Recht auf angemessene Vergütung auch im Internet!

Hans-Werner Meyer
5. Juni 2018

Dieser Tage spielt sich in Brüssel und Straßburg ein Krimi ab, von dem die Öffentlichkeit kaum etwas mitbekommt, dessen Ausgang aber für unsere gesamte Kreativbranche eine umso größere Bedeutung hat. Es geht um nichts weniger als unser aller Zukunft. Und jeder von uns kann seinen Beitrag dafür leisten, dass es ein für uns alle guter Ausgang sein wird. Aber die Kräfte, die dem entgegenstehen, sind stark.

Es geht um das „unveräußerliche Recht auf angemessene Vergütung im Internet“. Dieses fordern sämtliche relevanten europäischen Dachverbände der Urheber und Leistungsschutzberechtigten, und sie kämpfen damit gegen die Lobbyarbeit mächtiger Gegner: Die weltweiten Medienkonzerne und vor allem die Plattformen wie Netflix, Amazon und iTunes.

Gerade hat Netflix Disney als den weltgrößten Medienkonzern abgelöst. Der Großteil des gesamten kreativen Inhaltes, also Filme, Musik, jede Art urheberrechtlich und leistungsschutzrechtlich relevanter Leistungen, wird in Zukunft gestreamt werden. Um diese dramatische Entwicklung zu illustrieren, halte man sich folgende Zahlen vor Augen: Vor 25 Jahren gab es noch über 9000 Videotheken in Deutschland, inzwischen sind es knapp 900, also nur noch 10 %.

Das hat direkten Einfluss auf unser aller Einkünfte, denn bei einer geliehenen DVD fließen Abgaben an die Verwertungsgesellschaften (VG Wort, VG Bild und GVL), die an die Urheber und Leistungsschutzberechtigten weitergeleitet werden, bei einem gestreamten Film, also derselben Tätigkeit, nur auf einem anderen Medium, fließt nichts. Gleichzeitig erodieren unsere Gagen, weil die Bedingungen, unter denen Inhalte entstehen, die von den großen Plattformen gekauft oder produziert werden, aus Mangel an ernstzunehmender Konkurrenz von diesen diktiert werden können. Ob also etwa bei einer Netflix-Serie die normalen Tagesgagen oder willkürlich festgelegte Einheitsgagen gezahlt werden, die weit darunter liegen, hängt von der Willkür des Streamingdienstes und damit Verwerters ab. Durch diese Kombination wird derzeit die seit der Kirch-Pleite ohnehin existierende Abwärtsspirale unserer Einkommen massiv verstärkt – und das, obwohl die Filmbranche als solche in vielen Sparten eigentlich derzeit ein Hoch erlebt.

Dieser Abwärtsspirale versuchen nun die europäischen Urheber- und Leistungsschutzverbände mit dem unveräußerlichen Recht auf angemessene Vergütung einen Riegel vorzuschieben, die von jenen geleistet werden soll, die von diesen Leistungen letztlich profitieren, also den Verwertern im Internet.

Die Gegner eines solchen Rechtes argumentieren, dass damit in die Vertragsfreiheit eingegriffen würde und dass die Bedingungen lieber frei verhandelbar sein sollten. Sie bevorzugen das Auskunftsrecht, das den einzelnen Künstlern die Möglichkeit geben soll, zu erfahren, was mit ihren Werken passiert, um entsprechend verhandeln oder notfalls klagen zu können.

Dieses „Vertragsfreiheit“-Argument lässt allerdings eine Tatsache völlig außer Acht: Der Einzelne von uns ist bei Verhandlungen sowieso nicht auf Augenhöhe mit den Verwertern – eher auf Schnürsenkelhöhe. Das Auskunftsrecht in Anspruch zu nehmen oder gar zu klagen, trauen sich nur diejenigen von uns, die schwarze Listen nicht fürchten, weil sie ohnehin nicht mehr vorhaben, als Künstler zu arbeiten. Ausnahme – Markus Off, die deutsche Stimme von Johnny Depp in drei „Pirates of the Caribbean“ Filmen. Er klagte, weil seine Gage in keinem Verhältnis zu dem riesigen Erfolg des Filmes stand. Der Prozess dauerte über 10 Jahre, er bekam Recht und nachträglich eine zusätzliche Vergütung, hat seitdem aber so gut wie keinen Blockbuster mehr synchronisiert, weil die großen Studios sich offenbar weitgehend darin einig sind, ihn nicht mehr zu beschäftigen.

Unsere Gewerkschaften und Verbände schlagen sich zwar wacker, um den nationalen Produzenten und Sendern faire Tarifvertrage bzw. Gemeinsame Vergütungsregeln abzutrotzen. Das ist trotz Unterstützung des deutschen Urheberrechts schon schwer genug. Aber die international agierenden Konzerne wie Netflix, Amazon und Co. sind nun wirklich ein paar Nummern größer und auch mithilfe des deutschen Urheberrechts nicht mehr zu packen. Das liegt schon allein daran, dass diese Akteure ihren Sitz meist im US-Amerikanischen Ausland haben, womit ein Prozess auch dort erfolgen müsste. Da kann sich jeder selbst ausmalen, wie realistisch und erfolgsversprechend ein solches Vorhaben wäre – nämlich gar nicht.

