Gewerkschaften suchen gemeinsam das Gespräch mit Claudia Roth
Die fünf Künstler*innen-Gewerkschaften …
- der Bundesverband Schauspiel e.V. (BFFS),
- die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger (GDBA),
- die Vereinigung Deutscher Opern- und Tanzensembles e.V. (VDO),
- die unisono – Deutsche Musik- und Orchestervereinigung e.V.
- und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
… haben heute in einem gemeinsamen Brief Kulturstaatsministerin Claudia Roth aufgefordert, mit ihnen über die Lage der Kunst- und Kulturschaffenden zu sprechen.
Seit fast anderthalb Jahren ist Claudia Roth unsere neue Kulturstaatsministerin und zuständig für eine Branche, in der Kunst- und Kulturschaffende wortwörtlich mit außer-ordentlichen Verhältnissen konfrontiert sind. Außer-ordentlich sind vor allem unsere oft nicht angemessenen Arbeitsbedingungen, Einkommen sowie sozialen Absicherungen und letztendlich unsere Existenzängste. Wie angespannt die Lage ist, sollte der Politik nicht erst durch die Corona-Krise oder durch die jüngst bekannt gewordenen Missstände an Filmsets ins Bewusstsein gelangt sein. Schon in den Jahren 2003 bis 2007 hat die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages sich eingehend mit der schwierigen Lage der Kunst- und Kulturschaffenden beschäftigt und die strukturellen Schwachstellen unserer Kulturlandschaft beleuchtet.
Für unsere Kulturstaatsministerin, die vor ihrer politischen Laufbahn ihr Berufsleben in der Kulturszene verbracht hat, ist das alles sicher nichts Neues. Wir sollten sie als unsere Verbündete, als unsere wichtigste „Lobbyistin“ im politischen Raum betrachten, in dem unsere Anliegen erfahrungsgemäß leider nur selten eine Rolle spielen. Claudia Roth ist sicher nicht nur an einem nachhaltigen, vielfältigen Kulturleben in Deutschland interessiert, sie will auch, darauf sollten wir bauen, unsere Lage verbessern – die Lage derjenigen, die dieses Kulturleben erst lebendig machen.
Die Bedeutung von Gewerkschaften und Tarifverträgen
Aber dazu braucht unsere Verbündete Claudia Roth auch starke Verbündete auf unserer Seite. Das ist gar nicht so leicht. Denn die Vielfältigkeit unserer Kulturszene führt auch zu einer sehr kleinteiligen Vertretung der vielfältigen berufsständigen Interessen durch zahlreiche, sehr ambitionierte, aber relativ kleine Berufsverbände. Die fünf Künstler*innen-Gewerkschaften sind in einer anderen Position. In ihnen sind nicht nur deutlich mehr Kunst- und Kulturschaffende organisiert, sie verfügen auch über mehr Knowhow, mehr Mittel, mehr Beständigkeit und sie schaffen Tarifverträge, die Schritt für Schritt mehr Ordnung in unsere schwierigen, außer-ordentlichen Verhältnisse bringen. Tarifverträge sind das mächtigste Instrument einer Branche, autonom ihre Arbeitswelt zu regeln – mit einer Verbindlichkeit, die sonst nur Gesetze haben. Diese Verbindlichkeit ist gerade in unserer von ständig wechselnden befristeten Engagements bzw. Aufträgen geprägten Kunst- und Kulturlandschaft ein sehr kostbares Gut und kann durch noch so viele gut gemeinte Empfehlungen, Kodexe usw., die alle unverbindlich sind, nicht ersetzt werden. Das unterstreicht die Bedeutung unserer fünf Künstler*innen-Gewerkschaften.
Gesprächsbedarf der Gewerkschaften
Jede einzelne dieser Gewerkschaften pflegt natürlich ihre eigenen politischen Kontakte, auch zu unserer Kulturstaatsministerin. Aber sie möchten mit unserer wichtigsten Verbündeten in der Politik noch intensiver ins Gespräch kommen – und zwar gemeinsam als Künstler*innen-Gewerkschaften, die an einem Strang ziehen. Thematisiert werden sollen unter anderem …
- die Arbeitsbedingungen für Kunst- und Kulturschaffende an bundesdeutschen Bühnenhäusern,
- die aktuelle Lage freischaffender Künstler*innen, insbesondere in Fragen von Honorarmindeststandards und sozialer Absicherung,
- die Finanzierung der Theater auf kommunaler und Landesebene,
- der Erhalt der Vielfältigkeit der Theaterlandschaft in Deutschland
- und die Berücksichtigung der Arbeits- und Sozialstandards bei der Novellierung des Filmfördergesetzes.
Claudia Roth wird bei ihren Bemühungen auf die Tarifpartner der Kulturbranche, mithin auch auf die Künstler*innen-Gewerkschaften angewiesen sein. Diese wiederum möchten auf die Unterstützung unserer wichtigsten „Lobbyistin“ nicht verzichten – Verbündete brauchen Verbündete.
Heinrich Schafmeister, 1957 im Ruhrgebiet geboren, dort sozialisiert, wurde Straßen- und Rockmusiker, studiert an der Folkwang-Hochschule Schauspiel und arbeitet seit 1984 als Schauspieler. Er war seit Gründung des BFFS 17 Jahre lang dort im Vorstand zuständig für Sozialpolitik und Tarifverhandlungen und kümmert sich auch nach seinem Ausscheiden aus dem Vorstand als Bevollmächtigter um Tarifverhandlungen.