Online-Votum zu unserer sozialversicherungsrechtlichen Situation

Jens Schäfer
18. August 2019

Die Sozialversicherungspraxis bei Dreh-Engagements hat sich seit Anfang des Jahres grundlegend geändert. Ausgelöst wurde dies durch zwei Urteile des Bundessozialgerichts aus den Jahren 2017 und 2018 zu unständigen Beschäftigungen. Das Gericht widersprach der bisherigen Rechtsauffassung der Sozialversicherungsträger, Tage, an denen Vorbereitungen und andere zusätzliche Arbeiten für die Dreharbeit stattfinden (Zusatzleistungstage), pauschal in die Beschäftigungszeit mitaufzunehmen. Stattdessen gilt jetzt folgendes: Wer bei Dreharbeiten nicht an mindestens 7 aufeinanderfolgenden Tagen beschäftigt ist (5 Arbeitstage plus 2 Wochenendtage), wird unständig sozialversichert.

Was bedeutet das für uns im Unterschied zu vorher?

Unständig Beschäftigte haben deutlich höhere Sozialabgaben! …

  • Weil sich die Beiträge in der teuren Rentenversicherung nicht nach tagesgenauen Beitragsbemessungsgrenzen richten, sondern nach denen ganzer Kalendermonate.
  • Weil das gleiche ebenfalls für die Kranken- und Pflegeversicherung gilt, falls im betreffenden Kalendermonat auch im Übrigen unständige Beschäftigungen den zeitlichen und wirtschaftlichen Schwerpunkt des Erwerbslebens bilden (die sogenannte „berufsmäßige Unständigkeit“).

Unständig Beschäftigte erwerben keinen bzw. kaum Anspruch auf Arbeitslosengeld!

Der Bezug von Arbeitslosengeld wird für uns kurz befristet Beschäftigte ab Anfang 2020 erheblich leichter sein. Das ist ein großer Erfolg, für den sich u. a. unser BFFS jahrelang stark gemacht hat. Trotzdem kommt er den unständig Beschäftigten nicht zugute! …

  • Weil entweder bei berufsmäßiger Unständigkeit gar keine Anwartschaftszeiten,
  • oder bei nicht berufsmäßiger Unständigkeit nur die einzelnen Einsatztage dafür gesammelt werden.

Unständig Beschäftigte bei Dreharbeiten haben deutlich höhere Steuerabzüge! …

  • Weil unständige Dreh-Beschäftigungen keine Zusatzleistungstage oder Standby-Zeiten mehr beinhalten, dadurch viel weniger Steuertage anfallen, auf die sich die Gage verteilt, so dass hochgerechnet aufs Jahr erheblich höhere Steuersätze angewendet werden.
  • Natürlich werden beim Lohnsteuerjahresausgleich die überzahlten Steuern zurückgezahlt. Aber das dauert eben.

Unständige Beschäftigungen sorgen später für eine deutlich bessere Rente! …

  • Weil trotz weniger Beschäftigungstage immer ganze Kalendermonate rentenversichert werden.

Berufsmäßig unständig Beschäftigte sind besser krankenversichert! …

  • Weil sie bis zur nächsten unständigen Beschäftigung, maximal aber noch 21 Tage nach der letzten unständigen Beschäftigung die Mitgliedschaft der gesetzlichen Krankenkasse behalten.

Mehr unständige Beschäftigungen bewirken mehr Bürokratie, mehr Fehlerquellen und dadurch mehr finanzielle Verluste! …

  • Weil bei jedem Vertragszeitraums eines Drehengagements separat festgestellt werden muss, ob er unständig abzurechnen ist oder nicht.
  • Weil bei jedem unständigen Vertragszeitraum eigens für die Beitragsberechnung zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung separat beurteilt werden muss, ob in dem betreffenden Kalendermonat zusätzlich auch eine berufsmäßige Unständigkeit vorliegt oder nicht.
  • Weil zurzeit (bis mindestens Anfang 2020) die Softwareprogramme der gesetzlichen Krankenkassen beim Einzug unserer Sozialabgaben noch nicht den Beitragsunterschied zwischen berufsmäßiger Unständigkeit (Personengruppe 118) und nicht berufsmäßiger Unständigkeit (geplante Personengruppe 117) berücksichtigen können und die Arbeitgeber momentan gehalten sind, alles über die Personengruppe 118 abzurechnen, um gegebenenfalls später, nach Einrichtung der Personengruppe 117 diese Abrechnungen zu korrigieren.
  • Weil mit der unständigen Versicherung ganzer Kalendermonate die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sich bei mehreren unständigen Beschäftigungen die Versicherungszeiten überlappen und insgesamt zu viel Sozialbeiträge – also oberhalb der Beitragsbemessungsgrenzen – abgeführt werden.
  • Weil sowohl die für den Einzug der Sozialbeiträge zuständigen gesetzlichen Krankenkassen, aber auch unsere Arbeitgeber und wir überfordert sind, dafür zu sorgen, dass die überzahlten Sozialbeiträge wieder rückerstattet werden.

Fluch oder Segen? Zurücklehnen oder eingreifen?

Nun melden sich beim BFFS seit Anfang des Jahres laufend Kolleginnen und Kollegen, die entsetzt sind von der neuen unständigen Abrechnungspraxis. Sie berichten, dass sie von ihrer Gage aufgrund der hohen Sozialabgaben und des hohen Steuersatzes netto kaum noch etwas übrig behalten und keine Ansprüche mehr für das Arbeitslosengeld aufbauen können.

Andererseits dürfen wir davon ausgehen, dass sich an den BFFS wohl weniger diejenigen Kolleginnen und Kollegen wenden werden, die die neue unständige Abrechnungspraxis begrüßen. Darum hat die letzte Mitgliederversammlung dafür plädiert, von allen Mitgliedern online ein Votum einzuholen. Gefragt wird,

  • ob unsere Mitglieder mit der neuen unständigen Abrechnungspraxis zufrieden sind oder nicht
  • und ob sie generell Änderungsbedarf bei der sozialversicherungsrechtlichen Situation der Schauspielerinnen und Schauspieler sehen.

Dieses Online-Votum beginnt am Montag 19.08.2019 00:00 Uhr und endet am Freitag 30.08.2019 24:00 Uhr. Jedes wahlberechtigte Mitglied erhält per E-Mail seine persönliche Wähler-ID wie sein persönliches Passwort und wird zum Online Votum eingeladen.

Unsere Mitglieder sollen aber darüber hinaus auch Gelegenheit haben, sich ausführlicher äußern zu können. Interessant wären eigene Erlebnisse mit der unständigen Abrechnungspraxis, mit anderen versicherungsrechtlichen Angelegenheiten, oder Anregungen zu dem Thema.

Hierfür wurde dieser Link eingerichtet …

Der Vorstand und wir vom BFFS-Arbeitsteam zur Sozialversicherung sehen dringenden Handlungsbedarf vor allem beim Gesetzgeber, sprich, der Politik, das Sozialversicherungsrecht zu reformieren. Hin zu einem in unseren Augen gerechteren und einfacheren Sozialversicherungssystem.

Glaubhaft und wirksam können wir uns hierfür aber nur mit einem klaren Mandat der Mehrheit unserer Mitglieder einsetzen. Wir bitten daher alle Mitglieder, unbedingt am Online-Votum teilzunehmen, damit wir ein umfassendes Meinungsbild gewinnen können und in Erfahrung bringen, was der Mitglieder-Auftrag an den BFFS ist.