Erst in Kostüm und Maske? Oder was?

Heinrich Schafmeister
3. August 2021

Ab wann zählt ein Drehtag als Drehtag?

Am 1. September tritt der neue Schauspieltarifvertrag in Kraft und mit ihm ein ganzes Bündel von Errungenschaften, die in unserem Sinne sind.

So werden erstmals all unsere Verpflichtungen bei Dreharbeiten beschrieben. Sie liefern uns reichlich Argumente, für die Bemessung unserer Vertragszeiten. Ein neu installiertes Flexibles Fristenmodell verhilft uns zu einer Garantiegage, auch wenn uns nur eine „voraussichtliche“ Anzahl der Drehtage zugesagt wurde. Und dass unser Mantel- und Schauspieltarifvertrag nun die gemeinsamen Bemühungen der Branche für nachhaltiges Drehen unterstützen, wird unserer Umwelt und uns Mitgliedern entgegenkommen.

Kostüm-und-Maske-Klauseln gelten nicht!

Eine weitere Neuigkeit beschäftigt sich mit einer alten Frage, um die sich seit Urzeiten viele Missverständnisse ranken. Kaum ein Gerücht hat Generationen von Schauspieler*innen so geschadet wie die Pseudoregel, ein Drehtag würde erst als solcher gewertet, wenn wir in Kostüm und Maske wären. Das ist – und war schon immer – kompletter Unsinn!

Dem widerspricht zum einen schon seit Ewigkeiten der Ziffer 9 unseres Manteltarifvertrags. Und ein Tarifvertrag setzt Mindeststandards: Besser geht immer – schlimmer nimmer.

Zum anderen gilt das Bürgerliche Gesetzbuch: Wenn wir weisungsgemäß unsere Arbeit antreten, indem wir unsere erste Disponierung des Tages erfüllen, und die Firma unsere Arbeit nicht annimmt (warum auch immer), befindet sie sich in „Annahmeverzug“ und schuldet uns die verabredete Vergütung (siehe § 293 BGB in Verbindung mit § 615 BGB).

Selbst wenn eine solche „Ohne-Kostüm-und-Maske-keine-Gage“-Formulierung in unseren Standardverträgen stehen sollte, wäre sie wohl unwirksam, weil Formularklauseln nicht wesentliche Grundgedanken gesetzlicher Regelungen ad Absurdum führen dürfen (siehe § 307 Absatz 1 und Absatz 2 Nummer 1 BGB).

Entscheidend ist der Zeitpunkt der Absage

Aber unter welchen Bedingungen und zu welchem Anteil muss denn ein Drehtag für unsere Gage berücksichtigt werden, wenn er plötzlich abgebrochen bzw. uns abgesagt wird?

Diese Frage ist vor allem dann brisant, wenn die Gage von der Anzahl unserer Drehtage abhängt.

Der neue Schauspieltarifvertrag hat sich diese Frage angenommen und liefert differenzierte Antworten für drei Fälle:

  • Wird der Drehtag abgebrochen, nachdem wir bereits für Aufnahmen vor der Kamera standen, wird dieser Drehtag zu 100 Prozent angerechnet. Ob die entsprechende Szene oder das ganze Tagespensum fertig gedreht werden konnte, spielt dabei keine Rolle.
  • Der Drehtag wird uns allerdings nicht angerechnet, falls er uns bereits abgesagt wird, bevor wir den frühesten für uns an diesem Tag disponierten Termin erfüllt haben. Also wenn z. B. auf der Dispo unsere Abholung um 7:00 Uhr terminiert ist, aber die Produktion uns bereits davor von der Absage des Drehtags unterrichtet hat.
  • Aber wenn uns die Nachricht der Absage danach erreicht, z. B. nach der disponierten Abholung um 7:00 Uhr, muss uns dieser Drehtag wenigstens zu 50 Prozent angerechnet werden – es sei denn, wir standen schon vor der Kamera, dann zählt er, wie gesagt, zu 100 Prozent.

Garantierte Drehtage z. B. durch das Flexible Fristenmodell sind sowieso zu zahlen

Wenn uns eine bestimmte Anzahl der Drehtage garantiert ist oder für sie eine Pauschalgage vereinbart ist, lässt sich zwar nach den oben beschriebenen Maßstäben beurteilen, wieviel dieser Drehtage tatsächlich gebraucht werden. Aber bei garantierten Drehtagen ist die versprochene Vergütung ohnehin zu zahlen – unabhängig davon, ob sie anfallen oder nicht.

Ist in unseren Verträgen nur von einer „voraussichtlichen“ Anzahl der Drehtage die Rede, dann greift das neue Flexible Fristenmodell. Dieses Modell garantiert uns wenigstens die Gage von 50 Prozent der „voraussichtlichen“ Drehtage zuzüglich eines Drehtags. Das ist der sogenannte Drehtagssockel. Und je näher der Beginn unserer Vertragszeit rückt, ohne dass sich die Produktionsfirma auf eine feste Anzahl unserer Drehtage eingelassen hat, desto mehr muss sie uns auch für die restlichen Drehtage oberhalb des Drehtagssockels bezahlen. Wenn uns die Produktionsfirma mit Vertragsbeginn immer noch nicht sagen kann, wieviel sie von den uns versprochenen „voraussichtlichen“ Drehtage wirklich brauchen wird, muss sie uns dennoch die vollständige Gage für alle „voraussichtlichen“ Drehtage bezahlen (siehe auch „Flexibles Fristenmodell“).

Die neue Regelung ersetzt die bisherige im Manteltarifvertrag

Die Vergütungsfrage bei Absage von Drehtagen war bisher schon geregelt – und zwar im Manteltarifvertrag für alle Filmschaffende mit Tagesgagen. Die dortigen Bestimmungen unterscheiden zwischen Innen- und Außenaufnahmen. Bei rechtzeitiger Absage des Drehtags sprechen sie vom Wegfall des Gagenanspruchs für den abgesagten Drehtag.

Wir Schauspieler*innen werden allerdings nicht „für“ Drehtage, sondern „je“ Drehtag, also nach ihrer Anzahl bezahlt. Drehtage sind nur ein Grund für unserer Entlohnung. Unsere Vergütung soll ausdrücklich all unsere Leistungen abdecken. Dazu gehören auch unsere ganzen Zusatz-, Vor- und Nachbereitungsdienste, die wir vor, zwischen und nach den Drehtagen absolvieren, unsere Bereitschaftszeiten, also Zeiten, die wir für etwaige Änderungen des Produktionsplans zur Verfügung stehen müssen, und unsere Rechteübertragungen (siehe auch „Alles außer Drehen“). Aus all dem resultiert unser Gagenanspruch. Er lässt sich nicht auf einzelne Tätigkeiten oder Tage runterrechnen. Insofern ist es auf uns bezogen etwas unpassend, im Manteltarifvertrag von „entfällt der Gagenanspruch für diesen Tag“ zu sprechen.

Im Übrigen kann heutzutage an einem Drehtag sowohl drinnen wie draußen gedreht werden. Darum erscheint die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenaufnahmen nicht mehr zeitgemäß und praktikabel.

Die Zeit war also reif, dass die Frage, wie sich die Absage eines Drehtages auf unsere Vergütung auswirkt, speziell auf unsere Verhältnisse gemünzt betrachtet und in dem Tarifvertrag beantwortet wird, der eigens im Jahr 2013 für uns geschaffen wurde: In unserem Schauspieltarifvertrag.