BFFS & Bühne

Heinrich Schafmeister
3. März 2017

„Auf der Bühne und im Leben kann man sich nicht verstecken“

Der Bundesverband Schauspiel will sich nicht verstecken – auch nicht im Bühnenleben. Als Gewerkschaft, als mitgliedsstärkste Schauspielorganisation und als Berufsverband mit den meisten Bühnenschauspielerinnen und -schauspielern in Deutschland hat der Bundesverband Schauspiel die Verpflichtung, sich in der Theaterlandschaft für seine Mitglieder einzusetzen.

Die an Theatern „fest“ Arbeitenden, also Spielzeitverpflichteten, sind gerade seit letztem Jahr vermehrt dem Bundesverband Schauspiel beigetreten und bilden inzwischen ca. 17 % des Mitgliederbestandes. Das sind die Hälfte derjenigen mit dem Schwerpunkt Bühne (34 %). Die andere Hälfte und die Mitglieder mit anderen schauspielerischen Schwerpunkten arbeiten als „Freie“, also als Gäste an Theatern.

Kurz, die am Theater arbeitenden Schauspielerinnen und Schauspieler sind in unserer Schauspielgewerkschaft stark vertreten – mit steigender Tendenz. Ihrem (Hilfe-)Ruf folgend muss der Bundesverband Schauspiel sowohl in der etablierten als auch in der „freien“ Theaterszene die Probleme anpacken. Wie sehen wir die Situation im Bühnenbereich? Wo drückt unseren Leuten dort der Schuh? Welche Rahmenbedingungen müssen wir ändern?

Etablierte Theaterszene

© Heinrich Schafmeister

Auf diesem Feld herrschen für Schauspielerinnen und Schauspieler Rahmenbedingungen, die seit Ewigkeiten von der Genossenschaft der Bühnenangehörigen (GDBA), und dem Deutsche Bühnenverein bestimmt werden. Denn diese Tarifparteien gestalten bisher den Tarifvertrag NV Bühne.

Bei Tarifverhandlungen spricht die GDBA zusammen mit der Vereinigung Deutscher Opernchöre und Bühnentänzer (VDO) für alle künstlerische Bühnenangehörige, also auch für Theaterschauspielerinnen und -schauspieler. Unsere Berufskolleginnen und -kollegen sind aber innerhalb der GDBA nur schwach organisiert und können demzufolge das Tarifgeschehen in ihrem Sinne kaum beeinflussen.

Hinter der Arbeitgeberorganisation, Deutscher Bühnenverein, stecken die Theater bzw. ihre Intendanten, aber das eigentliche Sagen haben dort die Rechtsträger der Theater, also die Städte, Gemeinden und Länder. Und letztere haben oft keine Skrupel, am Kulturetat zu sparen, Ensembles zu verkleinern oder gar ganz abzuschaffen.

In der Schwäche der Schauspielvertretung einerseits und andererseits in dem unterentwickelten Bewusstsein der Finanzverantwortlichen in den Städten, Gemeinden und Ländern, wie unentbehrlich lebendige Theater für lebenswerte Gemeinwesen sind, liegen die eigentlichen Ursachen, warum aus Sicht der Schauspielerinnen und Schauspieler der NV Bühne so unbefriedigend ausfällt …

