Am Freitag, den 27.01.2023 hat das ZDF die Konsequenzen seiner Entscheidung öffentlich gemacht, 100 Millionen Euro aus dem linearen Programm abzuziehen und in den Aufbau einer ZDF Mediathek zu stecken mit dem erklärten Ziel, jene Bevölkerungsgruppen zu erreichen, die bisher nicht erreicht wurden, sprich, die jüngeren Menschen. Dieses Ziel ist natürlich unterstützenswert, zumal es die Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Sender ist, Programm für die gesamte Bevölkerung zu gestalten, die dafür schließlich Gebühren zahlt. Ganz besonders vor dem Hintergrund einer auseinanderdriftenden Gesellschaft und der zunehmenden Gefährdung der Demokratie, die derzeit zu beobachten ist, muss es das Ziel der öffentlich-rechtlichen Sender sein, alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen mit qualitativ hochwertiger Kultur, Unterhaltung und Journalismus zu erreichen. Der Bundesverband Schauspiel (BFFS) möchte deshalb betonen, dass dieser Reformwillen absolut begrüßenswert ist.
Zugleich aber wächst die Sorge, dass Repräsentanz und Sichtbarkeit einer gesellschaftlichen Gruppe gegen jene einer anderen ausgespielt werden könnte. In diesem Zusammengang steht folgender Appell unseres Vorstandsmitglieds Katharina Abt an die Senderverantwortlichen:
Ich begrüße diese Reform ausdrücklich. Welche Strategien man bei dem Versuch ergreift, die Programmstruktur zu reformieren, und welche davon erfolgreich sein werden, hängt von den individuellen Visionen der Senderchefs und deren Umsetzung ab. Ich will das zunächst nicht in Frage stellen.
Das ZDF hat sich nun also entschieden, jährlich 100 Millionen Euro für neue und jüngere Zielgruppen auszugeben. Die Medienforschung hatte in den Jahren 2019 und 2020 eine fundierte Zielgruppensystematik erarbeitet, die zu dem Ergebnis gekommen war, dass genau die jüngeren mit dem bisherigen – linearen – Programm nicht mehr erreicht werden können. Deshalb will man verstärkt auf den Ausbau der Mediathek setzen.
Um die Umstrukturierung im Sender zugunsten von Online Angeboten zu finanzieren, müssen nun im linearen Bereich Einsparungen vorgenommen werden. Hierbei wurde sich laut ZDF um Gerechtigkeit bemüht. Fragt man beim ZDF nach, welche Kriterien diesen Einsparungen zugrunde liegen, bekommt man die Auskunft, dass darauf geachtet wurde, dass einzelne Produktionsstandorte und Produktionsgesellschaften nicht übermäßig belastet werden sollten. Man habe versucht, diese Last möglichst gering zu halten und auf mehrere Produktionsstandorte und Produktionsgesellschaften zu verteilen.
In der Pressemitteilung von Programmdirektorin Nadine Bilke vom 27.01.2023 hieß es dazu allerdings:
„Im Zuge einer zukunftsfähigen Programmentwicklung wird das ZDF verstärkt in Angebote für jüngere Zielgruppen investieren. Diese strategische Umschichtung hat leider auch zur Folge, dass wir uns von erfolgreichen und liebgewonnenen Programmen trennen müssen. Daher haben wir beschlossen, die Krimiserien ‚SOKO Hamburg‘ und ‚Letzte Spur Berlin‘ zugunsten der Entwicklung neuer Formate zu beenden. Der Abschied von zwei solch erfolgreichen Formaten fällt uns nicht leicht.“
Diese Formulierung erweckt – im Gegensatz zu der Aussage des ZDF, den Kürzungen hätten keine inhaltlichen oder qualitativen Kriterien zugrunde gelegen – den Eindruck, die oben genannten Formate erfüllten nicht den Anspruch, jüngere Zielgruppen zu erreichen und müssten deswegen anderen Formaten weichen, die diesem Anspruch mehr genügten. Wenn man sich die Zuschauerreaktionen auf diese Entscheidung vergegenwärtigt, die im Netz zu lesen sind, hat sich das ZDF mit dieser Entscheidung allerdings offenbar keinen Gefallen getan, und zwar durchaus generationenübergreifend. Sie ist durchweg mit Entsetzen, Unverständnis und Trauer quittiert worden.
