Wie geht es mit der Synchronbranche in und nach der Corona-Krise weiter?

Dr. Till Valentin Völger
16. April 2020

In allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens erfahren wir aktuell die Auswirkungen des „Shut-Downs“. Auch für die Filmbranche bedeutet das – heute und in absehbarer Zukunft – einen drastischen Rückgang bei der Fortentwicklung der kulturellen Vielfalt. Keine neuen Produktionen, das heißt aber erst auch: Zunächst keine neuen Engagements und keine Gagen. Ein Szenario, aus dem wir einen Ausweg finden müssen.

All das gilt ausnahmslos auch für die Synchronisation von Kino-, Film- und Fernsehproduktionen. Um die Gesundheit aller Kolleg*innen zu schützen, haben vor einigen Wochen die meisten Synchronstudios ihren Sprachaufnahmebetrieb eingestellt. Diese Maßnahme trafen die jeweiligen Studiobetreiber eigenverantwortlich und unter Inkaufnahme der damit einhergehenden wirtschaftlichen Risiken und Einbußen. Eine Entscheidung, die von hohem Verantwortungsbewusstsein zeugt.

Überlegungen dazu, wie ein Ausweg aus dieser Situation aussehen, wie also der Sprachaufnahmebetrieb wieder aufgenommen werden kann, sind für die Synchronbranche auch schon in vollem Gange! Denn eine unveränderte Fortsetzung der Arbeiten im Studio ohne Anpassungen an die momentane Lage ist höchst riskant und wird auch den (gesetzlichen) Anforderungen nicht gerecht, die im Sinne des Gesundheitsschutzes bestehen.

Bei allen Anstrengungen in dieser Richtung ist allen Beteiligten klar: Wir müssen einerseits den Gesundheitsschutz aller Synchronschaffenden gewährleisten, dürfen andererseits aber keinesfalls einen Qualitätsverfall bei unserer Arbeit oder gar eine Abschaffung des „Synchronisierens“ riskieren. Denn solche Maßnahmen stünden nicht nur im Gegensatz zu dem eigenen künstlerischen und handwerklichen Anspruch, sondern bergen auch die Gefahr einer Verstetigung in sich.

Eine Abschaffung des Synchronisationsprozesses steht vor allem dann zu befürchten, wenn Lippensynchron-Aufnahmen zu den Synchronschauspieler*innen ins Home-Office verlegt werden, ohne dass weiteren Gewerke (Regisseur*in, Tonmeister*in und Cutter*in) an diesen Aufnahmen mitwirken. Hierbei bricht ein wesentlicher Teil der Arbeit schlicht weg, sodass kaum noch von einer echten Synchronproduktion gesprochen werden kann. Von den akustischen Anforderungen, die an eine Kino-, Film- bzw. Fernsehproduktion gestellt werden mal abgesehen (das heimische Wohnzimmer bietet eben meist nicht die gleichen akustischen Bedingungen wie ein Tonstudio), fehlt es dann an dem maßgeblichen Zusammenspiel zwischen den einzelnen Beteiligten. Ohne unmittelbare Rückmeldung vom Team können wir zumeist nicht alle Aspekte des künstlerischen Spiels im Auge behalten und dabei noch auf Lippensynchronität und sprachliche Sauberkeit achten. Fehlt dieses Zusammenspiel, besteht also die massive Gefahr, dass von unserem Handwerk viel verloren geht. Mit „Synchron“ hat das dann nur noch wenig bis gar nichts zu tun. Dabei ist uns die schmerzliche Kritik der Öffentlichkeit an weniger gelungenen Synchronfassungen schon heute durchaus nicht unbekannt. Ein weiterer Schritt in die Richtung ist nicht nur aus handwerklichen Gründen dringend zu verhindern, wir würden damit auch einen Einschnitt in die (wirtschaftliche) Relevanz unserer Branche riskieren. Mit anderen Worten: Wir würden mit solchen Produktionsbedingungen schlicht an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen.