Also kurz: Die sogenannte „Vertragsfreiheit“ ist in diesem Fall die Freiheit der Übermächtigen uns Ohnmächtige über den Tisch zu ziehen.

mit Tilo Gerlach (Präsident der AEPO-ARTIS - Dachorganisation europäischer Verwertergesellschaften), Marija Gabriel, EU-Kommisarin für digitale Wirtschaft und Nicole Schulz (AEPO-ARTIS)

Derzeit wird in den drei maßgeblichen europäischen Institutionen eine europäische Neufassung des Urheberrechts verhandelt, der sogenannte „Draft Directive on Copyright in the Digital Single Market“, also der Richtlinien-Entwurf für das Urheberrecht im digitalen EU-Binnenmarkt. Jede der drei europäischen Instituionen wird in die Entscheidung über diesen Entwurf mit einbezogen werden: (Europaparlament, europäische Kommission - so etwas wie das europäische Kabinett) und Europarat (vergleichbar dem Bundesrat, in dem Repräsentanten der einzelnen Nationalstaaten vertreten sind).

Deshalb waren der Präsident der europäischen Dachorganisation der Verwertungsgesellschaften (Tilo Gerlach) und ich am Dienstag den 22. Mai in Brüssel bei der neuen EU-Kommissarin für digitale Wirtschaft, Marija Gabriel (Nachfolgerin von Günther Oettinger), um sie von der Notwendigkeit eines solchen Rechts auf angemessene Vergütung zu überzeugen.

Am folgenden Dienstag den 29. Mai fand dann im Europaparlament in Straßburg eine parlamentarische Anhörung statt, bei der Vertreter anderer europäischer Interessensverbände wie Konstantin Costa-Garvras, Murray Head und viele andere, sowie der deutsche Drehbuchautor und Beirat der VG WORT Jochen Greve und ich die Gelegenheit hatten, maßgeblichen Europaparlament-Abgeordneten einen Eindruck in die Lebenswelt europäischer Urheber und ausübender Künstler zu gewähren, um unserer Forderung auf die Implementierung eines solchen Rechtes auf angemessene Vergütung im Internet Nachdruck zu verleihen.

Anhörung im Euorpaparlament in Straßburg

Diese Anhörung, das war deutlich zu spüren, hat bei den anwesenden Europaparlament-Abgeordneten einen starken Eindruck hinterlassen. Insbesondere der Hinweis darauf, dass die Kreativindustrie, in Großbritannien und Deutschland immerhin die zweitgrößte, ein bedeutender Wirtschaftszweig ist, deren Schutz vor global agierenden Verwertermonopolen daher neben einem Gebot der Fairness auch ein ökonomischer Imperativ sein müsste.

bei der Anhörung

Aber leider fehlten ausgerechnet aus jenen zwei politischen Lagern Vertreter, die ein solches Recht komplett und kategorisch abzulehnen entschlossen sind: Die Liberalen (ALDE - Alliance For Liberals and Democrats In Europe) und die ECR (European Conservatives And Reformists Group), also der Zusammenschluss der rechtsgerichteten, europakritisch bis europafeindlichen nationalistischen Parteien.

mit dem britischen Sänger und Schauspieler Murray Head

Nun zu unseren Handlungsoptionen: In den nächsten zwei Wochen besteht noch die Möglichkeit, Einfluss auf jene Abgeordneten auszuüben, deren Parteidoktrin sie zur Ablehnung unserer Forderung drängt. Dieses Zeitfenster sollten wir unbedingt nutzen. Wenn diese Abgeordneten (Link zu den Abgeordneten der ALDE (und ECR?)) massenweise Post von den betroffenen Künstlern bekommen, von deren Arbeit der zweitwichtigste Wirtschaftszweig dieses Landes abhängt, bringt sie das vielleicht noch zum Nachdenken, und sie verlassen ihre Parteilinie, die in diesem Fall ohnehin nicht bindend ist. Wir haben in allen anderen politischen Lagern sowohl Unterstützer als auch Gegner. Es hängt immer vom Informationsgrad und dem Grad der Lobbyarbeit der großen Medienkonzerne ab. Ich habe in den letzten Wochen selbst erleben können, wie sehr das persönliche Gespräch eine Überzeugung ändern kann, wenn sie, wie in diesem Fall häufig, auf Halbwissen und Desinformation beruht. Die Mühe wäre also keineswegs vergeblich.

Pressekonferenz im Europaparlament

Bitte nehmen Sie sich daher die Zeit und schreiben ein paar Zeilen an diese Abgeordneten. Es könnte tatsächlich die Waage in unsere Richtung drücken. Hier die Adressen jener Abgeordneten, auf die es jetzt ankommt:

ALDE-Mitglied Nadja Hirsch

ALDE-Mitglied Wolf Klinz

ALDE-Mitglied Gesine Meissner

ALDE-Mitglied Ulrike Müller