Alles außer Drehen

Heinrich Schafmeister
1. August 2021

Der neue Schauspieltarifvertrag zu unserer Arbeit und Vertragszeit

Tarifverträge regeln die Rechte und Pflichten zwischen Arbeitnehmer- und -geber*innen. In den klassischen Tarifwerken handeln die Regeln von Löhnen, Arbeits- und Ruhezeiten. Das ist bei uns genauso. Unser Manteltarifvertrag kümmert sich um die Arbeits- und Ruhezeiten aller Filmschaffenden, der Gagentarifvertrag um die Wochen- und Tagesgagen unserer Teamkolleg*innen und unser Schauspieltarifvertrag schließlich um unsere Vergütung bei Dreharbeiten. Aber da enden schon die Gemeinsamkeiten.

Neuer Schauspieltarifvertrag klärt schauspielspezifische Fragen

Die Beschäftigungen der Filmschaffenden sind im Gegensatz zu denen der meisten anderen Angestellten immer befristete. Das gilt noch mehr für unsere Schauspielarbeit. Unsere Engagements für ein Drehprojekt sind nicht nur noch kürzer befristet, sie sind oft auch noch in sich in mehrere Vertragszeiträume gestückelt. Ein Großteil unserer Arbeit findet abseits vom Produktionsort statt, ohne dass die Produktionsfirma sie zeitlich erfassen würde. Unsere Löhne werden deshalb nicht in Arbeitsstunden, -monaten oder -tagen, sondern nur in den Tagen gemessen, an denen wir unsere Arbeit vor der Kamera abliefern. Überhaupt müssen wir feststellen, dass die Öffentlichkeit mit unserem angeblichen glamourösen Lebenswandel geradezu bombardiert wird, allerdings wissen nur die Wenigsten etwas über unsere tatsächliche Berufsausübung, unsere eigentliche Arbeit. Diese Unkenntnis führt zu vielen Missverständnissen und stellt uns vor Herausforderungen, die wir auch tarifpolitisch angehen müssen.

Wie können wir Respekt für unseren Beruf, wie eine faire Entlohnung für unsere Dreharbeit einfordern, wenn wir sie in weiten Teilen im Schatten der Drehtage, im Verborgenen absolvieren? Wenn nur diffuse Vorstellungen herrschen, zu welchen Leistungen wir dabei in welchem Umfang verpflichtet sind? Wie kann unter diesen unklaren Umständen unsere Beschäftigungs- und damit Vertragszeiten sauber umrissen werden? Letzteres ist entscheidend für unsere Steuerabzüge, für unsere Sozialversicherung, für das Sammeln der Anwartschaftstage, damit wir den Arbeitslosengeld-1-Anspruch erlangen können, für die Frage, ob wir unständig sind und – wenn ja – ob wir berufsmäßig oder nicht berufsmäßig unständig sind.

In dieser Hinsicht wurde mit dem neuen Schauspieltarifvertrag, der am 1. September 2021 in Kraft tritt, ein Fundament gelegt. Die Tarifparteien, BFFS, ver.di und Produzentenallianz, bringen endlich offiziell zu Papier, welche Dienste, Leistungen und Verpflichtungen mit einem Dreh-Engagement verbunden sind, die bei der Bemessung unserer Gage je Drehtag und unserer Vertragszeit zu berücksichtigen sind. „Endlich“, weil (nach meiner Kenntnis) bisher noch nie irgendein Tarifwerk die schauspielerischen Leistungen je thematisiert hat.

Schauspielerische Arbeit und Verpflichtungen

Mit unserer Gage je Drehtag soll alles, was wir für die Produktion einbringen, entlohnt werden. Das sind neben unseren Drehtagen, die Übertragung unserer Rechte, unsere Bereitschaftszeiten auch all unsere Zusatz-, Vor- und Nachbereitungsdienste. Das steht jetzt auch im Schauspieltarifvertrag. Diese Dienste sind für uns zwar selbstverständlich, aber den Außenstehenden, selbst manchen Branchenteilnehmern noch lange nicht geläufig. Darum werden diese Dienste im neuen Schauspieltarifvertrag explizit aufgelistet – wenngleich ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Dazu zählen: Kostüm-, Masken-, Lese- und szenische Vor-Proben, Regiebesprechungen, Fotovorproduktionen, Spezialtraining, Pressearbeit, Nachsynchron sowie andere Tonaufnahmen, An- und Abreisen, die Castinghilfe, die Aneignung spezieller Fähigkeiten und natürlich das Standardprogramm der Rollenfindung und des Szenenstudiums.

