Branchenhearing Filmwirtschaft am 12.03.09

BFFS Geschäftsstelle
9. Dezember 2009

Die Arbeit des Schauspielers am Set ist unsichtbar.
Was wir hinterher auf der Leinwand oder auf dem Bildschirm sehen, sind günstigstenfalls Menschen, die den Schauspieler vergessen machen. Je besser also die Arbeit des Schauspielers ist, desto weniger sieht man sie. Dieser Umstand führt leider oft zu dem Glauben, dass diese unsichtbare Arbeit des Schauspielers auch nicht existiere. Jahrelang wurden Schauspieler z. B. nur für die Drehtage sozialversichert, als ob sie nur einen Blick ins Drehbuch zu werfen brauchten und – schwupp – eine Figur vor die Kamera zaubern könnten. Diesem Umstand hat der vor zwei Jahren gegründete Schauspielerverband BFFS jetzt durch die gemeinsam mit dem Produzentenverband erarbeitete Feststellung der tatsächlich zu versichernden Arbeitszeit ein Ende gemacht.

Schauspielerinnen und Schauspieler arbeiten in einem Umfeld, in dem für immer weniger Geld immer höhere Qualität verlangt wird.
Die Budgets für Filme stagnieren oder werden gekürzt. Für Schauspieler hat das folgende Konsequenzen: Da ihre Arbeit unsichtbar ist und es ohnehin überall an Geld und damit an Zeit – nämlich Drehtagen – mangelt, wird ihre Arbeit immer weiter „ausgelagert“. Proben sind ohnehin schon Luxus. Sie werden nicht bezahlt oder sozialversichert und finden nur statt, wenn ein Regisseur sie vehement genug einfordert und mit Schauspielern arbeitet, die die Qualität ihrer Arbeit über ihren Widerwillen stellen, sich selbst auszubeuten. Denn natürlich müssten Proben eigentlich bezahlt werden, da sie Teil des Prozesses sind, einen guten Film herzustellen. Am Theater ist das eine Selbstverständlichkeit.

Jede Abteilung am Set nimmt ihre eigene Arbeit sehr wichtig. Das ist auch gut so, weil ein Film aus diesen vielen einzelnen Arbeitsschritten entsteht, und je besser diese Einzelleistungen sind, desto besser ist hinterher der Film. Die „Abteilung Schauspiel“ aber benötigt Ruhe und Konzentration, d. h. den totalen Stopp sämtlicher anderen Abteilungen. Die Abteilung Schauspiel muss alles das, was sichtbar am Set passiert, nämlich die Kreation einer neuen Welt, nachvollziehen. Das kostet Zeit, die immer seltener dafür gewährt wird, weil die Abteilung Schauspiel unsichtbar arbeitet, am Set hoffnungslos in der Minderheit ist und deshalb jemanden benötigt, der diese Ruhe und Konzentration schafft, nämlich den Regisseur. Der hat aber in den allermeisten Fällen angesichts des ungeheuren Drucks, der auf ihm lastet, häufig nicht mehr die Macht dazu.

Um ihre Arbeit machen zu können, braucht die Abteilung Schauspiel also Ruhe, Konzentration, Vorbereitungszeit, Probenzeit und die Unterstützung aller anderen Abteilungen – allen voran natürlich der Abteilung Regie.

Um leben zu können dagegen, braucht die Abteilung Schauspiel, wie alle anderen Abteilungen auch, eine angemessene Vergütung.
Jahrelang waren wir im Großen und Ganzen steigende Gagen und relativ entspannte materielle Verhältnisse gewohnt. Diese Zeiten sind vorbei. Nicht schleichend, sondern galoppierend verfallen derzeit die Gagen. Durch den Zwang zu immer billigeren Produktionen entsteht schlechte Qualität zu Dumpingpreisen mit Leuten von der Straße, die, da es keinen Schutz für die Berufsbezeichnung gibt, als Schauspieler bezeichnet werden. Auch Schauspieler sind gezwungen, unter ihrer Gage und unter ihrem Niveau zu arbeiten. Dadurch entsteht eine schleichende Verachtung für den ganzen Berufsstand.

Es werden immer mehr „Sondergagen“ vereinbart. Kaum einer bekommt noch seine Marktwert-Tagesgage. Selbst und gerade öffentlich-rechtliche Sender machen „Friss-oder-stirb“-Angebote mit Dumpinggagen bis herunter auf 300 Euro.

Unabhängige Produzenten sind froh, wenn sie überhaupt einmal einen Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender bekommen. Da die in der Regel an deren hundertprozentige Tochterfirmen gehen, können sich die Unabhängigen nicht leisten, andere Bedingungen zu fordern. Und die Tochterfirmen, die u. a. gegründet wurden, um die gerade selbst abgeschlossenen Tarifverträge zu umgehen, haben kein Interesse an anderen Bedingungen, weil sie sich nur begrenzt auf dem freien Markt behaupten müssen.

