Der neue Manteltarifvertrag verbessert erheblich unsere Drehbedingungen
Keine Frage, für Film und Fernsehen zu arbeiten, vor der Kamera zu schauspielen, ist für uns eine ganz besondere Herausforderung. Das ist nicht irgendein Job nur für Kohle – Hauptsache früh wieder zuhause. Das ist – sagen wir es ruhig – Kunst, in die wir mit sehr viel Herzblut ganz Persönliches einfließen lassen. Zugegeben, für diesen Beruf sind wir zu machen Opfern bereit. Wir verzichten etwa auf planbar feste Arbeitszeiten. Sie fallen an manchen Tagen sogar deutlich länger aus als bei anderen Arbeitnehmer*innen. Aber unsere Opferbereitschaft für die Kunst darf uns nicht ausbrennen. Sie darf nicht unser Beziehungs- und Familienleben, das uns den nötigen Halt gibt, zertrümmern. Und – bei aller Leidenschaft – wir sollten uns nicht ausgerechnet den Raum für Muße rauben lassen, aus der wir für unseren Beruf immer wieder frische Neugier, unbändige Lust und spielerischen Antrieb schöpfen. Denn in der Ruhe liegt die Kraft.
Insofern sind die von ver.di und BFFS im neuen Manteltarifvertrag durchgesetzten Fortschritte für mehr Schutz unserer Ruhezeiten, die seit dem 1. September gelten, keine bloße Gewerkschaftsroutine. Sie sind vielmehr unbedingte Voraussetzung, dass uns trotz einer immer industrieller werdenden Filmbranche nicht irgendwann die Puste ausgeht und wir unseren Beruf an den Nagel hängen müssen.
Übrigens …
Alles Grundsätzliche, was alle Arbeitnehmer*innen, in unserem Fall alle Filmschaffende angeht wie z. B. Ruhezeiten, wird im Manteltarifvertrag geregelt. Er bildet die Basis und ummantelt alle anderen Tarifverträge wie den Gagentarifvertrag für das Team, den Kleindarstellervertrag für die Komparserie, den Schauspieltarifvertrag für uns Schauspieler*innen, oder den Kinoerlösbeteiligungstarifvertrag für alle urheberrechtlich relevante Mitwirkende. Und weil dieser Vertrag auch für uns Schauspieler*innen von solch zentraler Bedeutung ist, hat bei seiner Neuverhandlung der BFFS nicht nur mitgemischt, sondern als eigenständige Tarifpartei den Manteltarifvertrag diesmal auch unterschrieben.
Zusammenhängende Ruhetage
Bei diesen Tarifverhandlungen lag das Hauptaugenmerk unserer Gewerkschaften ver.di und BFFS also darin, die Ruhetage fürs Team und uns Schauspieler*innen zu optimieren. Das Argument war: Wer unter der Woche lange arbeitet, braucht dringend Ausgleichstage! Erst wenn diese auch zusammenhängend sind, kann eine wirkliche Erholung einsetzen. So gilt seit dem 1. September, dass bei allen Drehs über 40 Tage ab dem 2. Dreh-Monat mindestens dreimal monatlich zwei zusammenhängende freie Tage gewährt werden müssen. Bei kürzeren Drehs sind jetzt mindestens zweimal zwei zusammenhängende freie Tage im ersten Dreh-Monat zu erfüllen. Dies sind wohlgemerkt Mindestanforderungen! Sie sind eine deutliche Besserstellung gegenüber den bisherigen tariflichen Regeln – und übrigens auch gegenüber dem Arbeitszeitgesetz. Nach ihm ist nur ein freier Tag pro Woche erforderlich, der Samstag gilt gesetzlich als normaler „Werk“-Tag, an dem gearbeitet wird.
Die 48-plus-11-Regel an Wochenenden
Im neuen Manteltarifvertrag ist jetzt das kalendarische Wochenende erstmals konkret benannt und geregelt. Zu seinem Schutz wurde die neue 48-plus-11-Regel eingeführt. Das bedeutet zunächst, dass ein freies Wochenende zwischen einem Freitag-Nachtdreh und dem Arbeitsbeginn am nächsten Montag mindestens 48 plus 11 Stunden dauern muss. Auch ohne Nachtdreh am Freitag gilt diese Regelung für mindestens zwei Wochenenden je Monat.
