Erste gemeinsame Veranstaltung „Und bitte! Mehr Schauspielerinnen ab 50 in Kino, Streaming und Fernsehen“!

Leslie Malton
1. November 2021

Austausch unter Entscheidungsträger*innen der Filmbranche – Bei der ersten gemeinsamen Veranstaltung von Woman in Film & Television (WIFT Germany) und der GÖTZ GEORGE STIFTUNG in Kooperation mit dem Bundesverband Schauspiel (BFFS) im Rahmen von HoF Plus der Hofer Filmtage wurde die Forderung unterstrichen: „Und bitte! Mehr Schauspielerinnen ab 50 in Kino, Streaming und Fernsehen“!

Wie kann man im Kino, im Fernsehen und auf Streaming-Plattformen die Wirklichkeit von Frauen über 50 realistischer als bisher abbilden? Wie können Frauenfiguren über 50 mehrschichtiger erzählt werden? Wie kann man erreichen, dass Schauspielerinnen über 50 weniger auf Alter und Herkunft, vor allem aber weniger auf ihr Aussehen reduziert werden? Und was braucht es, damit die meisten weiblichen Haupt- und Nebenrollen ab 50+ nicht überwiegend mit prominenten Schauspielerinnen besetzt werden, etwa weil man etliche Schauspielerinnen nicht mehr gesehen hat, da sie aufgrund zu weniger Rollenangebote nicht mehr besetzt wurden, oder weil die Quote im Vordergrund steht? Die Bandbreite an Inhalten, über die sich am 28. Oktober 2021 auf der virtuellen Veranstaltung „Und bitte!“ Mehr Schauspielerinnen ab 50 in Kino, Streaming und Fernsehen“ Entscheidungsträger*innen aus den verschiedenen Bereichen der Filmbranche austauschten, war groß. Dabei waren u.a.: Frank Tönsmann (WDR), Wolfgang Grundmann (ZDF), Nadja Malkewitz (RTL), Leslie Malton (BFFS), Anna Schöppe (HessenFilm), Petra Wagner (Drehbuch/Regie), Lars Becker (Drehbuch/Regie), Nina Haun (Casting), Zazie de Paris (Schauspiel), Ilknur Boyraz (Schauspiel), Adriana Altaras (Regie/Schauspiel) und Prof. Dr. Elizabeth Prommer. Letztere bot einen Einblick über die aktuellen Zahlen aus der Neuauflage der Studie zur audiovisuellen Diversität in Film und Fernsehen in Deutschland. Eröffnet wurde die Veranstaltung von Catherine Lieser (WIFT GERMANY), Marika George (GÖTZ GEORGE STIFTUNG) und Leslie Malton (BFFS).

Obwohl inzwischen einiges in Bewegung ist, stand fest: Es muss sich noch viel ändern, um Schauspielerinnen über 50 in Kino, Streaming und Fernsehen zu sehen, sichtbarer zu machen und die Lebensrealität von Frauen angemessen darzustellen. Es dürfe nicht nur um die Quote und den potentiellen Marktwert einer Geschichte gehen. Gerade die öffentlich-rechtlichen Sender, aber auch alle Teilnehmer*innen der Branche trügen Verantwortung. Ihre Geschichten prägten die Selbstwahrnehmung ihres Publikums und somit unsere Gesellschaft. Leslie Malton (BFFS) befand aber auch: „Wir Schauspielerinnen sind auch in der Pflicht, auf das Problem aufmerksam zu machen. Wenn wir besetzt sind, können wir die Regisseur*innen dazu anregen, unsere Figur komplexer und differenzierter zu erzählen.“ Und sie ergänzte: „Geschichten müssen mehr auf Augenhöhe erzählt werden. Das beziehe ich auch auf unseren Umgang miteinander.“