All diesen Verpflichtungen ist gemein, dass sie vor, zwischen oder nach den Drehtagen erledigt werden. Der neue Schauspieltarifvertrag führt diese Dienste näher aus und trägt den Produktionsfirmen auf, uns bei Erfüllung dieser Aufgaben zu unterstützen sowie genügend Zeit dafür einzuräumen. Darüber hinaus werden auch unsere Auflagen erwähnt, während unseres Dreh-Engagements unser äußeres Erscheinungsbild unverändert zu lassen und keine gefährlichen Sportarten ausüben zu dürfen. Für all diese Verpflichtungen stehen wir zur Verfügung, wenn wir uns auf ein Dreh-Engagement einlassen. Sie müssen sich in unserer Entlohnung und Bemessung unserer Vertragszeit widerspiegeln.

Vertrags- und Beschäftigungszeit

Beides ist identisch und beschreibt die Zeiträume, die wir als Arbeitnehmer*innen dem Dispositionsrecht der Produktionsfirma unterstehen und von ihr sozialzuversichern sind. Das galt schon immer, wird aber noch einmal vom neuen Schauspieltarifvertrag unterstrichen. Und weil der Beginn und das Ende unserer Vertragszeit von so zentraler Bedeutung sind, müssen diese Daten in unseren Verträgen kalendergenau festgelegt werden. „Voraussichtliche“ Angaben reichen dazu nicht mehr aus – besagt der neue Schauspieltarifvertrag.

Vielmehr sollen unsere Vertragszeiten vorsorglich alle Zeiträume einschließen, die bei gewissenhafter Voraussicht für die Erledigung unserer Arbeit und für unsere Bereitschaftszeiten eingeräumt werden müssen. Zu unserer Arbeit zählen, wie gesagt, die Drehtage und alle Zusatz-, Vor- und Nachbereitungsdienste.

Unsere Bereitschaftszeiten bilden zugunsten der Produktionen quasi Sicherheitszonen, in denen wir zwar nicht unbedingt Zusatz-, Vor- und Nachbereitungsdienste erbringen und für uns noch keine Drehtage angesetzt wurden, in denen wir uns jedoch für etwaige Änderungen der Produktionsplanung zur Verfügung halten müssen. Denn im Umkehrschluss zu diesen Selbstverständlichkeiten gilt und wird vom Schauspieltarifvertrag bekräftigt, dass in vertragsfreien Zeiträumen die Produktionen für uns keine Drehtage oder andere Arbeit ansetzen darf. Dieses Dispositionsrecht haben die Firmen nur innerhalb unserer Vertragszeiträume. Dieser Gedanke sollte bei den Vertragsverhandlungen und Fixierung der vertraglichen Einigung unbedingt bedacht werden.

Falls trotzdem nach vertraglicher Einigung die Produktion zu dem unvorhergesehenen Schluss kommt, unsere Drehtage außerhalb unserer Vertragszeiträume verlegen zu müssen, hat sie dafür erst unser Einverständnis einzuholen. Die Firma darf diese Drehtage nicht einfach anordnen und uns schon gar nicht auffordern, neue Deckblätter zum Vertrag zu unterschreiben – mit anderen Vertragszeiten, die unsere bisherigen Vertragszeiten unterschlagen. In solchen Fällen müssen laut Schauspieltarifvertrag die alten Vertragszeiten um die neuen ergänzt werden.

Was schwarz auf weiß geschrieben steht …

Zugegeben, vieles von dem war ohnehin schon gesetzlich vorgeschrieben und unsere Arbeit braucht uns Schauspieler*innen von einem Tarifvertrag nicht erklärt zu werden. Aber was hilft uns das, wenn beim Aushandeln unserer Gage, beim Festlegen unserer Vertragszeiten sehr oft unter den Tisch fällt, was wir alles so tun – alles außer Drehen?