Neue verhandelter Mantel- und Schauspieltarifvertrag
Die Corona-Pandemie hat es den Tarifparteien diesmal nicht leicht gemacht. Seit 1. Dezember letzten Jahres verhandelten BFFS und ver.di mit der Produzentenallianz um einen neuen Mantel- und einen neuen Schauspieltarifvertrag. Die Verhandlungen standen immer wieder kurz vor dem Scheitern. Wie ist eine Einigung möglich, wenn beide Seiten, hier die Produktionsfirmen, da die Filmschaffenden und vor allem wir Schauspieler*innen, angesichts der Corona-Krise wirtschaftlich in den Abgrund schauen? Am besten, sie geben sich gegenseitig Halt und sorgen für mehr Verbindlichkeiten. Auf diese Weise wurden nun erstaunliche tarifliche Fortschritte erzielt. Für uns Schauspieler*innen sind es die größten seit Einführung des Schauspieltarifvertrags am 23.12.2013.
Zum Schauspieltarifvertrag:
Mehr Verbindlichkeit über Art und Umfang schauspielerischer Arbeit vor, zwischen und nach den Drehtagen
Wer von uns künftig mit den Produktionsfirmen um realistischere Vertragszeiten ringt, kann im Schauspieltarifvertrag auf einen umfangreichen Katalog von Arbeiten und Verpflichtungen verweisen, die alle von der Drehtagsgage mit vergütet werden und in der Regel bei der Vertragslaufzeit mit berücksichtigt werden muss. Die Vertragszeiträume sind nicht nur arbeits- und steuerrechtlich relevant, sondern auch entscheidend für die Sozialversicherung und letztlich für die Höhe unserer Rente und unseren Anspruch auf Arbeitslosengeld 1.
Mehr Verbindlichkeit, wie abgebrochene Drehtage bei uns anzurechnen sind
Über diese Frage müssen wir künftig nicht mehr diskutieren: Treten wir zu einem Drehtag an, der dann aber abgebrochen wird, sodass wir nicht vor die Kamera kommen, schlägt er zu 50% zu Buche. Ob Innen- oder Außenaufnahmen angestanden hätten, spielt dabei keine Rolle mehr. Einwände, der Drehtag zähle erst in „Kostüm und Maske“, können wir ohnehin vom Tisch wischen. Wenn wir vor Abbruch bereits vor der Kamera standen, ist dieser Drehtag sowieso zu 100% anzurechnen.
Mehr Verbindlichkeit durch das flexible Fristenmodell, welche Gage für uns bei „voraussichtlichen“ Drehtagen garantiert ist
Wer vertraglich nur eine Zusage über eine „voraussichtliche“ Anzahl von Drehtagen hat, kann sich künftig trotzdem im Regelfall sicher sein, dass wenigstens 50% der voraussichtlichen Drehtage plus einem Drehtag vergütet werden müssen. Wenn die Produktionsfirma sich erst innerhalb einer Frist von 30 Tagen vor Vertragsbeginn auf eine bestimmte reduzierte Drehtagsanzahl festlegt, steigt der Vergütungsanspruch umso mehr an, je kürzer diese Frist ausfällt. Hat die Produktionsfirma bis einen Tag vor Vertragsbeginn noch keine geringere Drehtagsanzahl konkretisiert, müssen alle voraussichtlichen Drehtage vergütet werden.
Zwar wurden gewisse Ausnahme vereinbart, auf die dieses sogenannte „flexible Fristenmodell“ nicht anzuwenden ist (sondern weiterhin die gesetzlichen Regelungen), unser Vergütungsanspruch wurde aber gestärkt. Davon profitieren vor allem die Schauspieler*innen, die wenige Drehtage und keine Spitzengagen haben.
Mehr Verbindlichkeit, ab wann bei uns ein Schauspielvertrag zustande gekommen ist
Uns verfolgt eine ewig strittige Frage: Ab wann haben wir eine vertragliche Einigung? Denn das schriftliche Vertragsdokument erhalten wir oft erst weit nach Drehbeginn. Hier liefert der Schauspieltarifvertrag auch für uns juristische Laien griffige Kriterien.
Wenn wir uns in Textform – also auch per E-Mail – mit der Produktionsfirma geeinigt haben über die Rolle, die Drehtagsanzahl (auch wenn sie nur voraussichtlich ist), die Vertragszeiträume (einschließlich eventueller Sperrtage innerhalb dieser Vertragszeit), die Gage je Drehtag (eventuell einschließlich der Gage für jeden weiteren zusätzlichen Drehtag) und wir erklären unser Einverständnis oder haben uns mit der Produktionsfirma geeinigt zur branchenüblichen Rechteübertragung und zur Einhaltung der jeweils geltenden Produktionsstandards für nachhaltiges grünes Drehen, dann ist eines jedenfalls klar: Wir haben eine vertragliche Einigung!
