Am 11. Mai 2011 hat der Bundestagsausschuss „Kultur und Medien“ Experten eingeladen, um sich zum wiederholten Male um die soziale Lage der Künstler und Kulturschaffenden zu kümmern. Insbesondere wurde BFFS-Vorstandsmitglied und Schauspieler Heinrich Schafmeister befragt, in wie weit eine seit August 2009 in Kraft getretene Gesetzesreform seinen sozialrechtlich benachteiligten Kollegen einen fairen Bezug auf Arbeitslosengeld I eröffnet habe. Heinrich Schafmeisters Fazit: „Gut gemeint und doch daneben.“
Viele Kulturschaffende, insbesondere die Schauspieler bei Dreharbeiten und gastierende Künstler am Theater, haben nur kurz währende Engagements, die natürlich nicht fugenfrei aufeinanderfolgen. Sie zahlen zwar stets Beiträge in die Arbeitslosenversicherung, können aber wegen der Kurzfristigkeit ihrer Beschäftigungen und der Lücken zwischen den einzelnen Arbeitsverhältnissen die für den Arbeitslosengeld-I-Anspruch erforderlichen Vorversicherungszeiten von 12 Monaten innerhalb der letzten 2 Jahren unmöglich nachweisen. Sie sind eben – das haben die Kulturpolitiker bereits in ihrem Ende 2007 veröffentlichten Bericht „Kultur in Deutschland“ richtig erkannt – „strukturell benachteiligt“.
Der BFFS kämpfte jahrelang um eine Neuregelung und mit breiter Unterstützung der Kulturpolitiker des Bundes lag endlich im Mai 2009 ein Gesetzesentwurf vor, der für kurz befristet Beschäftige die Anwartschaftszeit von 12 Monate auf 6 Monate verkürzte. Allerdings sollte dieses Anwartschaftsänderungsgesetz nur für Personen gelten, die überwiegend bis zu 6 Wochen engagiert werden und die darüber hinaus in den letzten 12 Monaten nicht mehr als die Bezugsgröße (damals 30.240,00 €, zurzeit 30.660,00 €) verdient haben.
Diese drastischen Anspruchsbeschränkungen, so warnte der BFFS bereits damals, würden die gut gemeinten Absichten der Reform ad absurdum führen. Die meisten Engagements in der Kulturszene sind zwar befristet, aber dauern meist länger als 6 Wochen. Im Übrigen, bemängelte der BFFS, ist eine Verdienstgrenze, die gesondert kurz befristet Beschäftigte – jedoch nicht die anderen Arbeitnehmer – vom Arbeitslosengeld-I-Anspruch ausschließt, eine weitere Diskriminierung der ohnehin benachteiligten Künstler und Kulturschaffenden.
Aber das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) sagte vorher, dass trotz der geplanten Hürden jährlich 10.000 zusätzliche Arbeitslosengeldempfänger 50 Millionen Euro Mehrkosten verursachen würden. Aufgrund dieser Zahlen wollte die damalige Regierung das Anwartschaftsänderungsgesetz nicht ohne die restriktiven Anspruchsvoraussetzungen verabschieden. Um der Kritik der Betroffenen Rechnung zu tragen, wurde die Regelung auf 3 Jahre befristet. Zwischenzeitlich sollte sie auf ihre Wirksamkeit überprüft werden.
Jetzt ist das Gesetz beinahe 2 Jahre alt und der Bundestagsausschuss „Kultur und Medien“ wollte wissen, ob es auch greift. Dazu stand am letzten Mittwoch Heinrich Schafmeister als einziger Vertreter einer Betroffenengruppe den Kulturpolitikern Rede und Antwort. Er zitierte aus einer vom BFFS beauftragten repräsentativen Schauspielerumfrage. Demnach habe nur eine Handvoll Schauspieler (4,6 %) aufgrund der Neuregelung einen Arbeitslosengeld-I-Anspruch gewonnen, obwohl 68,1 % aller Schauspieler weniger als 30.240,00 € im Jahr verdienten. Die Zahlen der Agentur für Arbeit weisen in die gleiche Richtung: Statt der prognostizierten 10.000 Personen und 50 Millionen Euro Mehraufwendungen, waren es in des ersten 8 Monaten tatsächlich nur 221 zusätzliche Arbeitslosengeldempfänger mit 1,57 Millionen Euro Mehrkosten. Auf ein Jahr hochgerechnet ergeben sich 332 Personen und 2,35 Millionen Euro. Darunter befinden sich 126 Künstler und Kulturschaffende die 1,17 Millionen Euro kosten. „Diese Zahl“, meint Heinrich Schafmeister, „steht in keinem Verhältnis zu der riesigen Beitragssumme, die von der großen Mehrheit der von der Neuregelung ausgegrenzten Kulturschaffenden eingezahlt werden“.
Im Namen seiner Kollegen appellierte Heinrich Schafmeister an die Politiker des Ausschusses, angesichts der Eindeutigkeit der Zahlen nicht länger zu warten, sondern sofort zu handeln: Wenn es keine sinnvolle Alternative zum Anwartschaftsänderungsgesetz gäbe, sollten dessen Hürden entschärft werden. Die 6-Wochenfrist müsse auf 3 Monate verlängert und die Verdienstgrenze von 30-Tausend Euro abgeschafft oder entschieden erhöht werden, „damit den guten Absichten des Gesetzes auch die guten Taten folgen können“.
Der Gesetzgeber, regte Heinrich Schafmeister im Ausschuss an, möge aber nicht nur über Ansprüche, sondern auch über Pflichten nachdenken. So müsse mittelfristig die Sozialversicherungspflicht der kurz befristet Beschäftigten verstetigt werden. Die Beitragbemessungsgrenzen sollten für diesen Personenkreis nicht taggenau bemessen, sondern auf den jeweiligen Kalendermonat aufgerundet werden. Eine kontinuierliche Sozialversicherungspflicht würde einerseits die Betroffenen vor der drohenden Altersarmut schützen und andererseits den Versicherungsträgern höhere Einnahmen verschaffen.
„Fortschritte in der Sozialgesetzgebung“, resümiert Heinrich Schafmeister augenzwinkernd, „erfolgen nur in homöopathischen Dosen.“ Darum erwarte er vom Gesetzgeber nicht morgen den großen Wurf, aber regelmäßig viele kleine Schritte in die richtige Richtung, um langfristig die strukturelle Benachteiligung der Künstler und Kulturschaffenden im Sozialsystem zu beseitigen.
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