Was hat der Tod von George Floyd mit Rassismus in der deutschen Filmbranche zu tun?

Tyron Ricketts
11. Juni 2020

Es ist wichtig, in hitzigen Zeiten einen kühlen Kopf zu bewahren und die Dinge als das zu betrachten, was sie sind. Was hat der gewaltvolle Tod eines schwarzen Menschen in den USA mit Rassismus in Deutschland zu tun? Ist hier nicht alles ganz anders und das Eine kann mit dem Anderen nicht verglichen werden? Ist nicht die hiesige Polizei ein zahnloser Tiger im Vergleich zu dem Mörder von George Floyd, der es sich ganz lässig auf seinem Hals gemütlich gemacht hat, bis dieser nicht mehr lebte?

Ja, die USA sind tatsächlich anders als Deutschland. Und ja, die Auswirkungen von Staatsgewalt gehen hier meist anders aus, was nicht zuletzt daran liegt, dass in Deutschland generell Leben und Tod weiter auseinander liegen als in den USA. Was jedoch gleich ist, ist der Rassismus der unseren beiden Systemen zugrunde liegt. Und mit Rassismus meine ich nicht den offensichtlichen Nazi, der prügelnd durch die Gegend läuft und dabei Parolen schreit. Ich meine den gutbürgerlichen Anzugträger, der insgeheim das Gefühl hat, etwas Besseres zu sein, weil er weiß ist. Oder schlimmer noch, er schaut einfach nur ein ganz kleines bisschen auf People of Color herab und weiß noch nicht mal so genau warum.

 

Die Wurzel des Übels ist die Erzählung

Wir lernen in der Schule, dass Kolumbus 1492 Amerika entdeckt hat. Ich stelle die Frage, wie man ein Land entdecken kann, in dem schon Menschen leben? Was uns dieses Beispiel zeigt, ist, wie sehr unser Blickwinkel auf die Welt von einer eurozentrischen Sichtweise geprägt ist. Eine Perspektive auf die Welt, in der der weiße Mann im Zentrum steht, um den sich alles dreht. Er ist das Subjekt, alle anderen sind das Objekt. Europa ist die Kultur, alle anderen Kontinente die Natur. Von ihm geht die Zivilisation aus, alles andere ist wild. Frei nach dem Credo „zieht aus und macht euch die Erde zum Untertan“ zog Europa irgendwann aus, um auch den Rest der Welt zu „entdecken“, andere Menschen auszurotten oder zu versklaven, Kontinente zu besetzen und Kolonien daraus zu machen um sicherzustellen, dass alle Reichtümer dieser Erde nach Europa fließen. Um diese hässliche und Menschen verachtende Praxis vor der eigenen Bevölkerung zu rechtfertigen, brauchte man ein Menschenbild, welches den weißen Mann zum Gott und alle anderen zum minderwertigen Geschöpf machte. Rassismus in der heutigen Zeit ist immer noch ein Überbleibsel von dieser Perspektive auf die Welt.

 

Weltweit gesehen sind nur ca. 30% aller Menschen weiß

Nun leben wir allerdings in einer Zeit, in der das Industriezeitalter in ein digitales Zeitalter übergeht, was zur Folge hat, dass sich alles ändert.  Der Wandel, der gerade stattfindet, wird in seiner Heftigkeit mit der Ablöse des Pferdes durch die Maschine zu vergleichen sein. Dieser Wandel hat zur Folge, dass auch die alten Erzählungen, die wir von der Welt haben, in der tagtäglichen veränderten Realität nichts mehr taugen. Die ganze Welt ist vernetzt, und die Form der Kommunikation in der Pyramide, bei der einige wenige Mächtige an der Spitze stehen und allen anderen glauben machen, was „richtig“ oder „falsch“ ist, funktioniert nicht mehr. Heutzutage kommunizieren wir in Netzwerken, was zur Folge hat, dass auch die Stimmlosen eine Stimme bekommen, wodurch eine Demokratisierung der Informationen stattfindet. Wenn heutzutage ein weißer Polizist auf dem Hals eines schwarzen Mannes kniet, sieht es die ganze Welt und sagt ihre Meinung dazu. Erwähnenswert ist, dass sich in der Kommunikation im Netzwerk auch die Zahlenverhältnisse der Menschen, die zu Wort kommen, drastisch verändern. Weltweit gesehen sind nur ca. 30% aller Menschen weiß. Die anderen 70% sind People of Color. Netflix z.B. macht sein Programm für 190 Länder auf der ganzen Welt. Wie wahrscheinlich ist es also, dass in der Zukunft noch Filme gedreht werden, in denen nur weiße Menschen mitspielen?

