Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung am 15. Juni 2009

BFFS Geschäftsstelle
24. Juni 2009

Anpassungsregelung zum Bezug von Arbeitslosengeld I –
Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung zur Änderung des III. Sozialgesetzbuches

Berlin, 22.06.2009
Der Gesetzesentwurf zum 9. SGB III Änderungsgesetz stellt einen wichtigen Schritt für die soziale Sicherung überwiegend kurz befristet Beschäftigter im Fall der Beschäftigungslosigkeit dar. Gerade für die Künstler und Kulturschaffenden ist es ein entscheidendes, längst überfälliges Signal, Benachteiligungen bei den Voraussetzungen zum Bezug von Arbeitslosengeld I abmildern zu wollen – noch in dieser Legislaturperiode.

Es ist daher zu begrüßen, dass dieser Gesetzesentwurf nun in das Parlamentarische Gesetzesverfahren eingebracht worden ist.

Aus meiner Sicht besteht jedoch noch dringender Änderungsbedarf, damit das Gesetz auch tatsächlich die Betroffenen erreicht.

1. Verlängerung der „sechs Wochen Befristung“

Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass sich die Anwartschaftszeit überwiegend aus Beschäftigungen rekrutieren muss, die auf nicht mehr als 6 Wochen befristet sind.

Die Begrenzung auf nicht mehr als 6 Wochen ist erheblich zu kurz. Grundlage für die Festlegung der Befristung sollten die Beschäftigungsverhältnisse sein, wie sie sich typischerweise bei Film- und Fernsehproduktionen oder befristeten Theaterengagements wiederfinden.

Die durchschnittliche Dauer einer Film- oder Fernsehproduktion beträgt ca. 3 bis 6 Monate. Viele Filmschaffende hinter der Kamera wie bspw. Beleuchter-, Masken-, Ton-, Garderoben-, Kamera-, Regie- und Regieassistentenkollegen werden im Rahmen der Filmproduktion für einen weitaus längeren Zeitraum als sechs Wochen benötigt, zumeist 2 bis 3 Monate.

Schauspieler, die als Gast mit einem Stückvertrag am Theater oder für eine Theatertournee befristet beschäftigt werden, fallen auch aus der gesetzlichen Regelung heraus. Solche Engagements dauern mindestens zwei bis drei Monate.

Beispiel 1
Schauspieler Meier hat in 2 Jahren folgende kurz befristete Beschäftigungsverhältnisse, in einer berufstypischen Mischung aus Film, Fernsehen und Theater:

Dreimonatiges Theaterengagement (Tourneetheater) (91 Sozialversicherungstage)
Zweimonatiger Gastvertrag am Theater (60 Sozialversicherungstage)
7 Beschäftigungsverhältnisse bei Film/Fernsehen, zwischen 1 und 10 Drehtagen mit insgesamt 75 Sozialversicherungstagen.

Anwartschaftszeit von 226 Tagen (etwas über 7 Monate) wird erreicht.
Dennoch entsteht kein Anspruch, da zwei seiner befristeten Beschäftigungsverhältnisse länger als 6 Wochen dauern und zusammen 90 Tage überschreiten.

Beispiel 2
Regieassistent Schmitz hat in 2 Jahren folgende typisch kurz befristete Beschäftigungsverhältnisse: 

Acht Wochen TV-Movie (56 Sozialversicherungstage)
Acht Wochen Tatortdreh (56 Sozialversicherungstage)
Neun Wochen Serienblock á 3 Folgen, (63 Sozialversicherungstage)
Eine Woche Dreh einer Werbung (7 Sozialversicherungstage)
Zwei Wochen Einzelserienfolge (14 Sozialversicherungstage)

Anwartschaftszeit von 196 Tagen (ca. 6 1/2 Monate) wird erreicht.
Dennoch entsteht kein Anspruch, weil die überwiegende Anzahl seiner Beschäftigungsverhältnisse im Einzelfall die Dauer von 6 Wochen und im Gesamten die Zahl von 90 Tagen überschreitet.

Fazit :
1.
Eine Erhöhung der Befristung auf 3 Monate würde die wirklich Betroffenen und Bedürftigen in der Film-, Fernseh- und Theaterbranche erreichen und ihnen einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erleichtern. Die zeitliche Begrenzung der überwiegenden Beschäftigungszeiträume von drei Monaten stellt nach meiner Ansicht einen tragbaren und zu unterstützenden Kompromiss dar.

2. Erhöhung der Einkommensbegrenzung
Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass das Jahresarbeitsentgelt des Anspruchsberechtigten nicht mehr als das eines durchschnittlichen Dauerbeschäftigten im Jahr 2009, also 30.240,00 EUR, betragen darf.

