Schauspieltätigkeit
Der Dramatiker, Kritiker, Sänger und Übersetzer Eric Russell Bentley (* 14.09.1916, † 05.08.2020) hatte ein langes Leben, aber fand wohl die kürzeste, griffigste und treffendste Formel für die Definition des Schauspielens: „A verkörpert B, während C zuschaut.“
Unter A verstehen wir die darbietende Person.
B ist ein von A zu unterscheidendes fiktives oder reales Wesen. Dieses Wesen – eine Person, ein Lebewesen, ein lebendiges Ding – nennen wir Rolle und sollte in der dargebotenen Geschichte zumindest an einer Stelle eine wirkliche Rolle spielen, heißt, ihre Reaktionen auf das Geschehen sollten ausreichen, um etwas von ihrem Charakter zu verraten und die Handlung voranzutreiben. Denn die Kunst einer Verkörperung drückt sich weniger darin aus, so wie eine Rolle auszusehen oder so zu agieren, sondern vielmehr, so wie sie auf andere Rollen und die Handlung zu reagieren und damit vom Wesen der Rolle etwas preis zu geben. Von Komparserie und Kleindarstellung kann diese Anforderung nicht erwartet werden. Dies sind keine schauspielerischen Tätigkeiten.
C steht in der Schauspiel-Formel schließlich für das Publikum, die Zuschauer*innen oder Zuhörer*innen. Sie wohnen der Rollen-Verkörperung leibhaftig bei, nehmen sie mittels Übertragung zeitgleich oder zeitlich versetzt wahr. Und erst in deren Vorstellungskraft wird die Verkörperung der Rolle vollendet, wird sie lebendig.
Auf diese Schauspiel-Formel lassen sich ziemlich exakt alle Schauspielberufsbezeichnungen reduzieren, die weltweit nach dem International Standard Classification of Occupations (ISCO-08) mit der Ziffer 2655 und hierzulande von der Bundesagentur für Arbeit wie dem Statistischen Bundesamt nach der Klassifizierung der Berufe (KldB 2010) mit der Ziffer 94214 codiert werden. Wenn wir also beruflich unterwegs waren und auf unserer Sozialversicherungsmeldung zu Beginn der neunstelligen Tätigkeitsnummer die 94214 entdecken, spätestens dann können wir davon ausgehen, eine schauspielerische Tätigkeit ausgeübt zu haben.
Von der Schauspielerei sind – theoretisch – all jene verwandte Tätigkeiten zu unterscheiden, in denen vielleicht eine Darbietung, aber im engeren Sinne keine Rollen-Verkörperung – A verkörpert B während C zuschaut – stattfindet: z. B. Moderation, Lesung, Vortragskunst, Sprecher*innen-, Schauspielcoach-, Kabarettisten*innen-, Comedian-, Model-, Tanz-, Musik-Tätigkeiten etc. In der Praxis werden jedoch solche schauspiel-verwandte Tätigkeiten nicht selten auch von uns Schauspieler*innen ausgeübt, weil unsere schauspielerischen Fähigkeiten dabei von Vorteil sind: z. B. Sprechkunst, Textinterpretation und -vortrag, szenisches Verständnis, Körperbewusstsein und -beherrschung, Rhythmusgefühl, Musikalität usw.
Alle Tätigkeiten, die im betrieblichen Umfeld der Schauspielerei notwendig oder üblich sind, nennen wir schauspiel-betriebsnahe Tätigkeiten. Dazu gehören alle künstlerischen, technischen, handwerklichen, logistischen, administrativen Tätigkeiten auf und hinter der Bühne, vor oder hinter der Kamera oder dem Mikrophon.
Manchmal wechseln wir Schauspieler*innen gerne die Seiten, weil wir dazu Lust (und hoffentlich die Befähigung) haben, und übernehmen etwa die Regie, schreiben ein Drehbuch, werden Produzent*in, Intendant*in oder Veranstalter*in, casten für Dreh-Produktionen usw. – kurz: Wir übernehmen, von der Schauspielerei aus gesehen, betriebsnahe Aufgaben.
Unsere Schauspiel-Tätigkeit kann auch Teil einer kombinierten oder Misch-Tätigkeit sein, in die neben der Schauspielerei andere, ähnlich anspruchsvolle Aufgaben einfließen. Als Opernsänger*innen oder Musicaldarsteller*innen beispielsweise kombinieren wir die Schauspiel- mit der Gesangskunst oder der Tanzkunst.
In anderen Fällen können wir als Schauspieler*innen zusätzlich für die Autorenschaft, die Regie, die Produktion oder die Veranstaltung des Spiels verantwortlich sein. Vor allem in der freien Theaterszene, die oft mit knappen Kassen experimentelle Ansprüche befriedigen soll, ist unser Schauspielberuf nicht selten untrennbar mit anderen Aufgaben verbunden.