Bewusstsein schaffen, Klischeedenken hinterfragen, neue Strukturen errichten wie etwa Checklisten anlegen, die helfen, Entscheidungen zu prüfen: Das wären die ersten wichtigen Schritte, um die oben genannten Ziele zu erreichen, waren sich viele Teilnehmer*innen einig. Beginnen müsse man damit schon bei der Stoffentwicklung. „RTL Fiction etwa arbeitet schon seit einiger Zeit mit einem sogenannten Diversitäts-Assistenten“, berichtete Nadja Malkewitz. „Neben der Aufführung einer Reihe von Testverfahren hält der Assistent auch Checklisten für uns bereit. Diese sind nicht so zu verstehen, dass sie stoisch abgearbeitet werden, sondern bieten uns ein wichtiges Mittel der Reflexion. Dieses anhaltende Bewusstmachen empfinde ich gerade im laufenden Prozess als sehr wichtig." Denkbar wäre dies auch beim ZDF. Redakteur Wolfgang Grundmann: „Es ist unsere Aufgabe, das gesamte gesellschaftliche Leben abzubilden und nicht nur einen Ausschnitt, der schön ist.“ Frank Tönsmann, WDR: „Das ist ein Bewusstseinsprozess, der beim WDR definitiv angekommen ist und an dessen Umsetzung wir schon seit längerem arbeiten. Natürlich achten wir dabei auf Parität.“ Elizabeth Prommer betonte: „Die Studie hat gezeigt, dass es dort, wo Leute mit Checklisten gearbeitet haben, zu positiven Änderungen kamen.“ Sie plädierte dafür, statt auf das Bauchgefühl zu hören, sich mit einer Checkliste noch einmal zu hinterfragen.

Drastisch äußerte sich Regisseur und Autor Lars Becker: „Diversität darf nicht als Thema begriffen und die Figuren nicht über Geschlecht, Sexualität, Herkunft und Religion legitimiert werden. Es braucht eine Normalisierung von Diversität, die mit Nachhaltigkeit erzählt wird.“

Schauspielerin und Regisseurin Adriana Altaras‘ Forderung: „Lasst die 60-Jährigen auch tatsächlich von 60-Jährigen spielen!“ Schauspielerin Simone Wagner: „Es ist erstaunlich, wie häufig viele ältere Rollen von jüngeren Schauspielerinnen besetzt werden. Da mangelt es ganz offensichtlich an Mut. Folglich ist es kein Wunder, dass Frauen mit 50 Jahren den Druck haben, sie müssten wie 20-Jährige aussehen. Das Fernsehen lebt es ihnen vor, hat aber nichts mit unserer Lebensrealität zu tun.“ Von zwei Mut machenden Erlebnissen erzählten die Schauspielerinnen Zazie de Paris und Ilknur Boyraz. Zazie de Paris: „Eines Tages kam Liane Jessen vom HR auf mich zu und bot mir die Rolle der Fanny im Frankfurter ‚Tatort‘ an. Sie sagte: ‚Es kann doch nicht sein, dass Sie noch nicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gespielt haben!‘“ Und Schauspielerin Ilknur Boyraz: „Kurz vor meinem 50. Geburtstag bekam ich ein Drehbuch für eine Hauptrolle, und ich dachte: Wow – was für ein schönes Geschenk und ein gutes Zeichen! Da geht noch was, da geht ganz viel. Vielleicht darf ich dann auch dann zum 70. Geburtstag die „Miss Marple“ spielen, die in einer Alterskommune auf Ibiza wohnt und schräge Hobbies hat, wie E- Gitarre spielen …“. Ihr Appell: mehr Netzwerke und Synergien zu bilden. Boyraz: „Auch wenn es sicher eine Weile dauert: Packen wir es an!“

„Und bitte! Mehr Schauspielerinnen ab 50 in Kino, Streaming und Fernsehen“ war die erste Zusammenarbeit des internationalen Businessnetzwerkes für Frauen in der Medienbranche (WIFT Germany) und der Götz George Stiftung in Kooperation mit dem BFFS im Rahmen von HoF Plus der Hofer Filmtage. Moderiert wurden die Gesprächsrunden von Knut Elstermann, Cornelia Köhler (WIFT Germany), Sandra Willmann (BFFS) und Urs Spörri.

Beim „Tacheles-Talk“ von HoF Plus wurde die Diskussion im Rahmen der Hofer Filmtage fortgesetzt. Nach der Begrüßung durch Thorsten Schaumann (Hofer Filmtage), Marika George (GÖTZ GEORGE STIFTUNG) und Catherine Lieser (WIFT Germany) kamen die Schauspielerinnen Adriana Altaras, Anke Sevenich, Anna Brüggemann und Simone Wagner unter der Moderation von Cornelia Köhler (WIFT Germany) zu Wort.

Der Videomitschnitt des Gesprächs kann auf  dem YouTube-Kanal der Internationalen Hofer Filmtage angesehen werden.