Einhaltung von Sozialstandards und Geschlechtergerechtigkeit: Was lange gärt…

Hans-Werner Meyer
8. Dezember 2016
ziel photo
Copyright struschi

…wird endlich Politik. Dann gärt es noch ein bisschen länger in der Politik und irgendwann – wenn es schon keiner mehr erwartet – schwupps, ist es gelbschäumende, leckere Realität. Was die beiden oben erwähnten Themen angeht, treten wir offenbar gerade in den Bereich der Politikgärung ein. Grund zur Freude? Allerdings! Denn ohne unser jahrelanges Drängen wären diese Themen sicher nicht in der Koalitionsvereinbarung der neuen Berliner rot-rot-grünen Koalition, die diese gerade im Netz veröffentlicht hat.

Denn siehe da: Unser jahrelanges Mantra, dass bei der Vergabe von Fördermitteln welcher Art auch immer die Einhaltung von Sozialstandards für die Beschäftigten berücksichtigt werden muss, hat endlich Gehör gefunden. Ab Zeile 338 auf der Seite 121 heißt es dort:

Die Sender sollen bei der Vergabe von Aufträgen dafür Sorge tragen, dass die Auftragnehmer*innen geltende Sozialstandards einhalten können…

 Und auch unsere Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit wird aufgegriffen. Denn weiter heißt es:

 … und langfristig die Hälfte der Aufträge (Produktion, Regie, Drehbuch) an Frauen vergeben werden.

Moment! Fehlt da nicht etwas? Da war doch was! Von einem nicht unwesentlichen Teil der Beschäftigten bei Film- und Fernsehproduktionen ist da bisher noch keine Rede, nämlich den Schauspielerinnen.

Das liegt allerdings nicht daran, dass die rot-rot-grüne Koalition die Notwendigkeit der Geschlechtergerechtigkeit für die Beschäftigten VOR der Kamera leugnen würde. Das wissen wir aus zahlreichen Gesprächen mit beteiligten Politikern. Es liegt eher daran, dass es für diese Beschäftigten-Gruppe, also für uns Schauspielleute, komplizierter ist, diese Gerechtigkeit herzustellen.

Denn unsere Beschäftigungslage hängt ja von den Geschichten ab, die erzählt werden, und von deren Personal. Dass es derzeit in dieser Hinsicht alles andere als gerecht zugeht, dass darüberhinaus das Frauenbild hierzulande weitgehend veraltet ist, darauf haben wir mehrfach hingewiesen (siehe Positionspapier des BFFS und die Artikel "Frauen im deutschen Fernsehen" und "Die Kommissarinnen-Schwemme".

Die Hebel, das zu ändern, liegen also bei den Förderinstrumenten. Die Fördergremien können bei der Vergabe der Fördermittel darauf achten, dass diese beiden Aspekte als Kriterien für die Förderung Anwendung finden. Bevor sie das aber tun, brauchen wir verlässliche Zahlen, die unsere Wahrnehmung bestätigen, dass Frauen darin deutlich unterrepräsentiert sind.

Verlässliche Zahlen wiederum können nur durch eine wissenschaftliche Studie generiert werden. Und eine solche wird nun endlich durchgeführt, nämlich die „Studie zur Ermittlung von Geschlechterdarstellungen in deutschen TV- und Kinoproduktionen“, durchgeführt von der Universität Rostock, initiiert von unserer Kollegin Maria Furtwängler, beauftragt von den vier großen Sendern, unter Leitung von Frau Prof. Dr. Elizabeth Prommer, die sich bei einem Vorbereitungstreffen unter anderem von der Leiterin unseres Gender-Ressorts, Julia Beerhold und unserem Mitglied Belinde Ruth Stieve mit Informationen versorgt hat.

Auch in folgenden vier Aussagen in der Koalitionsvereinbarung geht die Saat unserer jahrelangen Arbeit auf:

Berlin spricht sich für eine möglichst langfristige Stabilität des Rundfunkbeitrags aus.

