Wie besprechen sich die Sozialversicherungsträger? Wie reagieren die Produzenten?
Im März vergangenen Jahres und im März diesen Jahres hat der 12. Senat des Bundessozialgerichts zu Schauspieltätigkeiten Urteile gesprochen, mit denen es die rechtliche Bewertung sogenannter „unständiger“ Beschäftigungen und damit auch der Sozialversicherungspflicht unserer Dreharbeiten neu eingeordnet hat (siehe dazu auch „Vor Gericht und auf hoher See“).
Aber Achtung: Entgegen mancher voreiliger und irreführender Verlautbarungen in den letzten Monaten können momentan noch keine seriösen Vorhersagen gemacht werden, wie im Einzelnen unsere Dreharbeiten künftig sozialzuversichern sind.
Dazu müssen wir zunächst die rechtliche Analyse und Abstimmung der Sozialversicherungsträger abwarten – also das gemeinsame sogenannte „Besprechungsergebnis“ der Deutschen Rentenversicherung Bund, der Agentur für Arbeit und der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen. Erst wenn diese Institutionen aus den beiden Bundessozialgerichtsentscheidungen – die ja Einzelfälle betrafen – die rechtlichen Schlussfolgerungen für die Allgemeinheit gezogen haben, wissen wir mehr. Derzeit besprechen sich Sozialversicherungsträger, haben aber noch kein Ergebnis!
Wir können allerdings schon davon ausgehen, in Zukunft bei Dreharbeiten in der einen oder anderen Form für längere Zeiträume sozialversichert zu werden. Das heißt, wir werden auffallend höhere Sozialabgaben zahlen, dafür aber auch im Alter mehr sozial geschützt sein. Ob wir mehr Anwartschaftszeiten für den Arbeitslosengeld-1-Anspruch gewinnen oder gar keine, hängt auch davon ab, wie die Produzentenseite auf das neue Besprechungsergebnis der Sozialversicherungsträger reagieren wird. Um das zu verstehen, müssen wir die Besonderheit der unständigen Beschäftigung näher betrachten.
Wann und wie wird unständig versichert?
Die beiden Urteile des Bundessozialgerichts legen nahe, dass unter bestimmten Bedingungen schauspielerische Dreharbeiten viel öfter als zuvor als unständige Beschäftigungen einzustufen sind. Diese Versicherungsform ist dann geboten, wenn eine Beschäftigung auf weniger als eine Woche befristet ist. Eine entscheidende neue Argumentation des Bundessozialgerichts ist, dass die Wochenfrist nicht wie bisher als eine zusammenhängende Woche, sondern als die Summe von sieben Tagen zu interpretieren ist. Von daher haben die Sozialversicherungsträger jetzt die Frage zu beantworten, inwieweit schauspielerische Dreharbeiten unständig versichert werden müssen, auch wenn sich diese Drehtage über einen weit größeren Zeitraum als eine Woche erstrecken.
Die Folgen sind gravierend. Im Gegensatz zur üblichen Praxis werden unständige Beschäftigungen nicht genau auf die Menge der Beschäftigungstage abgerechnet. Vielmehr gelten hier in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung die Beitragsbemessungsgrenzen der ganzen Kalendermonate, die die unständige Beschäftigung umfassen. Wenn zum Beispiel eine Kollegin (ohne Kinder) für eine Dreharbeit in NRW unständig versichert wird, brutto 4.000 € verdient und nur an einem bestimmten Tag Anfang August und einem bestimmten Tag Ende September beansprucht wird (lassen wir mal alle Vorbereitungs- und „Standby“-Tage unter den Tisch fallen ;-), gelten für die Beiträge im Gegensatz zur „normalen“ Sozialversicherungspraxis nicht die Beitragsbemessungsgrenzen der beiden Beschäftigungstage, sondern die Beitragsbemessungsgrenzen der ganzen Monate August und September.
Also statt Beiträge in Höhe von 147,88 € (75,78 € von der Kollegin plus 72,10 € von der Filmproduktion) bei „normaler“ Versicherung …
- 15,60 % von 2 mal 147,50 € für die Krankenversicherung plus
- 2,80 % von 2 mal 147,50 € für die Pflegeversicherung plus
- 18,60 % von 2 mal 216,67 € für Rentenversicherung plus
- 3,00 % von 2 mal 216,67 € für die Arbeitslosenversicherung
… entstehen bei unständiger Versicherung Beiträge in Höhe von 1.480,- € (765,- € von der Kollegin und 715,- € von der Filmproduktion)
- 15,60 % von 4.000 € für die Krankenversicherung plus
- 2,80 % von 4.000 € für die Pflegeversicherung plus
- 18,60 % von 4.000 € für Rentenversicherung.
Beiträge in die Arbeitslosenversicherung entfallen bei der Unständigkeit. Jedenfalls dann, wenn der wirtschaftliche und zeitliche Erwerbsschwerpunkt der Kollegin ebenfalls in unständigen Beschäftigungen liegt – oder in Gesetzesdeutsch: Wenn die Kollegin unständige Beschäftigungen „berufsmäßig“ ausübt.
