiben, und nüchtern betrachtet erkennen wir: Keiner der drei Gründe rechtfertigt einen Rückzug aus der Sozialversicherung, eine Flucht in die KSK, oder gleich ins Leere. Deutschland ist Ordnung, ist Sozialversicherung, und wir wollen uns da rausmobben lassen, uns in Hilflosigkeit abkoppeln? Nein – auf lange Sicht – das kann nur schief gehen. Wir sollten vielmehr unseren Platz im kompletten Sozialversicherungssystem behaupten, indem wir die drei Missstände nach und nach beseitigen.

e)   Und dafür bietet uns der neue Verband die beste Hilfe. Wir Schauspieler spielen viele Rollen, nur auf politischer Ebene spielen wir keine, allenfalls den tumben Bajazzo. Wie kann das sein? Ganz einfach, die Politiker, populistisch planlos, mit großem Ruckzuck im Zickzackkurs verstrickt, verhalten sich ähnlich wie überforderte Produktionsleiter bei hektischem Dreh: Nicht die wichtigsten, sondern die lautesten Probleme werden zuerst angegangen. Im Theater hört man uns Schauspieler bis in die letzte Reihe, in der Kamera kommen wir gut rüber, nur in der Politik finden wir kein Gehör, da fehlte uns bisher schlicht die Bühne. Unser Verband muss diese Bühne sein, und wir müssen sie bevölkern und dort unsere Rollen spielen – wir, nicht irgendwelche Funktionäre! Und wenn die Politik uns endlich auf Sendung hat, fordern wir „unseren gerechten Platz an der Seite der Gesellschaft. Wir wollen keine Extrawurst, und das betrifft auch die Sozialgesetzgebung. Nach einheitlicher, langjähriger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der höchsten Instanz der Sozialgerichtsbarkeit, zählen Schauspieler, auch die bei Film, Funk und Fernsehen, regelmäßig zu den abhängig Beschäftigten und sind sozialversicherungspflichtig, auch in der Arbeitslosenversicherung. Nun habt Ihr Politiker aber die Regeln so verharzt, dass unser ganzer Berufstand zwar weiter in diesen Topf einzahlen muss, aber auf Dauer keine Chance hat, bei Arbeitslosigkeit daraus etwas zu bekommen. Diese Extrawurst wollen wir auch nicht. Das alles widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz und hat für uns fatale Folgen. Am Ende haben wir viele große Rentenlöcher, und dadurch im Alter kaum und bei Erwerbsunfähigkeit gar keinen Rentenanspruch. Und vom Stolz, die Gesellschaft nicht nur mit unseren Kunst– sondern auch Sozialbeiträgen gut unterhalten zu haben, können wir dann auch nicht leben. Also nachbessern! Lasst Euch was Schlüssiges einfallen – schlüssig, nicht bürokratisch! Sollte Euch nichts einfallen, geben wir Euch einen Tipp: Guckt nach draußen. Manche Länder, die in der Vergangenheit bei unserer vorbildlichen Sozialgesetzgebung abgeschrieben und darauf konsequent aufgebaut haben, könnten für Euch Vorbild sein. Also, gebt Euch Mühe, wir lassen nicht locker!“

f)    „Achtung! Erbsenzähler zahlen doppelt!“ müssen wir ihnen zurufen, unseren Partnern, unseren Arbeitgebern. Leider suchen sie mitunter ihr Heil in einer immer abstruseren Vertragsakrobatik. Und das alles, um die tatsächlich weisungsgebundene Zeit zu verschwiemeln und die Sozialversicherungsbeiträge gering zu halten. Jüngster Versuch: Du hast 10 Drehtage und sie schicken dir 10 Verträge – über jeden Drehtag einen – und meinen, sie müssten dann nur die einzelnen Drehtage sozialversichern. Gewitzt, aber vergebens, davon profitiert nur die Papierindustrie. Oder sie schreiben irgendwo „… der Darsteller steht der Produktion nicht ausschließlich zur Verfügung.“

Nützt ihnen alles nichts!

Um die Sozialversicherungspflicht zu beurteilen, ist für die Versicherungsträger und Richter zwar die erste Quelle der Arbeitsvertrag, aber sie haben natürlich die Pflicht zu überprüfen, ob er den „tatsächlichen Verhältnissen“ entspricht. Stehen diese 10 Verträge wirklich für 10 verschiedene Arbeitsverhältnisse? Oder war es ein Film, ein Schauspieler, ein Arbeitgeber, also ein Beschäftigungsverhältnis?

