Die IVS-BFFS-Verschmelzung kommt in ihre heiße Phase
Wenn zwei zur Hochzeit schreiten, wollen sie mit Zuversicht gemeinsam die Zukunft bestreiten. Jeder bringt seine Geschichte und Erfahrungen mit, jeder hat seinen Kopf, behält seinen Stolz. Aber mit all dem richten sie sich beide gemeinsam neu ein und wollen gemeinsam stärker sein – noch stärker als die Summe ihrer Kräfte.
Der InteressenVerband Synchronschauspieler (IVS) und der Bundesverband Schauspiel (BFFS) stehen vor einer solchen Hochzeit.
Bereits im vergangenen Jahr hatten die Mitgliederversammlungen von IVS und BFFS ihre Vorstände beauftragt, miteinander Verhandlungen zu führen, um eine Verschmelzung der beiden Verbände herbeizuführen. Bei aller Vorfreude war aber jedem bewusst, dass dies für beide Verbände ohne Tapetenwechsel nicht vonstattengehen wird. Die Vorstände beider Verbände sind mittlerweile in Klausur gegangen, haben in vertrauensvoller Atmosphäre verhandelt und sich auf Eckpunkte verständigt, unter welchen Bedingungen IVS und BFFS zusammenkommen können. In dieser nach dem Tagungsort benannten „Eichstätter Einigung“ mussten viele Aspekte berücksichtigt werden.
Neue Abstimmungsverfahren
Der IVS ist zwar der maßgebliche Schauspielverband in der Synchronbranche, aber natürlich mit seinen über 300 Mitgliedern viel kleiner als der BFFS. Der IVS betreut fast ausschließlich Synchronschauspielerinnen und -schauspieler. Die Mitglieder des BFFS haben ihren schauspielberuflichen Schwerpunkt zu ca. 40 Prozent bei der Bühne, zu ca. 50 Prozent bei Film/Fernsehen und zu ca. 7 Prozent im Synchronbereich. Ca. 3 Prozent sind noch in der Schauspielausbildung und haben deswegen keinen schauspielberuflichen Schwerpunkt. Auch mit den IVS-Mitgliedern werden die Kolleginnen und Kollegen im Synchronbereich gegenüber denen im Bühnenbereich und erst recht denen im Film/Fernsehbereich deutlich in der Unterzahl sein. Das darf aber nach der Verschmelzung nicht dazu führen, dass die speziellen Interessen dieser kleineren Synchrongruppe durch die der anderen größeren Gruppen untergebuttert werden. Darum schreibt die Eichstätter Einigung ein Abstimmungsverfahren vor, das die Stimmengewichtungen der drei unterschiedlich starken Gruppen ausbalanciert.
Allerdings sind Abstimmungen nur dann wirklich aussagekräftig, wenn allen Mitgliedern die gleiche Möglichkeit geboten wird, überhaupt abstimmen zu können. Die Anzahl der BFFS-Mitglieder steigt ständig, hat im vergangenen Jahr sogar die 3.000-Marke überschritten, aber die Schar derer, die an einer leibhaftigen Mitgliederversammlung teilnehmen, bleibt konstant überschaubar. Das hat mit Desinteresse wenig zu tun, unser Verbandsleben ist sehr rege, das zeigen auch die regionalen BFFS-Stammtische. Aber die Einen von uns haben gerade keine Arbeit und können sich einen Kurztrip zu einer zentralen Mitgliederversammlung nach Berlin, München, Köln, Hamburg oder sonst wo mit anschließender Unterkunft schlicht nicht leisten. Die Anderen haben zwar Arbeit, sind allerdings deswegen an den jeweiligen Ort gebunden. Vor allem die vielen von uns, die spielzeitverpflichtet oder en-suite irgendwo im deutschsprachigen Raum Theater spielen, haben kaum eine Chance, ihre Stadt zu verlassen. Sie sind bisher bei Mitgliederversammlungen deutlich unterrepräsentiert und bei Abstimmungen im Nachteil. Für sie will der BFFS attraktiver werden. Die Eichstätter Einigung führt daher zusätzlich die Online-Abstimmung (alternativ die Briefwahl) ein, um wieder mehr Mitglieder bei wichtigen Entscheidungen des Verbandes einzubeziehen.