  • Der NV Bühne definiert eine monatliche „Mindestgage“, die ohne Berücksichtigung der Berufserfahrung für alle gilt, und nicht eine „Einstiegs“- oder „Anfänger“-Gage, die sich wie im Film/Fernseh-Bereich nur auf Berufsanfänger bezieht und dadurch den „älteren Hasen“ mehr Verhandlungsspielraum nach oben bieten würde.
  • Diese Mindestgage von 1.850 €, befindet sich – gemessen an den jenseits der geltenden Arbeitszeitregelungen tatsächlich zu leistenden Wochenarbeitsstunden – sogar unter dem Niveau des Mindestlohns von aktuell 8,84 € pro Stunde.
  • An den Bühnen herrschen familienfeindliche Arbeitszeiten, Erreichbarkeits-, Residenzpflichten, die aber bei der Bemessung der tariflichen Mindestgage offensichtlich nicht gewürdigt werden.
  • Die tariflichen Arbeitszeitregelungen nehmen auf die Bedürfnisse der Schauspielerinnen und Schauspieler keine Rücksicht und richten sich ausschließlich nach den Belangen des Theaterbetriebs.
  • Vorbereitungen wie Text- und Rollenstudium, Kostümanproben etc. finden faktisch in Ruhezeiten statt und werden als Arbeitszeiten nicht erfasst. Dadurch ergeben sich tatsächlich Wochenarbeitszeiten, die weit über die angenommenen 48 Stunden hinausgehen.
  • Außerdem ist zu befürchten, dass für Schauspielgäste demnächst eine fixe Mindestgage pro Vorstellung tarifiert wird, die leider weitere Anreize für den Ensembleabbau schaffen wird, statt eine flexible Einstiegsgage pro Vorstellung einzuführen, die je nach Dichte der Vorstellungen im vertraglichen Zeitraum höher oder niedriger ausfällt.

… Um nur einige Missstände zu nennen.

Aber meckern kann ja jeder. Unsere Gewerkschaft, der Bundesverband Schauspiel, weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer das Durchsetzen eigener Tarifziele ist und dass alle nur mit Wasser kochen. Umso wichtiger ist dem BFFS, sich künftig konstruktiv ins Tarifgeschehen einzuschalten. Wie im Film/Fernseh-Bereich mit ver.di möchte der BFFS im Theaterbereich die bisherige Arbeitnehmervertretung, GDBA und VDO, bereichern, ihre Verhandlungsmacht stärken – insbesondere zugunsten von Schauspielerinnen und Schauspielern. Der Bundesverband Schauspiel bietet daher seine tarifliche Zusammenarbeit an. Eine solche Tarifpartnerschaft böte auch andere Vorteile. So wäre in dem Rahmen beispielsweise denkbar, eine GDBA-BFFS-Doppelmitgliedschaft mit niedrigeren Beitragsätzen zu begünstigen.

Jedenfalls schreit die teilweise erbärmliche Situation der Schauspielerinnen und Schauspieler an den Staats-, Stadt- und Landestheatern nach einem Zusammenwirken aller gewerkschaftlichen Kräfte, schreit nach einem neuen zündenden Durchstarten – und dieser Verantwortung will sich der Bundesverband Schauspiel nicht entziehen.

„Freie“ Theaterszene

© Heinrich Schafmeister

Was heißt hier eigentlich „frei“? Die Wahrheit ist doch, dass wir Schauspielerinnen und Schauspieler – wir wollen und müssen halt schauspielen – besonders massiv an Off-Theatern höchst un-„frei“-willig in eine vogel-„freie“ Situation geraten und dadurch sozial und wirtschaftlich in den „freien“ Fall geschubst werden. Diese „freie“ Szene ist beinahe völlig „frei“ von schützenden Regeln. Während viele Privattheater tariflich ungebunden sind, aber immerhin versuchen trotz ihres schwierigen Umfelds, zumindest Recht und Gesetz einzuhalten, z. B. ihre Schauspielgäste sozialzuversichern, bewegen sich Off-Theater nicht nur tariflich, sondern zumeist auch rechtlich in einer Off-Zone:

  • Da werden genau wie an etablierten Theatern Stücke angesetzt und dafür Schauspielleute verpflichtet, also tatsächlich abhängig beschäftigt, die dann aber als Scheinselbständige einer getürkten GbR nicht sozialversichert werden und dazu noch, falls etwas passiert, das Haftungsrisiko tragen – was aber viele von ihnen nicht bedenken.
  • Die andere gesetzlich vorgeschriebene Altersvorsorge, die Bühnenversorgung, wird oft geschlabbert.
  • Immer wieder hören wir von Fällen, dass Off-Theater sich sogar vor KSK-Abgaben drücken.
  • Die Bezahlung an Off-Theatern ist mies bis unterirdisch und nicht selten rennen die Leute ihrem Geld ewig bis vergeblich hinterher. Entsprechende Meldungen erhält der BFFS leider häufig.

