20240922 Scheitern Entscheidung

ver.di erklärt Scheitern der Tarifverhandlungen

Heinrich Schafmeister
23. September 2024

ver.di lehnt die erzielten Arbeitszeitverkürzungen fürs Team ab

Am letzten Freitag (19.09.2024) hat unsere Partner-Gewerkschaft ver.di der Produktionsallianz das Scheitern der Tarifverhandlungen zum Tarifvertrag für auf Produktionsdauer beschäftigte Film- und Fernsehschaffende (TV FFS) erklärt. Die Verhandlungen begannen am 12.10.2023, nachdem ver.di und BFFS den Mantel- und Schauspieltarifvertrag im Juni 2023 fristgerecht gekündigt hatten, um für diese Bestandteile des TV FFS bessere Bedingungen auszuhandeln.

Gegenstand der Tarifverhandlungen waren folgende Themen:

Kurz gesagt forderten die Gewerkschaften …

  • Arbeitszeitverkürzungen fürs Team durch die Einführung einer 4-Tage-Woche;
  • eine Erhöhung der Einstiegsgage für Schauspieler*innen;
  • eine obligatorische betriebliche Altersvorsorge durch die Pensionskasse Rundfunk nicht nur bei Dreharbeiten für öffentlich-rechtliche Sender, sondern auch bei solchen für private Sender, für Streamer und fürs Kino;
  • einen gemeinsamen Antrag für eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales, damit zumindest diese obligatorische betriebliche Altersvorsorge durch die Pensionskasse Rundfunk bei allen Dreharbeiten verbindlich wird;
  • Regelungen zum Schutz der Schauspieler*innen gegen überzogene Anforderungen beim eCasting;
  • Vorsichtsmaßnahmen zum Einsatz von KI;
  • eine tarifliche Aufwertung der Themis
  • und die obligatorische Mitwirkung von Intimacy Coordinators bei intimen und körperlichen Szenen.

Die Produktionsallianz wiederum schlug vor …

  • den Nachwuchsfilm-Tarifvertrag unter angepassten Bedingungen wieder einzuführen.

Der „Eckpunkte“-Kompromiss

In der achten und letzten Tarifverhandlungsrunde vor der Urlaubszeit am 16.07.2024 haben sich die Verhandlungsdelegationen von ver.di, BFFS und Produktionsallianz zu fast allen Forderungen und Anliegen auf einen vorläufigen „Eckpunkte“-Kompromiss geeinigt. Diese Vereinbarung wurde von der Produktionsallianz, vom BFFS und von ver.di (siehe hier und siehe hier) öffentlich bekannt gegeben und begrüßt. Tatsächlich erfüllen diese „Eckpunkte“ viele Anliegen der Gewerkschaften.