Wir erinnern uns an die absurde öffentliche Freude über die Senkung des Rundfunkbeitrages um den Gegenwert einer Vollkornsemmel, die nur mit der Ignoranz unseren permanenten Hinweisen gegenüber zu erklären war, dass die vom öffentlichen Rundfunk beauftragten Produktionen in großen Teilen unterfinanziert sind, was eben zu der Vernachlässigung jener Sozialstandards geführt hat, deren Einhaltung nun in der Koalitionsvereinbarung eingefordert wird. Allerdings gehen wir davon aus, dass „Stabilität“ eben auch bedeutet, dass der Beitrag nicht nur nicht erhöht, sondern auch nicht auf unsere Kosten gesenkt wird.

Die Koalition spricht sich gegen eine rechtliche Vorgabe zur zeitlichen Beschränkung oder Löschen von Inhalten, wie die bisherige 7-Tage-Regel. Eigenproduktionen sollen möglichst unter freier Lizenz dauerhaft zur Verfügung gestellt werden.

 Moment, ist das wirklich in unserem Interesse? - Naja, unter dieser Bedingung schon:

Die Koalition legt Wert darauf, dass Belange der Produzentenschaft und der Urheber*innen angemessen berücksichtigt werden.

Angemessen berücksichtigt. Das klingt gut! Und es entspricht ja auch gültigem Recht, nämlich dem Urheberrecht, das fordert, dass urheberrechtlich relevante Leistungen „angemessen vergütet“ werden müssen. Denn in unserem Interesse liegt schließlich nicht, dass unsere Werke so wenig, sondern so viel wie möglich genutzt werden. Vorausgesetzt eben, diese Nutzung wird vergütet.

Auch im Theaterbereich bekennt die Regierung sich endlich zu den selbst aufgestörten Regeln, indem sie sich dazu verpflichtet,

durch Einführung von Mindesthonoraren in öffentlich geförderten Projekten,

die in der freien Szene häufig vorkommenden prekären Arbeitsvedingugngen zu bekämpfen.

Und schließlich:

Die Koalition wird sich für eine Aufstockung der Bundesmittel beim Deutschen Film- und Fernsehfonds (DFFF) einsetzen, sowie auf Basis einer europaweiten Evaluation einen automatisierten Fördermechanismus von Filmen entwickeln.

Auch das ist dringend erforderlich, wenn wir wollen, dass weiterhin große internationale Produktionen hier realisiert werden. Zum Vergleich: Der hier erwähnte DFFF (Deutscher Filmförderfonds, nicht, wie hier fälschlich geschrieben Deutscher Film- und Fernsehfonds) wurde im letzten Jahr von 70 auf 60 Millionen Euro gesenkt, obwohl von unserer Seite mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass jeder eingesetzte Euro nahezu doppelt wieder in die Staatskasse zurück gespült wird.

In derselben Zeit hat Italien einen vergleichbaren Fonds mit 400 Millionen Euro aufgelegt, während Großbritannien jede internationale Produktion, die im UK dreht, mit 25 % unterstützt und diese Unterstützung gar nicht erst nach oben hin deckelt.

Deutschland droht dadurch in dieser Hinsicht wieder ins Hintertreffen zu geraten. Derzeit wird, wie aus Filmwirtschaftskreisen verlautet, nach einem Alleinstellungsmerkmal gesucht, um den Produktionsstandort Deutschland attraktiver zu gestalten. Auch hierzu haben wir einen Vorschlag, den wir in die Diskussion werfen, in der Hoffnung, dass seine Gärung nicht so lange dauern möge wie die der beiden oben erwähnten Themen: Wie wäre es mit der Qualität unserer Filmschaffenden? Und zwar unter Einbeziehung unserer großartigen Schauspielleute? Eine deutlich höhere Förderung gekoppelt an die Beschäftigung deutscher Schauspielerinnen und Schauspieler, und zwar in relevanten Rollen und zu den Bedingungen, die den SAG-gebundenen Kolleginnen und Kollegen gewährt werden.

Zukunftsmusik? Sicher. Aber was lange gärt…

Kommentarfunktion geschlossen.