 

Es sieht so aus, als ob die Zeit für eine neue Geschichte unserer Welt angebrochen ist

Es sieht so aus, als ob die Zeit für eine neue Geschichte unserer Welt angebrochen ist.

Eine Geschichte, in der Platz für alle Menschen ist, die auch in Wirklichkeit unsere Gesellschaft ausmachen. Denn auch in Deutschland haben 25 % aller in unserem Land lebenden Menschen Migrationsgeschichte. Bei jungen Leuten ist die Zahl noch viel höher. Die Demonstrationen in den letzten Tagen haben uns gezeigt, wie viele Menschen auch hierzulande von dem ewigen Wir/Ihr -Denken die Nase voll haben. Dem respektlosen Umgang der vermeintlichen Mehrheitsgesellschaft mit den vermeintlichen Minderheiten.

„Muss jemand, der schwarz ist, sich immer in Deutschland beweisen (…)? Kann er irgendwann mal integriert sein oder ist er per se nicht integriert, weil er zu einer Minderheit in der Hautfarbe gehört?  Das ist natürlich etwas, was die Menschen umtreibt, die erziehen hier ihre Kinder (…), sprechen deutsch, haben sich eingebracht, haben Karriere gemacht, die Kinder studieren, sind erfolgreich und immer ist die erste Frage „wo kommst denn du eigentlich her?“ Da wird gesagt „aus Deutschland komme ich her“. Und ich erinnere mich an meinen ersten Integrationsdialog, wo ein Schwarzer sagte „Ich muss immer den Kriminellen spielen im Fernsehen“, der war ein Schauspieler „ich möchte mal Bürgermeister spielen!“ Und das ist ja ein berechtigter Wunsch und über diese Fragen müssen wir uns noch mehr Gedanken machen, davon bin ich zutiefst überzeugt!“

Das sagte die Bundeskanzlerin in ihrer Presseunterrichtung nach dem Integrationsgipfel am 2. März 2020. Es ist zwar ein bisschen traurig, dass unsere Kanzlerin einige Jahre brauchte, um die Inspiration, die sie entweder von Komi Togbonou, Pierre Sanoussi-Bliss oder mir in irgendeinem der unzähligen Dialoge mit der Politik zur Lage der Darstellung von schwarzen Menschen im Deutschen Fernsehen, in eine ihrer Reden einfließen ließ. Nichtsdestotrotz zeigt es, dass ein Bewusstsein für Rassismus und ungleiche Behandlung mittlerweile auch in den Köpfen, die in unserem Land die Weichen stellen, angekommen ist. Sehr gerne würde ich hier den Dialog mit der Kanzlerin aufnehmen und Handlungsvorschläge gleich auf oberster politischer Ebene implementieren.

 

„Ja, man kann es als rassistisch betrachten, aber wenn Du es nicht spielst tut es halt ein anderer.“ Thomas J.

Stellvertretend für alle People of Color in der Schauspielszene kann ich berichten, dass 80% meiner Rollenangebote mich außerhalb unserer Gesellschaft verorten. Die Angebote, die ich zum Anfang meiner Karriere als Drogendealer, stark sexualisierter Mensch, Dieb oder Vergewaltiger bekommen habe, werden zwar weniger, aber schwarze Menschen als wirkliches valides Mitglied unserer Gesellschaft zu erzählen, stellt für viele Filmschaffende immer noch ein riesiges Problem dar.
Ähnliches trifft auf andere Menschen mit Migrationsgeschichte in der deutschen Fernsehlandschaft zu.

Sätze wie: „Das sind nicht die Sehgewohnheiten unserer Zuschauer“ oder „Bei einem Schwarzen in der Hauptrolle gehen im Osten die Quoten runter“ sind in diesem Zusammenhang keine Seltenheit. Ab und zu kommt es auch vor, dass ein Regisseur absichtlich ein rassistisches Bild von einem schwarzem Menschen zeichnen will, wie ich es mit Thomas J. bei Nord Nord Mord erlebt habe, der auf meine Anmerkungen, dass das Buch rassistisch sei mit „Ja, man kann es als rassistisch betrachten, aber wenn Du es nicht spielst, tut es halt ein anderer“ reagierte.  Ich nahm die Rolle trotzdem an, um Einfluss darauf nehmen zu können, besprach die problematischen Stellen mit der Produzentin, die meiner Meinung beipflichtete und änderte einige unnötige Negativ-Klischees mit ihr zusammen. Das Ende des Liedes war, dass Szenen, in denen ich zu sehen war, entschärft waren, Thomas J. aber in allen anderen Szenen, wo ich als Schauspieler keinen Einfluss nehmen konnte, sein rassistisches Bild in besonderer Deutlichkeit zeichnete. Die Kondome, die in dem Spint meiner Rolle gefunden wurden, waren keinen einzelnen sondern gleich in einem Hunderter-Pack zu finden und die Kommissare, und damit die Helden der Serie, unterhielten sich über die Länge des Schwanzes meiner Rolle und fanden das vollkommen ok. Ein Jahr später entschuldigte sie sich als einzige andere Person of Color am Set dafür, dass sie sich aus Angst, ihren Job nicht zu verlieren, nicht auf meine Seite geschlagen hat.

