Die Kommissarinnen-Schwemme. Optische Täuschung?

Julia Beerhold
18. März 2016
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Wenn ich mit Leuten darüber spreche, dass Frauen immer noch weniger im fiktionalen Erzählen vorkommen als Männer, ernte ich manchmal ungläubiges Staunen. „Echt? Aber es gibt doch so viele Kommissarinnen?“ Und wenn ich darauf hinweise, dass dieser Umstand immer noch – wie eh und je – verschärft wird durch die Tatsache, dass Schauspielerinnen ab einem gewissen Alter noch stärker vom Bildschirm verschwinden, kommt unter Garantie der Hinweis auf Hannelore Elsner, Iris Berben und Co.

Nichts gegen diese wunderbaren Kolleginnen, deren Arbeit und Karriere ich persönlich sehr schätze. Es geht mir darum, dass die Tatsache, dass einige wenige Frauen über Fünfzig es glücklicherweise geschafft haben weiterhin medial präsent zu sein, den Blick darauf versperrt, dass Frauen zahlenmäßig immer noch enorm unterrepräsentiert sind. Dieses rein zahlenmäßige „Zu-wenig-Vorkommen“ wird noch verschärft durch Faktoren wie Alter, ethnisches Erscheinungsbild, Body-Mass-Index usw. (Und wenn wir vorkommen, werden wir auch noch schlechter bezahlt – aber dazu mehr in einer der nächsten Magazin-Ausgaben.)

Es ist jedenfalls interessant: Wir sind so daran gewöhnt, in Film und Fernsehen mehr Männer als Frauen zu sehen, dass wir eine „Kommissarinnen-Schwemme“ wahrnehmen, wo es keine gibt. Natürlich ermitteln in den Tatorten und Polizeirufen heute mehr Frauen als vor 30 Jahren. Aber wenn wir genauer hinsehen, erkennen wir schnell, dass es immer noch deutlich mehr Männer auf dem Bildschirm gibt als Frauen. Unsere britische „Schwestergewerkschaft“ Equity zählt zum Beispiel ein Verhältnis von zwei zu eins von Männer- zu Frauenrollen und setzt sich dafür ein, dass Filmförderung an ein Gender-Monitoring gekoppelt wird.

Wäre das nicht auch ein aufschlussreicher Ansatz für die deutsche Filmindustrie? Sollten nicht auch wir Sender und Institutionen der Filmförderung dazu bewegen, Zahlen zu erheben und offenzulegen, wie viele Frauen (vor und hinter der Kamera) in ihren Produktionen beschäftigt werden? Am besten verbunden mit der Auflage, dass in der Gesamtsumme aller geförderten bzw. produzierten Filme Frauen zur Hälfte vorkommen!? Ganz einfach so, wie wir auch in der Realität die Hälfte der Bevölkerung ausmachen?

Warum eigentlich nicht? Was hält uns davon ab? In Artikel 3 des Grundgesetzes steht doch: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“

Da steht nicht der Zusatz: Und wenn ihr euch Geschichten ausdenkt (womöglich noch für das öffentlich-rechtliche Fernsehen), dann zeigt bitte ein Drittel weniger Frauen als Männer. Erzählt Stoffe, in denen per se mehr Männer als Frauen vorkommen. Erzählt männliche Helden komplex und autark, weibliche Heldinnen in Bezug auf die Liebe zu einem Mann. Und da steht auch nicht: Besetzt bitte auch die Nebenrollen, bei denen es dramaturgisch wurscht ist, ob sie von einem Mann oder einer Frau gespielt werden, vorwiegend männlich. Und zeigt Frauen bloß nicht so, wie sie in der Realität vorkommen, in ihrer Komplexität und Vielfalt, sondern als Figuren, die, falls sie überhaupt sprechen, über einen Mann reden. Und da steht auch nicht: Nur junge Frauen sind erzählenswert! Macht ja nix, wenn der Typ, an den sie in der Story angedockt sind, gefühlt zweihundert Jahre älter ist. Und bloß nicht vergessen: Nur „attraktive“ Frauen zeigen! Wobei das klar definiert ist: dünn, jung, weiß, heterosexuell und faltenfrei.

Das alles steht da nicht. So kommen wir aber – immer noch – in der überwiegenden Vielzahl der Filme und Serien vor. Was also spricht dagegen, zu fordern, dass Frauen in Haupt- und Nebenrollen als komplexe, die Handlung vorantreibende Charaktere dargestellt werden? Und vor allem: Dass Frauen (in der Gesamtsumme der fiktionalen Formate des öffentlich-rechtlichen Fernsehens) zur Hälfte vorkommen?