Für derartige Aufnahmebedingungen hat sich bislang der Begriff des „Cloud-Dubbing“ durchgesetzt. Eine sicherlich eher unklare oder sogar irreführende Bezeichnung – gegen die Nutzung einer Cloud spricht ja erstmal nichts. Treffender wäre sicherlich „Home-“ oder „Selfmade-Dubbing“. Ungeachtet der Begrifflichkeit sollte jedoch Einigkeit darin bestehen: So wollen wir keine Kinoproduktion auf die Leinwand, keinen Film ins Fernsehen oder auf eine Streaming-Plattform bringen. Darin sind sich auch alle Verbände der Branche und die meisten Synchronproduzenten einig. Denn zusätzlich würden wir alle der ohnehin bestehenden Tendenz, alles immer billiger und schneller haben zu wollen, mit der Inkaufnahme derartiger Produktionsbedingungen Vorschub leisten. Das kann letztlich nicht in unserem Interesse sein – und auch nicht im Sinne der Rezipienten, die den damit einhergehenden Qualitätsverlust zu spüren bekommen.

Und: Derartige Produktionsbedingungen sind auch keinesfalls erforderlich, damit der Sprachaufnahmebetrieb weiterhin in professioneller Weise erfolgen kann. So hat ein Unternehmen in Berlin schon heute umfassende Maßnahmen ergriffen, damit die Arbeit im Studio unter Gewährleistung des Gesundheitsschutzes fortgesetzt werden kann. Dazu zählen Trennwände aus Plexiglas zwischen den einzelnen Akteuren, digitale Dialogbücher sowie Pausen zwischen dem Wechsel der Synchronschauspieler*innen, damit Begegnungen weitgehend ausgeschlossen und Oberflächen desinfiziert werden können. Weitere Unternehmen bereiten derartige Maßnahmen vor und stehen dazu auch in einem stetigen Austausch untereinander. Das alles unter Hinzuziehung der Betriebsärzte und entsprechender Stellen. Auch der Umgang mit Kolleg*innen, die zu Risikogruppen gehören und bei denen ein besonders hohes Maß an Vorkehrungen zu treffen ist, gehört zu den aktuell diskutierten Themen.

Sollten darüber hinaus weitere Einschränkungen erforderlich werden (schließlich haben wir in den vergangenen Wochen erfahren müssen, dass sich die Lage durchaus täglich ändern kann), besteht auch noch die Möglichkeit des sog. „Remote-Dubbing“. Bei dieser Variante sind alle notwendigen Akteure an den Sprachaufnahmen beteiligt, nur eben an verschiedenen Orten. So kann beispielsweise ein/e Synchronschauspieler*in im Studio stehen, gleichzeitig ein/e Tonmeister*in hinter der Scheibe sitzen, während Regisseur*in und Cutter*in zugeschaltet sind. Natürlich birgt auch eine solche Produktionsweise Herausforderungen und Risiken – es muss eine hinreichend gute Verbindung zwischen den Synchronschaffenden bestehen, was wiederum eine entsprechende Ausstattung an Hard- und Software voraussetzt. Das ist sicher für viele Betriebe eine finanzielle Herausforderung. Auch fehlt es an dem ganz unmittelbaren Kontakt, insofern ist diese Art der Produktion keinesfalls ideal. Trotzdem besteht die Möglichkeit eines direkten Kontakts, sodass sich diese Möglichkeit übergangsweise anbieten kann.

Alles in allem werden also momentan alle Gedanken gedacht und Maßnahmen dazu diskutiert, wie es weiter gehen kann. Und weiter gehen „muss“ es – so bald wie möglich. Andernfalls stehen nicht nur wir Synchronschauspieler*innen vor dem finanziellen Ende, sondern die gesamte Synchronlandschaft. Trotzdem geht der Gesundheitsschutz natürlich vor, das steht zu keinem Zeitpunkt zur Debatte.

 

 

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