Unständig? Unverständlich? Umständlich? – Umdenken!

Heinrich Schafmeister
8. Februar 2019

Das „Unwort des Jahres“ 2018

Jährlich wird das „Unwort des Jahres“ gekürt. Wenn unsere Film- und Fernsehbranche ein Unwort für das Jahr 2018 wählen dürfte, wäre der sozialversicherungsrechtliche Begriff „Unständig“ der absolute Topfavorit. So sehr sorgt er bei uns zurzeit für Unruhe und Unmut: Produzenten, die aus Unsicherheit und Unkenntnis Unsummen an Sozialbeiträgen abführen. Agenturen, denen deswegen zunehmend ungemütlich wird, wie lange ihre Klienten sich unter den Bedingungen die Provisionen noch leisten können. Unzählige Kolleginnen und Kollegen, die ungeheuer wütend sind, weil von ihrer Dreh-Gage unerträglich wenig unterm Strich übrig bleibt und nicht einmal Anwartschaftszeit für den Arbeitslosengeld-1-Anspruch erworben wird. Sie rennen hilfesuchend bei uns die Bude ein (werden auch Mitglied, das ist natürlich erfreulich 😉 sie schimpfen und fragen: „Unständig“, wer hat uns das bloß untergejubelt?

Ehrliche Antwort? … Na gut! Die Wahrheit ist, unsere ganze Branche hat zu dem momentanen Schlamassel beigetragen.

Seit zehn Jahren gab es zur Sozialversicherung von Schauspielerinnen und Schauspielern Regelungen, die vorschrieben, dass die Zeiträume, in denen wir bei Dreharbeiten prioritär zur Verfügung stehen, auf jeden Fall versichert werden müssen. Praktiziert wurde dies so kaum: Bei Zusage eines Drehangebotes, also beim eigentlichen mündlichen Vertragsabschluss, beanspruchten die Produzenten meist sehr, sehr weiträumigere Phasen, die wir uns für sie freihalten sollten, die wir uns tatsächlich auch freihielten und die somit versicherungsrechtlich relevant waren. Kurz vor Drehbeginn, oft auch erst danach, schickten die Produzenten uns erst die Vertragsunterlagen. Dort standen dann nur noch die Drehtage plus die sogenannten „Zusatzleistungstage“ drin, auf die sich dann die gemeldete Versicherungszeit beschränkte. Schlimmer: Wenn anschließend die Drehtage verschoben wurden, bekamen wir von den Produzenten einfach entsprechend geänderte Vertragsseiten, die wir mit den alten austauschen sollten. Die zuvor geplanten Vertragszeiten verschwanden und wurden nicht versichert. So wurden uns über die Jahre massiv Versicherungszeiten vorenthalten mit erheblichen Nachteilen für unsere Rente und für unseren Anspruch auf Arbeitslosengeld 1. Gegen diesen Klau unserer Versicherungszeiten hätten unsere Agenturen konsequent vorgehen müssen – taten sie aber nicht, weil sie das Thema nicht verstehen konnten, wollten, oder schlicht nicht interessierte. Wir Schauspielerinnen und Schauspieler wiederum hätten unsere Agenturen anhalten müssen, unsere soziale Absicherung ernster zu nehmen – aber auch wir ließen die Dinge schleifen.

Kein Wunder, dass der 12. Senat des Bundessozialgerichts motiviert war, dem Treiben jetzt ein Ende zu bereiten. Die real drohende Altersarmut der Schauspielerinnen und Schauspieler vor Augen interpretierte das Gericht in zwei Urteilen (am 31.03.2017 Az.: B 12 KR 16/14 R und am 14.03.2018 Az.: B 12 KR 17/16 R) die rechtliche Anwendbarkeit, „unständig“ zu versichern, viel großzügiger, als die Sozialgerichtsbarkeit dies zuvor getan hat. Den Sozialversicherungsträgern – das sind die Deutsche Rentenversicherung Bund, die Agentur für Arbeit und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassenblieb nichts anderes übrig, als die entsprechenden Schlussfolgerungen aus den Urteilen des Bundessozialgericht zu ziehen und sie in einem Rundschreiben und ihren sogenannten „Besprechungsergebnissen“ festzuhalten. Diese Besprechungsergebnisse wurden nach gründlichen, über ein halbes Jahr andauernden Beratungen am 21.11.2018 beschlossen und werden von nun an die sozialversicherungsrechtlichen Maßstäbe setzen – ob das unserer Branche passt oder nicht. Die Produzenten müssen sogar damit rechnen, dass auch andere Filmschaffende, die nur tageweise eingesetzt werden – Aushilfen bei der Maske, bei der Beleuchtung, beim Fahrdienst, an der Kamera usw. –, unständig zu versichern sind.

Seite 1: Das „Unwort des Jahres“ 2018

Seite 2: Wie müssen wir künftig versichert werden? & Wann gilt die „normale“ Versicherungspflicht?

Seite 3: Wann gilt die unständige Versicherungspflicht? & Was passiert bei berufsmäßiger bzw. bei nicht berufsmäßiger Unständigkeit?

Seite 4: Darf die Versicherungsart nach Belieben ausgewählt werden? & Ende vom Lied

Seite 5: ERLÄUTERUNGEN