Neue und geschlechtergerechte Vorstandszusammensetzung
Die IVS hat zurzeit einen drei-köpfigen Vorstand, der BFFS eine Vorstandsstärke zwischen vier und sieben Personen. Die Eichstätter Einigung sieht ein Team von sieben Vorständen vor, von denen jeweils eine bzw. einer die Bühnen-, die Film/Fernseh- und die Synchronmitgliedergruppen repräsentieren. Diese drei Vorstände sollen im Vorstandsteam immer dann ein besonderes Stimmengewicht haben, wenn es um ihre jeweiligen Schwerpunktfelder geht.
IVS und BFFS sind beide zwölf Jahre alt. Zwölf Jahre, in denen sich – zum Glück – gesellschaftlich vieles weiter entwickelt hat. Wenn unsere Schauspielgewerkschaft sich anlässlich der Verschmelzung mit dem IVS neu aufstellt, darf und will sie diese Entwicklungen nicht ignorieren. Darum schreibt die Eichstätter Einigung ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis im Vorstand zwingend vor. Teams, die zur Vorstandswahl kandidieren, müssen nicht nur mit drei repräsentierenden Personen für die drei Schwerpunktfelder Bühne, Film/Fernsehen, Sprache/Synchron antreten, sondern auch mit drei von einem und vier vom anderen Geschlecht.
Übergangsphase
Bliebe noch das Thema Geld. Durch die Verschmelzung werden sich manche Kosten verringern. Geschäftsstelle, Personal, Steuerberater usw. sind dann Posten, die nur einmal anfallen. Bisherige Doppelmitglieder werden künftig nur noch einen Mitgliedsbeitrag zahlen. Aber die Anpassung beider Beitragssysteme wird auf die Schnelle nicht gelingen. Zwar richten sich die Mitgliedsbeiträge beim IVS wie beim BFFS nach Höhe der Jahreseinkommen, aber die Beitragsstufen und die fälligen Beitragssätze sind einfach zu unterschiedlich. Hier werden sich die Mitglieder vorerst gedulden müssen, bis nach einer Übergangsphase ca. Anfang 2020 neue Beitragsstufen mit neuen Beitragssätzen geschaffen werden können.
Muskelaufbau
Alle Überlegungen zur Eichstätter Einigung waren vom Gedanken getragen, unsere Gewerkschaft möglichst größer, stärker und handlungsfähiger werden zu lassen – aber nicht dicker, behäbiger oder gar in sich gekehrter. Denn der Verband ist kein Selbstzweck, keine Schauspielerselbstverwaltung, er hat die Aufgabe, sich für unseren Berufsstand mächtig ins Zeug zu legen und dabei oft gegen den heftigen Widerstand anderer Interessensgruppen Fortschritte zu erstreiten. Dafür muss er Muskelaufbau betreiben, kein Fett ansetzen. Darum wurden alle Lösungsansätze, die unseren Gewerkschaftsapparat aufblähen, verkomplizieren, verteuern, verlangsamen würden, von vorne herein ausgeschlossen.
Rückhalt der Mitglieder
Am 12. März tagte die Mitgliederversammlung des IVS, die des BFFS am 8. April. Das waren die richtigen Zeitpunkte, die Eichstätter Einigung mit ihren vielen Neuerungen in allen Einzelheiten vorzustellen. Die Mitglieder diskutierten lebhaft und hinterfragten das Konzept ausführlich.
Wie war die Stimmung? Verschreckt die Eichstätter Einigung die Mitglieder? Ist die Lust an der IVS-BFFS-Hochzeit verflogen? Ganz im Gegenteil, das Meinungsbild war eindeutig: Die beiden Mitgliederversammlungen haben die anstehenden Reformen einstimmig befürwortet.
Mit dieser Zustimmung im Rücken werden die beiden Vorstände, unsere Juristen und eine eigens eingerichtete Arbeitsgruppe aus Mitgliedern die Vorbereitungen zügig vorantreiben, damit das Konzept der Eichstätter Einigung bald in eine neue Satzung mündet, die den Anforderungen der Zukunft gerecht wird.
Dann steht der Hochzeit von IVS und BFFS und einer gemeinsamen Zukunft aller Schauspielerinnen und Schauspieler unter einem gewerkschaftlichen Dach nichts mehr im Wege.
Heinrich Schafmeister, 1957 im Ruhrgebiet geboren, dort sozialisiert, wurde Straßen- und Rockmusiker, studiert an der Folkwang-Hochschule Schauspiel und arbeitet seit 1984 als Schauspieler. Er war seit Gründung des BFFS 17 Jahre lang dort im Vorstand zuständig für Sozialpolitik und Tarifverhandlungen und kümmert sich auch nach seinem Ausscheiden aus dem Vorstand als Bevollmächtigter um Tarifverhandlungen.