Was ändert sich nach Harvey Weinstein?

Bernhard F. Störkmann
20. Oktober 2017

Der Fall „Harvey Weinstein“ hat die Diskussion über sexuelle Belästigung und sexuellen Missbrauch am Arbeitsplatz in der Film-, Fernseh- und Bühnenbranche auch in Deutschland entfacht.

Den Opfern, die den Mut aufgebracht haben, gegen das wegschauende, komplizenhafte Schweigen im Umfeld Weinsteins, den Schritt in die Öffentlichkeit zu wagen, gebührt allergrößten Respekt!

Das Bedürfnis nach öffentlicher Berichterstattung anlässlich des Weinstein-Skandals ist nachvollziehbar und gut. Auf diese Weise bricht sich ein Thema in der Öffentlichkeit Bahn, das gerade durch die einzelnen betroffenen Opfer oftmals aus Angst, Scham und Furcht vor weiteren Konsequenzen und Nachteilen, nicht thematisiert werden kann. Das aktuelle mediale Interesse sensibilisiert für ein Problem und schafft vielleicht eine nachhaltige Bereitschaft in unserer Branche, sich im Sinne der Opfer und der Prävention, mit den Themen: sexuelle Belästigung, sexuelle Gewalt, Mobbing und Diskriminierung in dieser Szene auseinanderzusetzen.

Bedingt durch die Art und Weise, wie in unserer Branche gearbeitet wird, sind die im Film-, Fernseh-, Bühnen- und Synchrongeschäft Tätigen besonderen Risiken ausgesetzt:

Sie arbeiten zumeist befristet für ein Projekt, also nur vorübergehend und zudem in betrieblichen Strukturen, die oftmals nicht die entsprechenden Anlaufstellen bieten können, an die sich Opfer übergriffigen Verhaltens wenden könnten. So existieren in kleinen Filmproduktionen, Synchronstudios oder Theaterbetrieben keine Personal- bzw. Betriebsräte. Ebenfalls fehlen Gleichstellungsbeauftragte oder eine Personalabteilung.

Übergriffiges Verhalten ereignet sich schon in der Anbahnungsphase für ein Engagement, beispielsweise beim Casting, beim Vorspielen oder gar beim Vorstellungsgespräch in einer Agentur.

Der häufige Wechsel von Engagements, die stete Bewerbungssituation für das nächste Engagement bringt insbesondere Schauspielerinnen oft in Situationen, in denen ein vorgegebenes Machtgefüge und Hierarchiestrukturen einen fruchtbaren Boden für sexuell übergriffiges Verhalten darstellen.

Hinzu kommt, dass sich schauspielerisches Arbeiten oft in emotionalen Bereichen vollziehen muss. Das bietet auch Tätern die Möglichkeit, sich hierhinter zu verstecken.

Welchen Beitrag können wir als Berufsverband leisten, damit künftig sexistische Belästigung, sexistische Übergriffe und sexistisch motivierte Straftaten an Kolleginnen und Kollegen im besten Fall der Vergangenheit angehören?

Wie können wir Opfern und Betroffenen in Zukunft helfen und ihnen Unterstützung zukommen lassen?

Wie können wir sicherstellen, dass Opfer und Betroffene mit ihren Problemen und Erfahrungen nach Abebben der derzeit intensiven öffentlichen Berichterstattung nicht wieder alleine bleiben.

 

1. Einrichtung einer Beschwerdestelle

Der BFFS fordert die Einrichtung einer verbandsübergreifenden gemeinsamen Beschwerdestelle von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden. Diese Beschwerdestelle soll sich mit der Aufklärung konkreter Beschwerden von Opfern und Betroffenen befassen.

Diese Beschwerdestelle könnte von folgenden Verbänden bspw. eingerichtet werden:

IVS, BFFS ver.di, BVR, BVC, VDA, Pro Quote Regie, Produzentenallianz

Der BFFS wird diese Verbände zu einem Arbeitskreis einladen, der die Konstituierung und Arbeitsweise dieser Beschwerdestelle auf den Weg bringt.

 

2. Anlaufstelle für Opfer und Betroffene

Der BFFS bietet betroffenen Mitgliedern die Möglichkeit zum vertraulichen Erstgespräch und unterstützt bei

der Vermittlung von therapeutischer Hilfe sowie

der Vermittlung von rechtlicher Unterstützung

 

3. Einrichtung eines anonymisierten Beschwerdekasten:

 Unter der Gürtellinie

Der BFFS wird unter www.bffs.de, unter dem Button „Unter der Gürtellinie“ die Möglichkeit einrichten, dass Opfer und Betroffene ihren Fall anonym schildern können und Täter konkret benennen können. Hier wird absolute Vertraulichkeit garantiert.

So erhält der BFFS einen Überblick über Art und Ausmaß von sexistischen Missbrauchsfällen.

Ein solcher Beschwerdekasten versetzt den BFFS in die Lage, Wiederholungsfälle besser auszuwerten und gezielt als Verband hiergegen vorzugehen, ohne die Anonymität der betroffenen Opfer aufheben zu müssen.

Der BFFS erhält auf diese Weise Informationsmaterial, um auch politisch als Gewerkschaft ganz gezielt mit den Arbeitgeberverbänden eine Verbesserung der Situation verhandeln zu können.

Im Zusammenspiel mit der verbandsübergreifenden Beschwerdestelle soll auch dieser Beschwerdekasten abschreckend für potentielle Täter wirken.

Es wird nicht allzu lange dauern, dann wird Harvey Weinstein die Titelseiten und Schlagzeilen der öffentlichen Berichterstattung wieder verlassen haben.

Kehrt die Film-, Fernseh- und Theaterszene dann zum Business as usual zurück?

Der BFFS und alle Branchenverbände sind gefragt, darauf zu achten, dass sich wirklich was ändert – auch weit nach Harvey Weinstein.

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