Die Arbeitsentgeltbegrenzung ist nach meiner Auffassung nicht sachgerecht. Grundlage dieser Zahl ist, dass derzeit die Annahme besteht, 50.000 Betroffene seien in der Film- und Fernsehbranche von diesem Änderungsgesetz betroffen. Nach den mir vorliegenden Informationen muss aber davon ausgegangen werden, dass derzeit nicht mehr als 30.000 überhaupt in der Film- und Fernsehbranche arbeiten. Davon sind einige festangestellt, viele jedoch selbständig tätig, so dass sie von dem Änderungsgesetz überhaupt nicht betroffen sind. Daher kann derzeit davon ausgegangen werden, dass jedenfalls nicht mehr als 10.000 Filmschaffende als kurz befristet Beschäftigte überhaupt die Einkommensgrenze erfüllen können.

Nach meiner Auffassung sollte aus folgenden Gründen die Jahresarbeitsentgeltgrenze zumindest auf die Beitragsbemessungsgrenze aus der Sozialversicherung abgestellt werden.

1. Kurz befristet Beschäftigte befinden sich in einem dauerhaften Bewerbungszustand. Daher fallen ihre Bewerbungskosten extrem viel höher aus als bei einem durchgehend Beschäftigten. Sie sind in ihrem Berufsleben ständig arbeitssuchend.

2. Kurz befristet Beschäftigte müssen höhere Rücklagen bilden und Vorsorge treffen als andere, da sie eben nicht lückenlos Anschlussbeschäftigungen haben und mit zunehmendem Alter immer größere Schwierigkeiten haben, beschäftigt zu werden. Sie sind durch einen lückenhaften Rentenverlauf von Altersarmut bedroht.

3. Kurz befristetet Beschäftigte mit Familie, die älter, krank oder schwanger sind, werden einfach nicht eingestellt.

4. Schauspieler zahlen von ihren Einkünften die Vermittlungsgebühren an ihre Agenturen, in der Regel zwischen 10 und 14 % des Bruttoeinkommens - aber von ihrem Nettoeinkommen.

Beispiel zu 2.
Überdurchschnittlich hohe Werbungskosten :

Die notwendigen Bewerbungskosten eines Schauspielers für Demotapes und Fotos, um überhaupt eine Chance im Geschäft zu haben, betragen durchschnittlich pro Monat ca. 200,00 Euro.
Kosten für Vorstellungstermine bei Castern, Produktionsfirmen und Redakteuren bundesweit, sowie Kosten für Filmfestivals, Empfänge etc. müssen mit monatlich ca. 200,00 EUR veranschlagt werden.

Agenturkosten von ca.12 % (incl. USt), das macht bei 30.000,00 Euro Jahreseinkommen ca. 3.600,00 Euro.

Von diesen insgesamt ca. 8.000,00 Euro, die bei der Steuer berücksichtigt werden, ergibt sich gegenüber dem normalen Arbeitnehmer ein Steuervorteil von gut 2.000,00 Euro, den Rest von knapp 6.000,00 Euro muss er von seinem Netto aufbringen. Er hat daher deutlich weniger zur Verfügung als der normale Arbeitnehmer, wenn man das Jahresentgelt auf das Durchschnittseinkommen begrenzt.
Würde ein Schauspieler ein vergleichbares reales Einkommen erzielen wollen, müsste er jährlich ungefähr zwischen 40.000,00 Euro und 42.000,00 Euro Brutto verdienen, da er auch auf den Mehrverdienst wieder Steuern, Sozialabgaben und Agenturgebühren zahlen muss. Und dazu kämen noch die Aufwendungen für eine berufsbedingt notwendige höhere Altersvorsorge.

Fazit :
Erhöhung der Einkommensgrenze:
Die Einkommensbegrenzung für den Arbeitslosengeld-1-Anspruch der kurz befristet Beschäftigten sollte zumindest auf die Jahresarbeitsentgeltgrenze angehoben werden, die für die Befreiung von der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht gesetzlich vorgeschrieben ist.

Resümee:
Der vorliegende Gesetzesentwurf stellt einen wichtigen ersten Schritt in die richtige Richtung dar, um die strukturelle Benachteiligung von kurz befristet Beschäftigten beim Bezug von Arbeitslosengeld I zu beseitigen.

Nach meiner Auffassung sollten jedoch die vorgenannten Korrektur- und Änderungsvorschläge bei der Novellierung unbedingt berücksichtigt werden, damit die Chance genutzt wird, nicht nur einen ersten zaghaften Schritt zu gehen, sondern eine gesetzliche Lösung zu schaffen, die wirklich den Betroffenen hilft.

Hochachtungsvoll

Thomas Schmuckert
Vorstandsmitglied des BFFS e.V. – Die Schauspieler

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