 „Fiktiver Inhalt aus Filmen und Serien konstituiert unseren Weltbezug und - damit einhergehend - den Deutungshorizont, in dem wir uns und die gesellschaftlichen Verhältnisse verstehen. Indem Filme und Serien “Realität” darstellen – und sofern sie von Menschen und von sozialen Phänomenen handeln (...) - vermögen sie es wie kaum ein anderes Medium, dass die herrschenden Verhältnisse die Köpfe der Massen ergreifen und dadurch zur materiellen Gewalt werden.”

Arenhövel, M. (2018). Zwischen Ideologie und (Gesellschafts-)kritik.

 

Was kommt dabei heraus, wenn 10 Männer darüber nachdenken, wie sich eine schwangere Frau fühlt?

Zum Glück sind solche Vorfälle seltener geworden und meiner Meinung nach liegt bei einem Großteil von rassistischen Darstellungen von PoC’s im Deutschen Fernsehen das Problem eher in der Unwissenheit und in unbewusstem Rassismus der Filmemacher als an einer tatsächlich gewollten rechten Gesinnung. Ein Grund dafür liegt darin begründet, dass die Menschen, die für unser Programm verantwortlich sind, hauptsächlich aus einer Gruppe von homogen weißen Personen, ohne eigene Rassismus Erfahrung, besteht, die dadurch oft leider kein Gespür für eine klischeefreie und Rassismus-freie Darstellung von PoC haben. Was kommt dabei heraus, wenn 10 Männer darüber nachdenken, wie sich eine schwangere Frau fühlt? Ich bin mir sicher, dass dabei einige spannende Geschichten entstehen, aber sicherlich wird keiner der Herren wirklich beschreiben können, wie sich diese Frau fühlt, da ja nur sie die Erfahrung hat. So ähnlich verhält es sich mit Geschichten bei denen es um Erfahrungen geht, die 25% unserer Bevölkerung täglich machen. Das Ergebnis ist, dass 25% unserer Bevölkerung sich vom deutschen Fernsehen unter- und fehlrepräsentiert fühlt. Vielleicht ein Grund dafür, dass Menschen unter 45 kaum noch Fernsehen schauen und das Durchschnittsalter beim öffentlich rechtlichen Fernsehen auf über 60 angestiegen ist.

Bei meinen Speaker-Auftritten, bei denen ich teilweise Sender besuche und dort beratend zum Thema Diversität referiere, schaue ich oft in ein Meer von ratlosen Gesichtern. Viele Redakteur*innen, Produzent*innen, Autor*innen und Regisseur*innen möchten gerne ein diverseres Programm machen, haben aber selber meist nicht den Erfahrungsschatz, um dieses Vorhaben auch in die Tat umzusetzen. Teilweise bleibt es dann einfach aus, oder ist zwar gut gedacht, aber schlecht umgesetzt. Das Resultat ist eine deutsche Fernsehlandschaft , die nicht weiter vom tatsächlichen Bild unserer neuen deutschen Realität entfernt sein könnte. Die offene Gesellschaft, die Deutschland schon lange ist, wird nicht in den Geschichten, die Deutschland über sich selbst erzählt, wiedergegeben.

Der Tod von George Floyd und die Welle der Wut, die zeigt, wie sehr Rassismus nach wie vor Teil unserer Gesellschaft ist, können und müssen also als Anstoß genommen werden, um unsere eigenen Geschichten und Strukturen zu überdenken. Sollten wir zu dem Schluss kommen, dass wir die Welt immer noch durch das Fernglas von Kolumbus sehen, sollten wir hier vielleicht einen anderen Kurs einschlagen und gemeinsam auf eine Welt hinarbeiten, in der wirklich alle Menschen gleich viel wert sind und auch mit dieser gleichen Wertigkeit erzählt werden.

Alles andere ist humanitär, politisch und in Zukunft zunehmend auch wirtschaftlich nicht mehr tragbar.