Die meisten Kinofilme sind hierzulande Low-Budget- Filme; Schauspieler arbeiten auf sogenannte Gagenrückstellung, das heißt entweder umsonst oder für einen Bruchteil ihrer Gage. Die rückgestellte Gage wird allerdings so gut wie nie ausbezahlt, weil Schauspieler ganz am Ende der Kette der Auszuzahlenden stehen, die im Erfolgsfall abgearbeitet wird. De facto werden Schauspieler damit zu Coproduzenten, weil sie mit dem rückgestellten Teil ihrer Gage den Film mitfinanzieren.

In der gesamten freien Wirtschaft bröckelt derzeit der Glaube an die Selbstheilungskräfte des Marktes. Wir machen diese Erfahrung bereits eine ganze Weile: Die Gagen- und Qualitätsspirale nach unten wird sich nicht von selbst umdrehen, wie auch? Die öffentlich-rechtlichen Sender gehorchen ja keinen Marktgesetzen, unterwerfen sich ihnen aber, indem sie sich dem Quotendruck unterwerfen. Das führt aber andererseits nicht dazu, dass nach einem Quotenerfolg der nächste Film wieder höher budgetiert und mit mehr Zeit ausgestattet wird. Die Marktgesetze funktionieren hier also nur als Peitsche, nicht als Zuckerbrot.

Auch die Sparmaßnahmen am übrigen Personal haben direkten Einfluss auf die Qualität schauspielerischer Arbeit: Maskenbildner werden eingespart, Überstunden werden selbstverständlich nicht bezahlt, Arbeitsschutzgesetze werden inzwischen methodisch gebrochen.

Noch einige Gedanken zur Vergütungsstruktur. Niemand wird bezweifeln, dass der Erfolg einer Serie, eines Films maßgeblich auch von den Schauspielern abhängt. Beim Misserfolg bekommen Schauspieler diesen Zusammenhang auch deutlich zu spüren, weil sie in einem solchen Fall so schnell nicht wieder in einer prominenten Rolle besetzt werden. Im Falle eines Erfolgs gibt es aber keine Belohnung für dieses Risiko. Es gibt i. d. R. keine Zusatzvergütung, egal, wie oft der Film, die Serie wiederholt und verkauft wird. Die vom Gesetzgeber geschaffenen Gesetze zur Vereinbarung von „angemessenen Vergütungsregeln“ greifen in der Praxis nicht, weil die Kräfteverhältnisse zwischen Urheber- und Leistungsschutzberechtigten auf der einen und den Verwertern auf der anderen Seite zu ungleich sind.Es findet eine schleichende Verabschiedung der meisten Produktionsgesellschaften und Sender aus der vorbildlichen Institution Pensionskasse statt. Selbst die öffentlich-rechtlichen Sender, die den weitaus größten Teil ihres Budgets für Pensionszahlungen der festen Mitarbeiter ausgeben, versuchen inzwischen, die Pensionskassen durch Coproduktionstricksereien mit Firmen zu umgehen, die nicht Mitglied in der Pensionskasse sind. Die jahrelang falsch gehandhabte Sozialversicherungspraxis für Schauspieler wird dazu führen, dass Schauspieler im Alter nur dann nicht in die Armut rutschen, wenn sie privat genügend vorgesorgt haben.

 

Das wiederum wird bei der derzeitigen Gagenerosion den meisten nicht möglich sein. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass bei einem der größten öffentlich- rechtlichen Sender z. B. nur etwa fünf Prozent des Gesamtbudgets für Produktion, der Rest dagegen für Verwaltung und Mitarbeiterpensionen ausgegeben wird, dann kann man sich vorstellen, in welche Richtung die derzeitige Entwicklung zielt: Immer billigere Produktionen führen zu immer geringerem Einkommen der Produzierenden, die dadurch auch immer weniger für ihre Altersrücklagen übrig haben.

Fazit: Schauspieler tun für einen guten Film fast alles, und das auch noch umsonst. Das können sie aber nur eine Weile tun. Irgendwann müssen sie den Beruf wechseln.

Um eine kontinuierliche Qualität zu garantieren, benötigen wir deshalb dringend eine neue Wertschätzung und Honorierung dieser Arbeit: mehr Zeit für Proben und mehr Konzentration am Set, eine angemessene Vergütung, die dem Umstand Sorge trägt, dass sich in diesem Beruf extreme Erfolgsphasen mit extremen Misserfolgsphasen abwechseln, eine gerechtere Honorierung der Leistungsschutzrechte und eine echte Teilhabe am sozialen Netz, z. B. die Chance auf Arbeitslosengeld I.

Es ist Zeit für eine Qualitätsoffensive über eingefahrene oder scheinbare Grenzen hinweg, um Produktions- und Arbeitsbedingungen zu schaffen, die am Ende eines ermöglichen: einen guten Film. Denn Qualität ist langfristig das wichtigste Gut eines prosperierenden Filmstandorts Deutschland.

Zusammenarbeit / Aufforderung:

  • Eine Qualitätsoffensive für bessere Produktions- und Arbeitsbedingungen starten, u. a.
  • eine höhere Wertschätzung der Schauspielarbeit bewirken
  • mehr Zeit für Proben und Konzentration am Set
  • eine angemessene und gerechtere Honorierung der Schauspielerinnen und Schauspieler

Thomas Schmuckert