Diese „Berufsmäßigkeit“ berührt übrigens eine weitere Neubewertung, die das Bundessozialgericht vorgenommen hat: Zuvor wurde eine unständige Beschäftigung überhaupt erst unständig versichert, wenn die betreffende Person sie im Gesetzessinne „berufsmäßig“ ausübte. Wer von uns z. B. hauptsächlich Theater spielte, also nicht unständig beschäftigt war, durfte schon aus diesem Grund bei einem Dreh unter einer Woche nicht unständig versichert werden. So war die Rechtsprechung, so war die gängige Praxis. Das Bundessozialgericht sieht das nun anders und beschränkt das Kriterium der „Berufsmäßigkeit“ nur auf die Frage, ob bei der Unständigkeit Beiträge für die Arbeitslosenversicherung fällig sind. Ob sich die „Berufsmäßigkeit auf die Kranken- und Pflegeversicherung auswirkt, ist übrigens fraglich. Jedenfalls spielt das Kriterium für die unständige Versicherung in der Rentenversicherung keine Rolle mehr. Auch diese neue rechtliche Beurteilung spricht für eine Zunahme der Einstufung schauspielerischer Dreharbeiten als unständige Beschäftigungen.
Wie sieht die weitere Entwicklung aus?
Die einen von uns werden unständige Beschäftigungen begrüßen, weil wir im Alter optimaler abgesichert sind. Die anderen von uns werden über den plötzlichen Anstieg der Beiträge stöhnen und beklagen, aufgrund der unständigen Versicherung nun gar keine Anwartschaftszeit für den Arbeitslosengeld-1-Anspruch mehr erwerben zu können. Wieder andere setzen sowieso nicht auf den Schutz der gesetzlichen Sozialversicherung und möchten am liebsten Sozialabgaben sparen. Aber egal, was wir denken, die oder der Einzelne von uns wird sich die Versicherungsform der Beschäftigung nicht aussuchen können. Für die korrekte sozialrechtliche Einstufung und Abführung der Sozialbeiträge ist allein der Arbeitgeber verantwortlich.
Und genau das ist momentan die Hauptsorge der Produzenten. Solange die Sozialversicherungsträger noch keine klaren Konsequenzen aus den Bundessozialgerichtsurteilen gezogen haben, bleiben die Produzenten im Ungewissen, wie sie uns Schauspielerinnen und Schauspieler korrekt sozialversichern müssen. Versichern sie uns nicht unständig, könnten sie, wenn sich dies später als unrichtig erweist, mit erheblichen Nachforderungen konfrontiert werden, zumindest für die Rentenversicherung. Versichern sie aber prophylaktisch alles unständig, auch Engagements, die sich später als „normale“ Beschäftigungen herausstellen, werden die Produzenten für die Arbeitslosenversicherung nachzahlen müssen. Sehr teure Aussichten! Dazu kommt: Bei unständigen Beschäftigungen müssen sie so wie wir deutlich höhere Sozialabgaben leisten ohne allerdings wie wir vom Mehr des sozialen Schutzes profitieren zu können.
Wegen der Rechtsunsicherheit und der voreiligen Verlautbarungen unmittelbar nach der letzten Urteilsverkündung haben jedenfalls Produzenten ihre Überlegungen intensiviert. Wie können sie – unter Berücksichtigung der geänderten Rechtsprechung – sich rechtlich wasserdicht so absichern, dass ihnen einerseits keine Nachforderungen drohen, und sie andererseits die Kosten der Sozialabgaben in Grenzen halten? Die einzige rechtlich saubere Möglichkeit wäre, die Bedingungen unserer Drehengagements faktisch so anzupassen, dass sie tatsächlich keine unständigen Beschäftigungen mehr darstellen. Als Produzenten sitzen sie am längeren Hebel, unsere Arbeitsverhältnisse in ihrem Sinne gestalten zu können. Aber um ihr Ziel zu erreichen, werden sie wohl nicht drum herum kommen, uns für ausgedehntere Arbeitszeiträume zu verpflichten. Und diese Verpflichtungen, die auch in der Summe der Arbeitstage eine Woche und länger andauern, wären zwar nicht unständig, dafür aber beitragspflichtig in der Arbeitslosenversicherung.
Mit anderen Worten, so oder so werden wir für die Zukunft mit längeren Versicherungszeiten rechnen können. Ob wir dabei mehr oder gar keine Anwartschaftszeiten für den Arbeitslosengeld-1-Anspruch sammeln werden, liegt vor allem in der Hand der Produzenten. Welche genaue Richtung sie einschlagen werden, wenn die Sozialversicherungsträger sich über die neuen Entscheidungen des Bundessozialgerichts schlüssig geworden sind, ist noch nicht ausgemacht.
Unser Bundesverband Schauspiel wird mit den Sozialversicherungsträgern und der Produzentenallianz engen Kontakt halten, um die Entwicklung im Auge und wenn nötig im Sinne unserer Mitglieder beeinflussen zu können.
Heinrich Schafmeister, 1957 im Ruhrgebiet geboren, dort sozialisiert, wurde Straßen- und Rockmusiker, studiert an der Folkwang-Hochschule Schauspiel und arbeitet seit 1984 als Schauspieler. Er war seit Gründung des BFFS 17 Jahre lang dort im Vorstand zuständig für Sozialpolitik und Tarifverhandlungen und kümmert sich auch nach seinem Ausscheiden aus dem Vorstand als Bevollmächtigter um Tarifverhandlungen.