Die Eckpunkte sehen vor …
  • ein großes Entgegenkommen der Produktionsallianz bei Arbeitszeitverkürzungen fürs Team: ein Einstieg in die Vier-Tage-Woche durch einen zusätzlichen bezahlten und arbeitsfreien Tag bei jedem Produktionszeitraum von mindestens 21 Drehtagen, keine 13. Stunde mehr, ein Aufschlag für das Team für jede 11. Stunde pro Tag von 25% und für jede 12. Stunde von 50% Aufschlag, diese Stunden sollen also nicht mehr verrechenbar sein, bei begonnener 12. Stunde eine Verlängerung der Nachruhezeit auf 11½ Stunden, ein Zuschlag für eine Wochenarbeitszeit von über 50 Stunden von 25% und ab der 56. Stunde von 50%;
  • entsprechend der Forderung von BFFS und ver.di eine deutliche Erhöhung der Einstiegsgage für Schauspieler*innen: bei den ersten 5 Drehtagen von 850 € auf 1.050 €, ab dem 6. Drehtag auf 900 €;
  • Erhöhung der Team-Gagen ab 01.03.2025 und ab 01.01.2026 jeweils um 2,5%.
  • einen eigenständigen Tarifvertrag zur betrieblichen Altersvorsorge (TV bAV): wie von BFFS und ver.di gefordert eine obligatorische betriebliche Altersvorsorge mit Entgeltumwandlung durch die Pensionskasse Rundfunk ausnahmslos bei allen Dreharbeiten, bei Produktionen für öffentlich-rechtliche Sender ohne Kappung der 4-prozentigen Arbeitgeberbeiträge, bei Produktionen für private Sender, für Streamer oder fürs Kino eine Kappung der 4-prozentigen Arbeitgeberbeiträge bei der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze des ganzen Kalendermonats (zurzeit 7.550 € West, 7.450 € Ost);
  • einen gemeinsamen Antrag der Tarifparteien beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf Erklärung der Allgemeingültigkeit (AVE) für diese obligatorische betriebliche Altersvorsorge durch die Pensionskasse Rundfunk, das hieße, alle, auch die nicht tarifgebundenen Produktionen müssten Pensionskasse-Rundfunk-Beiträge zahlen;
  • die von BFFS und ver.di geforderten Regelungen zum Schutz der Schauspieler*innen gegen überzogene Anforderungen beim eCasting: Rollenbeschreibung bzw. Drehbuchauszüge mindestens 72 Stunden vor Fristablauf (Sonn-, Feier- und möglichst Samstage nicht eingerechnet), Umfang der zu spielenden Szenen höchstens 8 Seiten bei höchstens 1 nicht sichtbaren Ansprechpartner*in; Aufzeichnung nur mit gängigem Smartphone, mit allgemein gebräuchlichen Kleidungen und Gegenständen, ungeschnittene Aufnahmen, Rückmeldung der Besetzungsverantwortlichen innerhalb von 4 Wochen, keine Einforderung oder Bereitsstellung von Nacktaufnahmen;
  • die von der Produktionsallianz vorgeschlagene Wiedereinführung des Nachwuchsfilm-Tarifvertrags im Sinne des FFG-Entwurfs für Erstlings- und Zweitfilm (im In- und Ausland) der Regie: Anwendungsbereich ohne Auftragsproduktionen, Budget unter 1,45 Millionen bei 90-Minütern und längeren Kinofilmen, Gagenuntergrenze von 850 € für Schauspieler*innen.
  • die Zusage der Tarifparteien, die Verhandlungen zu einem eigenständigen Tarifvertrag für den Einsatz von KI fortzusetzen;

Außerdem herrscht auch Einvernehmen zu dem Themis-Thema und dem Einsatz von Intimacy Coordinators. Diese Punkte sollen allerdings nicht tariflich, sondern auch mit weiteren Branchenteilnehmern geregelt werden.

ver.di ist mit den Arbeitszeitverkürzungen fürs Team unzufrieden

Trotz der noch vor zwei Monaten erzielten vorläufigen Einigung auf den „Eckpunkte“-Kompromiss hat die Tarifkommission von ver.di am 19.09.2024 das Scheitern der Tarifverhandlungen erklärt. Ausschlaggebend für die ver.di-Tarifkommission, die Gesamteinigung jetzt abzulehnen, war wohl, dass sie sich an dem einen Eckpunkt der Arbeitszeitverkürzungen fürs Team stört. Gemessen an der ursprünglichen Forderung einer 4-Tage-Woche scheint ver.di das Entgegenkommen der Produktionsallianz bei diesem Eckpunkt nicht weit genug zu gehen. In der Praxis sind wir Schauspieler*innen von den noch strittigen Regelungen zur Arbeitszeitverkürzung nur am Rande betroffen. Die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmerseite haben Nachverhandlung vereinbart. Damit tragen sie eine hohe Verantwortung.

BFFS wird sich für einen Kompromiss einsetzen

Sollte auch diese Nachverhandlung scheitern, wären nicht nur alle durchgesetzten Fortschritte der „Eckpunkte“ gegenstandslos, sondern auch alle Mindeststandards der gekündigten Mantel- und Schauspieltarifverträge ungültig, die bislang die ca. 25.000 Filmschaffenden und Schauspieler*innen sozial und wirtschaftlich absichern konnten.

Der BFFS wird sich für einen Kompromiss einsetzen. Er wird diese Nachverhandlung abwarten, bevor er im Interesse der Schauspieler*innen seine eigenen Schlüsse ziehen kann.