Am Theater ticken die Uhren anders

Heinrich Schafmeister
27. Mai 2016

Erdumlaufbahn[1]Das sogenannte „tropische Jahr“ ist die Grundlage unserer Zeitrechnung und dauert exakt 365 Tage, 5 Stunden, 48 Minuten und 45,261 Sekunden. Das sind …Taschenrechner… 365,2421905 Tage bzw. 52,17745579 Wochen. Dann hat der durchschnittliche Monat (52,17745579 Wochen geteilt durch 12 Monate im Jahr …Taschenrechner…) exakt 4,348121316 Wochen. Aber am Theater ticken die Uhren anders!

Dort wurde den Schauspielerinnen und Schauspieler eine 48 Arbeitsstundenwoche unterstellt und ihre tarifliche Mindestgage pro Monat auf 1.765 € angehoben. Bravo! Wie weit hebt sich diese Gage nun vom gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 € pro Stunde ab?

Dazu eine kleine Textaufgabe:

Wenn 1.765 € für einen Monat bezahlt werden, der 4,348121316 Wochen dauert, an denen wiederum jeweils im Schnitt 48 Stunden gearbeitet werden, welchen Stundenlohn haben dann die Schauspielerinnen und Schauspieler? Wir müssen die 1.765 € also durch 4,348121316 Wochen und durch 48 Arbeitsstunden teilen. Und das sind dann …Taschenrechner… 8,456717433, also aufgerundet 8,46 € pro Stunde.

Hoppla! Die tarifliche Mindestschauspielgage am Theater liegt nicht einmal auf, sondern vier Cent unter dem gesetzlichen Mindestlohnniveau!

Das darf natürlich nicht wahr sein. Darum rechnen wir jetzt genau in die andere Richtung: Wenn bei Schauspielerinnen und Schauspielern die tarifliche Mindestgage dem gesetzlichen Mindestlohn entspricht, wenn also für 48 Wochenarbeitsstunden mit 8,50 € bezahlt werden und das genau 1.765 € pro Monat ergeben, wieviel Wochen hat dann ein Theatermonat, wie schnell lässt das Theater die Erde um die Sonne sausen?

Dafür teilen wir die 1.765 € tarifliche Mindestgage durch die 48 Arbeitsstunden und durch die 8,50 € Mindestlohn und kommen auf …Taschenrechner… 4,325980392 Wochen pro Monat. Diese Wochenanzahl multiplizieren wir mit den 12 Jahresmonaten und der Taschenrechner spuckt für ein Theaterjahr 51,91176471 Wochen aus, bzw. 363 Tage, 9 Stunden, 10 Minuten und 35 Sekunden. Wir erleben also am Theater eine gewisse Erdbeschleunigung.

Und sein wir ehrlich: Diese Erdbeschleunigung deckt sich mit unserem Grundgefühl am Theater. Nicht wenige von uns haben sogar das schwindelige Gefühl, bei dem Tempo aus der sozialen, wirtschaftlichen und seelischen Bahn geschleudert zu werden.

Andere von uns sind aber noch kleinlicher und behaupten, sie würden pro Woche für Proben und Vorstellungen mehr als 48 Stunden am Theater hocken und mit den nötigen Vorbereitungen in unserer „freien“ Zeit alles in allem 51, 53, 55 Stunden oder gar noch länger arbeiten. OK, zur exakten Erfassung bietet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine kostenlose BMAS-App an.

Nehmen wir mal an, es sein nur 50 ¾ Stunden in der Woche. Dazu sagt der Taschenrechner: Dann wird entweder der Mindestlohn um über 50 Cent unterlaufen oder die Erde beschleunigt sich auf 343 Tage, 16 Stunden, 36 Minuten und 1 Sekunde pro Jahr. Beides sind – galaktisch und privat gesehen – äußerst beunruhigende Vorstellungen.

In der Kunst und am Theater dürfen, ja, sollen die Uhren ruhig ein bisschen anders ticken – aber bitte nicht gegen Schauspielerinnen und Schauspieler. Sonst ticken wir mal aus…

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