Mehr Verbindlichkeit für nachhaltige Dreharbeiten
Zum Glück vollzieht sich ein Wandel in unserer Film- und Fernsehlandschaft. Filmschaffende, Schauspieler*innen, Produktionsfirmen, Rundfunkanstalten und Filmförderer möchten auf nachhaltige Dreharbeiten achten. Die Tarifparteien werden diesem Denken sowohl im Schauspiel- als auch im Manteltarifvertrag Nachdruck verleihen.
Zum Manteltarifvertrag:
Mehr Verbindlichkeit für zusammenhängende Ruhetage
Sind Filmschaffende oder wir Schauspieler*innen länger als 21 Tage beschäftigt, muss demnächst je Beschäftigungszeitraum von vier Wochen mindestens zweimal zusammenhängende zwei Ruhetage stattfinden. Sind Filmschaffende oder wir Schauspieler*innen länger als 40 Tage beschäftigt, stehen ihnen ab dem zweiten Monat je Beschäftigungszeitraum von vier Wochen die zusammenhängenden zwei Ruhetage sogar mindestens dreimal zu.
Mehr Verbindlichkeit für zusammenhängende Wochenenden mit 48 + 11 Stunden nach Nachtdrehs
Filmschaffende oder wir Schauspieler*innen haben demnächst zweimal je Monat nach Ende eines Nachtdrehs ins Wochenende ein Anrecht auf eine Ruhezeit von 48 + 11 Stunden, bevor nach dem Wochenende wieder die Dreharbeiten beginnen.
Mehr Verbindlichkeit für Samstag- und Sonntag-Zuschläge ans Filmteam
Unsere Kolleg*innen vom Team bekommen in Zukunft für Dreharbeiten am Samstag einen generellen Zuschlag von 25%. Der Zuschlag für Dreharbeiten am Sonntag wird von 50% auf 75% angehoben.
Mehr Verbindlichkeit bei Unstimmigkeiten zum Manteltarifvertrag durch Clearingstelle
Und sollte demnächst strittig sein, wie Tarifregeln auszulegen sind, vor allem bei den absoluten Ausnahmefällen der zwölfstündigen Tageshöchstarbeitszeit, können beide Seiten der Tarifparteien eine Clearingstelle anrufen.
Mehr Verbindlichkeit für unsere Schauspielgewerkschaft
Der Bundesverband Schauspiel hat in den letzten zehn Jahren immer mehr an der Gestaltung des gesamten Tarifwerks mitgewirkt und ist bereit, auch in den nächsten Jahren mehr Verantwortung zu tragen. Er wird ab jetzt neben dem Schauspiel- und dem Kinoerlösbeteiligungstarifvertrag erstmals auch das Herzstück des Tarifwerks, den Manteltarifvertrag, mit unterzeichnen.
Mantel- und Schauspieltarifvertrag werden ab 01.09.2021 in Kraft treten und frühestens zum 31.08.2023 kündbar sein.
Seit Jahren wenden sich scharenweise Mitglieder mit ihren Problemen an den Bundesverband Schauspiel. Ihnen werden etwa abgebrochene Drehtage nicht angerechnet oder vereinbarte Dreharbeiten nicht bezahlt, weil alle ihrer voraussichtlichen Drehtage ausfielen. Sie fürchten eine miese Rente oder verfehlen ganz knapp den Anspruch auf Arbeitslosengeld 1. Andere klagen, wegen intensiver Dreharbeiten ohne genügend Ruhezeiten Beruf und Familie nicht miteinander vereinbaren zu können, usw. Darum war es diesmal höchste Zeit für mehr Verbindlichkeiten. Auch wenn noch viel zu tun bleibt – die Tarifparteien haben geliefert.
Heinrich Schafmeister, 1957 im Ruhrgebiet geboren, dort sozialisiert, wurde Straßen- und Rockmusiker, studiert an der Folkwang-Hochschule Schauspiel und arbeitet seit 1984 als Schauspieler. Er war seit Gründung des BFFS 17 Jahre lang dort im Vorstand zuständig für Sozialpolitik und Tarifverhandlungen und kümmert sich auch nach seinem Ausscheiden aus dem Vorstand als Bevollmächtigter um Tarifverhandlungen.