20240510 Ki Raum

Gegen KI-Angst helfen nur Verhandlungen

Heinrich Schafmeister
11. Mai 2024

Einer der größten Herausforderungen der derzeitigen Tarifverhandlungen zum Mantel- und Schauspieltarifvertrag im Film-Fernsehbereich ist das Thema Künstliche Intelligenz (KI). Die Tarifparteien BFFS, ver.di und Produktionsallianz haben sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, den Einsatz von KI im Rahmen von Dreh-Engagements in einen gesonderten Anhang zum bisherigen Tarifwerk zu regeln. Dieser Anhang soll eine kurze Laufzeit haben, damit die Tarifparteien sowohl der Arbeitgeber*innen- als auch der Arbeitnehmer*innen-Seite auf die rasanten und noch nicht überschaubaren Entwicklungen der neuen Technologie zeitnah reagieren zu können.

Die eigens für die KI-Thematik geschaffene Arbeitsgruppe hat sich konstruktiv auf den Weg gemacht, kommt allerdings nur sehr langsam voran – aus drei Gründen:

1. Noch nie zuvor hat irgendeine Branche in Deutschland zum Thema KI Tarifverhandlungen geführt.

Es gibt eine ganze Reihe von Verbänden und Interessenvertretungen, die ein Statement nach dem anderen zum Thema KI veröffentlichen, Panels veranstalten usw – gut und schön. Aber BFFS, ver.di und Produktionsallianz sind hier in Deutschland die ersten Tarifpartner, die zum Thema KI tatsächlich den Interessensausgleich suchen. Sie betreten absolutes Neuland. Auch die erfolgreichen Tarifabschlüsse der amerikanischen Writers Guild oder SAG AFTRA sind hierzulande nur bedingt hilfreich. Denn dort in den USA wurden teilweise nur solche Maßstäbe durchgesetzt, die vom europäischen Urheber- bzw. Persönlichkeitsrecht ohnehin schon gewährleistet sind.

2. Der Stoff, der zur Verhandlung steht, ist sehr kleinteilig und der Raum, in dem sich die Tarifparteien bewegen, ist sehr groß.

Er umfasst …

    • die „Tiefe“ der KI-internen Prozesse – vom Input über die Bearbeitung bis zum Output –,
    • die „Breite“ aller schauspielerischen KI-Anwendungsmöglichkeiten – von der digitalen Bearbeitung der Schauspieldarbietungen, über die digitale Teilverkörperung (z. B. bei Stunts oder anderen Doubles), die digitalen Replikate von Schauspieler*innen, bis zu den digitalen Vermischungen unzähliger Verkörperungsmerkmale von unzähligen schauspielenden Personen –, aber auch die „Breite der KI-Anwendungsmöglichkeiten aus dem Blickwinkel der Filmschaffenden hinter der Kamera
    • und die „Höhe“ der immer gleichen Herausforderungen, die unterschiedlichen Fallkonstellationen genau zu beschreiben, sich zu einigen, inwieweit sie zulässig sein sollen oder nicht, welche Informationsregeln, Einwilligungsvorschriften und ggf. Entschädigungen bzw. Vergütungsregeln im Einzelnen gelten sollen.
3. Die Befürchtungen und Ausgangspositionen der Parteien liegen teilweise weit auseinander.

Die Gewerkschaften BFFS und ver.di haben jedenfalls bei den Verhandlungen unsere Ängste als Schauspieler*innen und Filmschaffende im Blick, dass mit brachialer KI-Gewalt nur Kosten eingespart werden sollen und dass wir früher oder später alle unseren Schauspiel- oder Film-Beruf nicht mehr ausüben können. Hier gilt es, entsprechende Schutzregelungen zu erreichen.

BFFS und ver.di haben nicht die Erwartung, mit einem ersten tariflichen KI-Abschluss all unsere KI-Ängste zerstreuen zu können.

Die grundsätzlichen urheber- und persönlichkeitsrechtlichen KI-Fragen müssen sowieso auf bundes-, ja, sogar auf europapolitischer Ebene geklärt werden. Hier nutzen BFFS und ver.di ihre Mitgliedschaft und ihr Engagement in der Initiative Urheberrecht, in denen viele gleichgesinnte Berufsverbände organisiert sind. Denn durch das Engagement der Initiative Urheberrecht und damit durch die Mitwirkung von BFFS und ver.di ist Europa weltweit führend, die immense technische Revolution, die KI bedeutet, in geregelten Bahnen zu lenken.

BFFS und ver.di hoffen, gemeinsam mit der Produktionsallianz einen ersten tariflichen KI-Abschluss zu vereinbaren, der vielleicht noch nicht sofort alle denkbaren KI-Fallkonstellationen im Zusammenhang mit Film- und Fernseh-Engagements abdeckt, der aber das Fundament legen sollte, auf das die Parteien künftig weitere tarifliche KI-Bausteine setzen können. Denn noch kann keiner die KI-Entwicklung im Detail vorhersagen.

Aber die Geschichte der Arbeitswelt lehrt uns: Gewaltige Transformationsprozesse wie dieser, in denen wir durch den Einsatz von KI gerade hineingeraten, werden am besten gemeistert, wenn beide Seiten sie partnerschaftlich mit fairen Tarifverträgen flankieren.

Darum wird der BFFS die gekündigten Mantel- und Schauspielverträge im Film-Fernseh-Bereich nur dann neu abschließen, wenn mit der Produktionsallianz auch und gerade zum Thema KI ein erster Einigungsschritt möglich ist.

Mit gleicher Entschlossenheit wendet sich der BFFS auch an mächtige Verhandlungspartner der Synchronbranche. Das ist dringend notwendig, weil dort die Berufe unserer Kolleg*innen von KI noch viel unmittelbarer bedroht sind.