Die gute Nachricht: Es bewegt sich etwas. Die Bündnisse „Pro Quote Regie“ und „Pro Quote Medien“ lenken die Aufmerksamkeit auf die Verhältnisse hinter den Kulissen. Auf der Berlinale war das Thema „Gender“ an vielen Stellen spürbar; Institutionen (wie das Familienministerium) und Einzelpersonen aus verschiedenen Branchen engagieren sich und bündeln ihre Kräfte. In Gesprächen mit vielen Casting-Direktorinnen konnte ich über die letzten Jahre bereits feststellen, wie sensibilisiert viele Casterinnen für das Thema sind und von sich aus sowohl Männer als auch Frauen für Rollen vorschlagen, bei denen das Geschlecht dramaturgisch keine Rolle spielt. (Der BFFS wünscht sich hier übrigens noch mehr: Auch kleine Rollen sollten immer einen Namen haben. Dies ist nicht nur eine Frage des Respekts vor unserem Handwerk, sondern hat auch einen Einfluss auf die Kalkulation – und auf den Umgang am Set. Eine Rolle ohne Namen ist weniger wert – monetär und ideell. Hier wäre also der praktikable Vorschlag: Kleine Rollen, bei denen das Geschlecht unwichtig ist, sollten einen Namen haben – und nicht automatisch männlich besetzt werden, sondern paritätisch. So paritätisch wie die Wirklichkeit eben ist.)

Das Missverhältnis der Geschlechter in Film und Fernsehen sowie die ungleiche Bezahlung sind natürlich kein deutsches Phänomen. Daher beschäftigen sich glücklicherweise weltweit Menschen und Organisationen mit der Frage nach den Ursachen und möglichen Lösungen. Das von der gleichnamigen amerikanischen Schauspielerin und Produzentin gegründete Geena-Davis-Institut hat 2014 eine ebenso interessante wie deprimierende Studie zu Frauenbildern im Film veröffentlicht. Es wurden jeweils die zehn erfolgreichsten Filme aus Australien, Brasilien, China, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Indien, Japan, Russland, Südkorea und den USA ausgewertet.

Das Fazit: Das Verhältnis von Männern zu Frauen im Film hat sich seit 1946 kaum verändert. Nach wie vor sind drei Mal mehr Männer als Frauen zu sehen. Nur 23 % der Filme haben weibliche Heldinnen, in Actionfilmen sind es noch weniger.

Und wenn Frauen vorkommen, werden sie auch noch auf das Aussehen reduziert:

40 % der Frauen sind dünn und durchtrainiert – bei den Männern sind es 15 %.
13 % der Frauen sind sehr attraktiv – bei den Männern liegt diese Zahl unter 3 %.
24 % der Frauen sind nackt oder halbnackt inszeniert – der Prozentsatz bei den Männern liegt unter 12 %.
Und beim Thema „sexy Kleidung“ liegt Deutschland an der Spitze!

Wer die Studie nachlesen möchte: http://seejane.org/symposiums-on-gender-in-media/gender-bias-without-borders/

Wir wollen uns aber nicht entmutigen lassen, sondern nach vorne sehen.

Schweden macht uns gerade vor, was alles möglich ist, wenn der politische Wille und das Bewusstsein da sind: Anna Serner und das Schwedische Filminstitut hatten sich auf die Agenda geschrieben, eine Quote für die Vergabe der Filmfördermittel einzuführen: Fördergelder sollten so vergeben werden, dass in den Schlüsselpositionen Drehbuch und Regie sowie unter den Produzenten und Produzentinnen der geförderten Werke jeweils genauso viele Frauen wie Männer vertreten sind.

Seit 2013 stieg der Anteil der Frauen in diesen Positionen sichtbar – 2015 wurden die Fördermittel schließlich zu gleichen Teilen an Frauen und Männer verteilt.
Gut, Schweden hat aufgrund der Stellung des schwedischen Filminstituts eine andere filmwirtschaftliche Struktur als Deutschland, aber es zeigt, in welche Richtung wir denken können und in wie kurzer Zeit messbare Ergebnisse erreichbar sind.

Der spannende Bereich „Gender“ wird daher bei verschiedenen Stammtischen in diesem Jahr Thema sein und wir werden uns regelmäßig hier im Magazin dazu positionieren. Eure Anregungen bei den Stammtischen sind erwünscht. Wir freuen uns auf spannende Diskussionen mit euch!

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