Hat sich da ein Textaufsager seinen Text wirklich erst am Drehtag in die Birne geknallt, oder hat sich da ein richtiger Schauspieler vorher vorbereitet? Musste er zu Regiebesprechungen, Masken– oder Kostümproben – vor dem ersten Drehtag? Ist wirklich kein Drehtag verschoben worden? Konnte der Schauspieler, wie er wollte, andere Drehs annehmen, weil er ja angeblich „nicht ausschließlich zur Verfügung“ stand, oder hat er sich brav mit der Produktion abgesprochen? Durfte der Schauspieler zwischendurch seine Haare ändern, sich in die Sonne legen, gefährliche Sportarten betreiben? Oder durfte er das vielleicht kurz nach dem letzten Drehtag? Überhaupt, das Kleingedruckte in den Verträgen ist für den Kenner ein wahrer Fundus unserer Weisungsgebundenheit. Und noch einmal zu unserem lieben Werkvertrag: Da unterschreiben z.B. zwei Seiten – und die Fälle sind vor Gericht nicht selten – einen Werkvertrag, aber die Richter kommen nach Überprüfung der tatsächlichen Verhältnisse zu dem Schluss: Hier hat in Wahrheit abweichend vom Vertrag ein Beschäftigungsverhältnis bestanden. Die Sozialbeiträge sind fällig. Boing! Apropos Boing: Einige große Filmfirmen wehren sich zurzeit gegen Millionennachzahlungen an die Sozialversicherungsträger. Haben da vielleicht die Firmen superschlaue Verträge gestrickt, nur der Versicherungsträger konnte sie nicht mehr in Einklang mit den tatsächlichen Verhältnissen bringen und verlangt nun Beiträge für die gesamten Produktionszeiten? Das kann reinhauen, zumal weil doppelt gelatzt werden muss. Denn dummerweise dürfen Arbeitgeber, die sich bei den Sozialversicherungsbeiträgen „vertun“, wenn sie erwischt werden, auch die nicht einbehaltenen Arbeitnehmerbeiträge nachzahlen. Der Arbeitnehmer ist ja nicht mehr bei ihm beschäftigt, der Vertrag war befristet. Wir müssen die Arbeitgeber vor sich selber schützen. Ihre kreativen Sparbemühungen können sie in die Pleite treiben. Daran haben wir kein Interesse. Und von einer zunehmenden sozialen Verwahrlosung ihrer Beschäftigten haben die Produzenten wiederum nichts; sie wollen ja in Zukunft nicht auf uns verzichten und „Fingerkino“ produzieren. Das müssen wir ihnen klar machen. Wir sollten uns mit ihnen zusammensetzen und an einem Mustervertrag arbeiten, der den tatsächlichen Verhältnissen unseres Arbeitsalltages entspricht. Wenn da die ganzen Schummeleien und das Vielgerede raus sind, dürfte der nicht mal lang sein. Die Arbeitgeber würden verschont vor einer Flut von Beitragsnachforderungen, wir würden verschont vor einer Flut unsinniger Verträge mit unsinnig vielen Blättern und der Wald würde auch geschont.

g)   Wir aber, wir Schauspieler, wir dürfen uns nicht schonen. Jetzt nicht mehr, jetzt nach Gründung unseres Verbandes! Jetzt dürfen wir nicht mehr unserem über Jahre antrainierten Fluchtreflex gehorchen. Und Flucht ist, Schlupflöcher zu suchen, über Schleichwege zu fliehen vor allen Regeln, derer wir nicht mehr Herr werden, weil wir sie nicht durchblicken, weil wir vor ihnen kapitulieren. Flucht ist, von Selbständigkeit zu blubbern, weil wir vorm Regen flüchten – die Traufe kennen wir nicht – weil wir die Arbeitgeber fürchten, die uns diesen Selbständigkeitsfloh ins Ohr gesetzt haben und das alles, weil wir nichts wissen von steuer –, arbeits – und sozialversicherungsrechtlichen Dingen. Stattdessen haben wir auf dem Gebiet mitgeschummelt, meistens passiv, manchmal aktiv, immer ohnmächtig. Nicht die bloße Anzahl der Verbandsmitglieder verleiht uns Macht. Wissen ist Macht! Wir brauchen viel mehr Mitglieder, die viel mehr wissen. Sonst werden wir ein Verein von daherfaselnden Fluchthelfern, die sich gegenseitig helfen, an der Wirklichkeit vorbei zu mogeln. Und die Politik, die Arbeitgeber fahren derweil Schlitten mit uns. Das kann es doch nicht gewesen sein!? Ja natürlich, wir müssen uns auszutauschen über Internetforen, bei Stammtischen oder sonst wo. Wir müssen wissen, wo uns Kollegen der Schuh drückt. Die Geheimnistuerei, das Einzelkämpferdenken gehören in die Vergangenheit. Wir brauchen auch den Trost, zu wissen, „den anderen geht’s genauso wie mir“ . Aber bevor wir über Entscheidungen diskutieren, die in die Zukunft weisen, besonders in Fragen unserer Sozialversicherung, sollten wir uns alle auf dem Gebiet gehörig fit machen. Puh, das kostet Zeit und Nerven! Fit werden wir, wenn wir uns coachen und beraten lassen. Aber nicht von selbsternannten Experten und dubiosen Expertisen, die sich den Politikern, den Arbeitgebern, oder Einzelgängern unter uns verpflichtet fühlen, sondern von qualifizierten Juristen, die Interessen, Zukunft und Schutz unseres Berufstandes im Auge haben. Das kostet auch noch Geld! Ja, das kostet Geld, Zeit und Nerven – von uns allen! Umsonst ist nur…