Was auch immer aus diesem Reformversuch wird, diese Entscheidung hat in mir die ohnehin vorhandenen Sorge verstärkt, dass – vor allem weibliche – Menschen ab dem Alter von 45 aufwärts in den Geschichten und Formaten immer weniger stattfinden, die im linearen Fernsehen und ganz besonders auch auf den Streamingplattformen erzählt werden. Man kann dies z. B. in der von der Uni Heidelberg und der MaLisa Stiftung 2016 durchgeführten und 2020 aktualisierten Studie nachlesen.
Wenn es das erklärte Ziel des ZDF ist, Gesellschaftsrelevanz und Vielfaltsdarstellung zu gewährleisten, dann darf auf keinen Fall eine gesellschaftliche Gruppe gegen eine andere ausgespielt werden. Aber genau diese Gefahr besteht aus meiner Sicht jetzt.
Die zweite Gefahr, die ich sehe, und die mir schon lange zu schaffen macht, besteht in den Zuschreibungen, die der sogenannten „älteren Generation“ gemacht werden, zu der laut diesen Zuschreibungen inzwischen aber generell Menschen ab Mitte 40 gerechnet werden. Oft hat man aber den Eindruck, dass die Zuschreibung „jung“ mit „Erneuerung“, „Buntheit“, „Authentizität“, „Zukunft“ verknüpft wird, alles was jenseits der 45 stattfindet mit „bieder“, „langsam“, „unbeweglich“, und „absterbend“.
Ich als 55-jährige Schauspielerin möchte betonen, dass wir älteren nicht in beigen Gabardine Hosen herumlaufen und immer nur „Das Traumschiff“ sehen wollen (nichts gegen das „Traumschiff“!). Wir spielen, unterrichten, lachen, treffen Freund*innen, ärgern uns, haben Sex und trinken manchmal zu viel. Und: Wir kaufen Produkte, sind also eine werberelevante Zielgruppe. Kurz: Wir befinden uns mitten im Leben und haben keine Lust, ins Austragshäuserl zu wechseln, also ins erzählerische Altenteil.
Liebe Senderverantwortliche, bitte nehmen Sie unsere Sorge ernst! Wir lieben es, für sie zu arbeiten und mit aller Kraft an der Umsetzung guter Geschichten – der leichteren genauso wie der tieferen – mitzuwirken. Diverser Geschichten, die Menschen aller Altersgruppen einschließen: jüngere, junge, Menschen mittleren Alters und – ja, auch etwas ältere und alte. Und wenn Sie jetzt so viel Geld und Mühe auf die grundlegende Reform der Programmstruktur verwenden, seien Sie sich bitte bewusst, dass auch Menschen ab 50 Mediatheken nutzen und qualitativ hochwertige Geschichten sehen wollen. Es ist eine sehr anspruchsvolle gesellschaftliche Gruppe, voller Erfahrung, Kraft und Neugier. Und es ist eine zahlenmäßig sehr große Gruppe, die einen Großteil der Gebühren aufbringt, die Ihnen diese Reformen ermöglichen.
Katharina Abt absolvierte ihre Schauspielausbildung an der Westfälischen Schauspielschule in Bochum. Seither arbeitet sie an Häusern im ganzen deutschsprachigen Raum. Außerdem wirkt sie in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen mit. Sie arbeitet auch als Schauspieldozentin und Sprecherin und lebt in Hamburg. Katharina Abt ist BFFS-Mitglied seit der ersten Stunde. In den letzten Jahren arbeitete sie als Redaktionsmitglied für den Schauspiegel des BFFS.