Auf all diese Misch-Tätigkeiten trifft die Schauspiel-Formel „A verkörpert B, während C zuschaut“ ebenso zu. Genau genommen sind sie aber eine Kombination mit anderen verwandten oder betriebsnahen Tätigkeiten und können insofern andere Berufsbezeichnungen, andere Berufscodierungen sowie andere arbeits-, sozial-, steuer- oder urheberrechtliche Einstufungen zur Folge haben.
Die Formel unserer schauspielerischen Tätigkeit ist „A verkörpert B, während C zuschaut“, wobei C für unser Publikum steht.
Menschen können ihr Umfeld mit maximal sechs von ihren acht Sinnen wahrnehmen: Mit dem Seh- dem Hör-, dem Tast-, dem Geruchs-, dem Geschmacks- und dem Temperatursinn. Der Gleichgewichtssinn und das Empfinden des eigenen Körpers konzentrieren sich auf die Eigenwahrnehmung und sind für die Erfassung des Umfelds eher untauglich.
Unsere schauspielerische Verkörperung einer Rolle B kann dem Publikum C über Theater, Film, Fernsehen, Video on Demand etc. allerdings nur im audiovisuellen, über Radio, Audiotheken etc. sogar nur im auditiven Rahmen übermittelt werden.
Die differenzierte Betrachtungsweise vor allem der vier schauspielerischen Verkörperungskomponenten hilft, die technischen Bearbeitungen, Veränderungen oder Teilverkörperungen detailliert zu beschreiben und einzuordnen.
Im klassischen Raum des Bühnenschauspiels, das vom Publikum zeitgleich zum Geschehen erlebt wird, greifen die vier schauspielerischen Verkörperungskomponenten so untrennbar ineinander, dass ihre Differenzierung unnötig erscheint.
Aber jedes andere Medium, das unseren schauspielerischen Prozess aufzeichnet, überträgt, zum Abruf bereitstellt usw., eröffnet technische Möglichkeiten, nachträglich oder sogar gleichzeitig die vier schauspielerischen Verkörperungskomponenten getrennt voneinander zu bearbeiten, zu verändern, oder sogar teilweise durch „Teilverkörperungs“-Komponenten anderer Darsteller*innen zu ersetzen. Dies gilt umso mehr, wenn solche Bearbeitungen von generativer künstlicher Intelligenz (KI) unterstützt werden.
Diese Begriffe gewinnen mit dem Einzug Künstlicher Intelligenz (KI) an Relevanz. Sie beziehen sich auf die vier audiovisuellen schauspielerischen Verkörperungskomponenten …
- die gegebene körperliche Erscheinung,
- die schauspielerische Gestaltung der Animation der körperlichen Erscheinung,
- der gegebene Stimmklang,
- die schauspielerische Gestaltung der Stimm- und Sprachführung …
… und wieder auf die bekannte Formel unserer schauspielerischen Tätigkeit – „A verkörpert B, während C zuschaut“.
Zunächst arbeiten wir in unserem Schauspielberuf. Wir verkörpern unsere Rollen …
- auf den Bühnen der Theater,
- vor der Kamera für die Herstellung audiovisueller Film-, Fernseh-, Video oder Streaming-Produktionen und
- vor den Mikrophonen, um entweder für audiovisuelle Werke die fremdsprachigen Figuren in unserer Heimatsprache zu synchronisieren, oder um bei der Herstellung von Hörspielen mitzuwirken.
Unsere schauspielerische Arbeit ist zwangsläufig – je nach Rolle mehr oder weniger – mit Vor-, Zusatz- und Nachbereitungen verbunden. Ohne sie würden wir unsere Rollen nicht spielen oder unsere Aufführungen, Filme und Hörspiele ihr Publikum nicht erreichen können. Diese Leistungen erbringen wir nur teilweise innerhalb, zumeist jenseits der Produktionsstätte.
Wie alle Künstler*innen schauen wir neugierig und lebenshungrig über unseren Tellerrand – zumal, wenn auf unserem Schauspielteller wenig aufgetragen wird. Also üben wir nicht selten auch andere künstlerische oder kulturelle Tätigkeiten aus, die mit unserem Schauspielberuf verwandt und für die unsere Fähigkeiten von Vorteil sind, bzw. die unseren Schauspielberuf betriebsnah begleiten. Wir bewegen uns also größtenteils in den selben Branchen und gleichen Arbeitsstätten wie zuvor, aber haben dort andere Funktionen.
Nicht selten gehen wir „fremd“ und jobben in schauspielfernen Berufen, die uns wirtschaftlich über Wasser halten, dabei aber genügend Luft zum Schauspielen lassen. Unser zweites Standbein! Dann sind wir etwa als Kellner*innen in der Gastronomie, als Taxifahrer*innen hinter dem Steuer, als Verkäufer*innen im Einzelhandel, als Mitarbeiter*innen in Call-Centren, oder gar als Helfer*innen in Impfzentren zu finden.
Im Scheinwerferlicht unseres Schauspielberufs steht nur der Akt unseres Spiels. Nur die Momente unserer Verwandlung lösen die besondere Faszination für unseren Berufsstand aus. Das soll auch so sein, erweckt aber den Anschein, unser Spiel auf der Bühne, vor der Kamera, vor dem Mikrofon nähme auch den größten Raum unserer Zeit, Energie und Aufmerksamkeit in Anspruch. Das ist falsch.