Samstag- & Sonntag-Zuschläge
Obwohl der Samstag – wie gesagt – gesetzlich ein ganz normaler Werktag ist, müssen die Filmfirmen seit dem 1. September für Samstag-Drehs zugunsten des Teamkolleg*innen hinter der Kamera auf ihren Stundenlohn 25% Zuschlag bezahlen. Sollte ein Sonntag der sechste Drehtag in der Woche sein, sind für ihn sogar 75% Zuschlag fällig. Mal abgesehen davon, dass in einem solchen Fall ein weiterer Ruhetag (neben den anderen gebotenen Ruhetagen einer 5-Tage-Woche) gewährt werden muss. Diese Zuschläge betreffen zwar nicht direkt uns Schauspieler*innen, aber wir profitieren trotzdem davon. Denn angesichts dieses Kostendrucks werden zukünftig viele Filmfirmen sicherlich nur bei begründeten, unvermeidbaren Situationen auf einen Dreh am kalendarischen Wochenende ausweichen.
Clearingstelle
Damit die tariflichen Bestimmungen auch in der Praxis eingehalten und vor allem Missverständnisse bei Überschreitungen der täglichen Höchstarbeitszeit ausgeräumt werden, soll es künftig eine Kontrollinstanz geben. Diese sogenannte Clearingstelle wurde eigens für diesen Zweck erstmals tariflich festgeschrieben. Sie kommt zum Einsatz, wenn ver.di- oder BFFS-Mitglieder ihren Gewerkschaften entsprechende Missstände melden. Die Clearingstelle wird von Gewerkschafts- und Produzentenallianzseite paritätisch besetzt sein.
Mit langem Atem …
Die Tarifverhandlungen fanden diesmal unter einem schwierigen Vorzeichen statt. Nie zuvor haben wir Filmschaffende (wenn wir denn drehen konnten) so am Limit gearbeitet wie unter den verschärften Corona-Bedingungen. Nie zuvor war vor allem bei unseren Teamkolleg*innen der Ruf so laut nach entspannteren Ruhezeiten. Die Produzentenseite wiederum fürchtete die unwägbaren wirtschaftlichen Risiken der Krise und sah kaum Verhandlungsspielraum für tarifliche Fortschritte. Zwar forderten ver.di und BFFS angesichts der Krise vorerst keine Gagenerhöhungen, dafür aber Verbesserungen der Ruhezeiten. Und die können natürlich auch eine Menge Kosten verursachen. So standen die im Dezember 2020 begonnenen Verhandlungen lange Zeit auf der Stelle, ja, sogar mehrmals vor dem Aus.
Dass Ende April dieses Jahres schließlich doch der Durchbruch gelang und ganz wesentliche Verbesserungen im Mantel-, aber auch im Schauspieltarifvertrag errungen wurden, liegt an der langjährigen vertrauensvollen Tarifpartnerschaft zwischen den Gewerkschaften und der Produzentenallianz sowie an der Geschlossenheit von ver.di und BFFS und deren Bereitschaft, ihre Ziele mit langem Atem zu verfolgen. In der Ruhe liegt die Kraft.
Mit der gleichen Beharrlichkeit ziehen BFFS und ver.di schon seit Jahren an einem Strang, dass die Filmförderung von der Einhaltung tariflicher Mindeststandards abhängig gemacht wird. Langsam kommt Bewegung in die Diskussion der für die Filmförderung verantwortlichen Politiker. Das ist erfreulich. Aber bis diese Selbstverständlichkeit der Tarifbindung bei geförderten Filmen nicht deutschlandweit in den Richtlinien aller Förderinstitute verankert ist, werden BFFS und ver.di (anders als der Titel des Artikels vermuten lässt 😉 keine Ruhe geben.
Hikmat El-Hammouri, Jahrgang 1973.
Nach Abschluss einer Ausbildung zum Kommunikationselektroniker folgte das Abitur über den zweiten Bildungsweg auf dem Kolleg. Danach Studium der Archäologie, Altorientalistik und Arabistik mit Ausgrabungen in Deutschland und im Nahen Osten. Geld fürs Studium verdiente er in dieser Zeit als Kinobeschäftigter bei Cinemaxx. Während der Konzern 2004 aus der Tarifbindung trat und eine Phase längerer Arbeitskämpfe auslöste, war er als ver.di Vertrauensleutesprecher Teil des Gegendruckes der Belegschaft. Im Frühjahr 2008 wechselte er als Projektmanager zu connexx.av nach Köln. Für das ver.di Projekt betreute er dort die Beschäftigten im Medienbereich, insbesondere beim Film. Seit September 2018 arbeitet er im ver.di Landesbezirk Berlin-Brandenburg im Fachbereich Medien, Kunst und Industrie und ist hier hauptsächlich für die Bereiche FilmUnion und Theater und Bühnen verantwortlich.