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Die Freie Szene – Eine Hommage

Beka Bediana
20. Juli 2022

In kaum einem anderen Bereich arbeiten so viele Schauspieler*innen wie in der freien Szene. Dazu zählen sich manche größere und viele kleine Privattheater, einige Tourneetheater, Einzelkünstler*nnen, Kollektive und freie Ensembles. Sie machen die Kulturlandschaft Deutschlands zu einer der reichsten in ganz Europa und darüber hinaus.

Wir alle und auch die Politik sollten uns öfter bewusst machen, wie reich, kreativ und innovativ die freie Szene ist. Kaum ein Bereich der Kunst ist so progressiv. Daher ist es besonders wichtig, sie zu erhalten. Während Corona konnten sich viele Theaterhäuser, Ensembles und Einzelkünstler*innen dank der verschiedenen Förder- und Hilfsprogrammen irgendwie über Wasser halten. Doch nach zwei Jahren Pandemie ist das eingetroffen, was viele befürchtet haben: Die Zuschauer kommen oft nur spärlich. Dies ist vor allem für nicht subventionierte Ensembles und Theater ein großes Problem, das sie nicht allein lösen können. Wir sehen, dass die Länder und Kommunen zurzeit noch Geld in die Hand nehmen und freie Gruppen und Häuser unterstützen. Denn noch sind die Kassen gefüllt. Aber was passiert in ein, zwei, drei Jahren, wenn dies nicht mehr der Fall sein wird und die schwarze Null wieder eingehalten werden soll? Aus Erfahrung wissen wir, dass zuerst bei der Kunst gespart wird. Die Fördergelder mittelfristig zu drosseln, wäre ein Todesurteil für viele Künstler*innen und Häuser. Unsere Lobbyarbeit muss weiter verstärkt werden, noch bevor die Politik auf die Idee kommt, bei der Kultur zu sparen. Die Systemrelevanz der Kunst und Kultur steht außer Frage.

Wenn wir über die freie Szene reden, dann dürfen wir aber auch nicht übersehen, dass viele Kolleg*innen in prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten.

Die berufliche Laufbahn von Schauspieler*innen ist bekanntermaßen sehr vielfältig. Mal drehen wir, mal sprechen wir und mal stehen wir auf der Bühne. Meistens arbeiten wir weisungsgebunden, ab und zu selbständig, auf freien Bühnen jedoch zu oft scheinselbständig.

Um von der Schauspielerei zu leben und für das Alter vorsorgen zu können, müssen einerseits die Gagen fair sein und andererseits eine sozialversicherte Anstellung erfolgen.

Für uns Schauspieler*innen wäre es aus mehreren Gründen wünschenswert, wenn wir auch in der freien Szene sozialversichert und dadurch abgesichert arbeiten könnten.

Nicht nur im Falle eines erneuten Lockdowns hätten wir so ein Anrecht auf Lohnfortzahlung, auch würden wir Anwartschaftstage sammeln für den Anspruch auf Arbeitslosengeld und in die Rentenkasse einzahlen.

In der Realität sieht es leider so aus, dass Schauspieler*innen zu oft auf Rechnung oder sogar in Form von GbRs arbeiten, sobald sie in der freien Szene tätig sind[, sei es in Privat Theatern, freien Ensembles oder Tourneetheatern.] Diese prekären Beschäftigungsverhältnisse haben Nachteile, die uns allen bewusst sind, drohende Altersarmut und Lohnausfall bei Krankheit sind nur zwei davon.

Hier darf man natürlich nicht verallgemeinern und alle in der freien Szene tätigen Häuser und Ensembles über einen Kamm scheren. Selbstverständlich gibt es auch in der freien Szene Häuser, Ensembles und Tourneetheater, die uns anstellen und sogar in die Bayrische Versorgungskammer einzahlen. Zur Wahrheit gehört aber leider auch, dass viele dies nicht tun.

Was sind die Gründe dafür? Nun, einige argumentieren damit, dass sie einfach nicht genug Geld haben, um uns sozialversicherungspflichtig anzustellen. Bei einer begrenzten Raumkapazität, bei wegbleibenden Zuschauer*innen und einer oft nicht ausreichenden Förderung durch Stadt und Land kann man das zwar verstehen, doch sollten wir nicht langsam über das Status Quo hinauswachen? Müssten wir nicht alle Hand in Hand dafür sorgen, dass genug Geld da ist? Zumal es auch Häuser, Ensembles und Tourneetheater gibt, die theoretisch genug Umsatz erwirtschaften, um Schauspieler*innen anzustellen, sich aber offenbar daran gewöhnt haben, keine Abgaben zu zahlen, obwohl wir weisungsgebunden arbeiten. Der Wille zur Veränderung muss auf Arbeitgeberseite da sein und der sozialversicherten Anstellung muss Priorität eingeräumt werden.

Ein Schritt in die richtige Richtung ist es aus unserer Sicht, dass einige Städte wie Köln bereits angekündigt haben, Fördergelder in Zukunft nur noch an die Häuser zu vergeben, die den Schauspieler*innen eine Mindestgage zahlen. Zeitnah sollte auch die Sozialversicherungspflicht eine Förderbedingung sein, denn was die Politik noch gerne verdrängt oder schlicht nicht zu wissen scheint, ist, dass die meisten Schauspieler*innen in der freien Szene unter prekären Arbeitsbedingungen arbeiten. Außerdem müssen wir uns dafür einsetzen, dass der freien Szene grundsätzlich noch mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden und diese nicht einfach von einer Kunstsparte zur anderen wandern. Vor allem die aktuellen Krisen in der Welt zeigen doch, wie wichtig eine freie, vielfältige, kulturelle Landschaft ist. Und die freie Szene in Deutschland hat allen Grund, selbstbewusst gegenüber der Politik aufzutreten.