Wir wollen nicht unfair sein. Die Off-Theaterszene blühte in den siebziger Jahren auf und war eine berechtigte Reaktion auf die damals verkrustet erscheinende Stadttheaterlandschaft. Kein Wunder, dass sich diese neue Szene abseits der im etablierten Theater herrschenden tariflichen Normen entwickelte. Die Off-Szene hat dem deutschen Theater durch unkonventionelle Ansätze und hoch motivierte Leute wichtige Impulse gegeben und bildet auch weiterhin eine unverzichtbare kulturelle Bereicherung. Aber auf wessen Kosten?

Städte und Gemeinden, die stolz auf die Vielfalt ihrer durch die Off-Szene befruchteten Theaterszene verweisen, leisten dafür oftmals nur bescheidene Zuwendungen. Zuwendungen, von denen sie eigentlich wissen müssen, dass gesetzeskonforme Off-Theaterproduktionen davon nicht leben können. Die Betreiber solcher Off-Theater werden schlichtweg im Stich gelassen! Zudem müssen sich die etablierten und gesetzestreuen Theater bei Budgetgesprächen einem Kostenvergleich mit den im off-rechtlichen Bereich arbeitenden Off-Bühnen stellen und geraten dadurch unter Druck, die sozialen und wirtschaftlichen Standards überall dort, wo dies leicht möglich ist, noch weiter runter zu schrauben. Und ausbaden müssen das hauptsächlich die Künstlerinnen und Künstler. Sie sind die eigentlichen Opfer dieser Entwicklung – im Off- und im etablierten Theater.

Ist die Situation in der etablierten Theaterlandschaft schon erbärmlich, so ist das soziale und wirtschaftliche Elend in der freien Szene – für Betreiber wie für uns – noch viel grundlegender und komplizierter. Mit wem sollte der BFFS um Rahmenbedingungen ringen, wenn es in der Privat- und Off-Theaterszene gar keine Arbeitgeberorganisation gibt? Wie könnten dort etwa verbindliche Gagenregelungen durchgesetzt werden, wenn Schauspielerinnen und Schauspieler zum Schein zu Selbständigen erklärt werden? Gar nicht, denn bei echten Selbständigen sind solche Preisabsprachen kartellrechtlich verboten. Und überhaupt: In einer Szene, die bisher große wirtschaftliche Schwierigkeiten hat, Regeln einhalten zu können, muss grundsätzlicher angesetzt werden.

Wir müssen die Off-Szene – ohne ihre Existenz zu gefährden – aus der rechtlichen Schmuddelecke herauszerren. Dazu möchten wir uns mit allen dort agierenden Interessengruppen austauschen. Gemeinsam mit ihnen müssen wir Städte, Gemeinden und Länder auffordern, eine ausreichende finanzielle Basis für die freie Szene zu schaffen. Das ist die Voraussetzung, um den rechtlichen Sumpf dort trockenlegen zu können.

Mitgliederwerbung

Unsere Herausforderungen im Bereich Bühne sind also mindestens so groß wie die in den Bereichen Film/Fernsehen und Synchron. Aber wenn sich der gerade in letzter Zeit erfreuliche Mitgliederzuwachs aus dem Theaterbereich auch künftig fortsetzt, haben wir gute Erfolgschancen.

Darum bitten wir besonders unsere zahlreichen Theaterschauspielerinnen und -schauspieler in ihren Ensembles auf unsere Gewerkschaft, den BFFS, aufmerksam zu machen, und die Kolleginnen und Kollegen dort aufzufordern, sich unserer Gemeinschaft anzuschließen. Denn wenn sie Veränderungen wollen, dürfen sie – wie auf der Bühne – sich nicht verstecken!

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