Der Hauptteil unseres Berufslebens spielt sich im Schatten ab, jenseits der öffentlichen Wahrnehmung, abgeschottet, ja, vielfach allein und buchstäblich im Dunkeln: hinter geschlossenen Hotelgardinen, an nächtlichen Küchen- oder Schreibtischen, in schwarzen Proberäumen, auf finsteren Hinterbühnen, in den Nischen der Studios, in langweiligen Aufenthaltsräumen usw.
Neben der eigentlichen Schauspielerei müssen wir uns Aufgaben widmen, die drei unterschiedlichen Zielen dienen. Das sind …
- Übungen, Trainings, Workshops, um uns für unseren Schauspielberuf fit zu halten oder uns weiterzuentwickeln;
- Bewerbungs- und Verwaltungsaktivitäten, um immer wieder neue Engagements (die stets befristet sind) an Land zu ziehen und den administrativen Aufwand, den diese Engagements in ihrer Masse erzeugen, bewältigen zu können; sowie
- sogenannte Vor-, Zusatz- und Nachbereitungen, die wir für ein konkretes Projekt erbringen.
Die Instrumente, die wir Schauspieler*innen bespielen und beherrschen müssen, sind wir selbst, unsere Körper, unsere Phantasie- und Erfahrungswelten, unser Einfühlungs- und Reaktionsvermögen. Wir müssen unser Instrument hüten, erforschen, trainieren und reifen lassen. Wir müssen mit ihm einen gesunden, aber nicht abstinenten, einen risikofreudigen, aber vorsichtigen Umgang pflegen. Wir dürfen ruhig abheben, aber bitte mit Bodenhaftung. Wir dürfen verrückt, aber nicht irre werden.
Oder weniger blumig: An- und Entspannungsübungen, Sport und Yoga, Stress und Schlaf. Sprachen, Musikinstrumente und Menschen kennenlernen. Und immer wieder beobachten, zuhören, nachspüren, nachmachen. Menschenkinder wie Tiere wie Pflanzen wie alle Kleinigkeiten und andere Universen. Ach ja, ins Theater, Kino, Konzerte gehen, kann nicht schaden. All das macht nicht nur Spaß, bereichert unser Leben, es ist die Tonleiterübung unseres Schauspielberufs.
Warum allein, wenn’s auch gemeinsam geht? Erfahrene Schauspielkolleg*innen, Regisseur*innen, Caster*innen, Coaches bieten uns Schauspieler*innen etliche Workshops und Weiterbildungsmaßnahmen aller Art an. Aber Achtung: Zwischen genialer Schauspielflüsterei und geschäftstüchtiger Scharlatanerie liegt oft ein schmaler Grat. Darum: immer offen, neugierig, ja, demütig bleiben, aber auch „Nein“ sagen können.
Für uns gilt: Wer immer nur befristet arbeiten kann, ist ständig arbeitsuchend. Diese Suche kann bei uns mehr Raum einnehmen als die eigentliche schauspielerische Arbeit. Wir sollten …
… und bloß nicht durchdrehen, falls das alles nicht zu leisten ist oder nicht unmittelbar zum Ziel führt. Das Glück lässt sich nicht erzwingen und Panik oder Anbiederei wirken wenig anziehend. Das Erfolg versprechendste ist immer noch unsere gute (erfolgreiche und hoffentlich weithin sichtbare) Schauspielleistung.
Wir sind sicherlich nicht Schauspieler*innen geworden, weil wir besondere Lust auf Papierkram, Behördengänge und Paragrafenreiterei hätten. Auch sind die Begleitumstände unseres Schauspielberufs – zu völlig unorthodoxen Tageszeiten arbeiten zu müssen, selten zuhause, oft unterwegs zu sein, auf dem Weg von einem Engagement zum anderen – keine idealen Voraussetzungen, diese Lästigkeiten abzuarbeiten.
Aber sie bleiben uns nicht erspart, ja, wir sind von ihnen sogar mehr geschlagen als andere Angestellte. Wir stecken nicht wie sie in einer unbefristeten Beschäftigung, sondern spielen unsere diversen Rollen an unterschiedlichen Orten, bei unterschiedlichen Arbeitgeber*innen, in zig Engagements, die mehr oder weniger kurz befristet sind. Dabei sind wir mit einem Dschungel von gesetzlichen Regelungen und Verordnungen konfrontiert, die nur wenig mit unserem Schauspielberuf kompatibel sind.
Wir als Schauspieler*innen müssen …
Werden wir Schauspieler*innen beim Erledigen all dieser umfangreichen Verwaltungsaufgaben unterstützt? Wohl kaum! Wer sollte uns da helfen? Die Künstlervermittlung der ZAV ist eine reine Vermittlungsstelle, die zudem neutral zwischen unseren Arbeitgeber*innen und uns steht. Einige Schauspielagenturen mögen uns vielleicht manche Management- oder Büroaufgaben abnehmen, aber in allen administrativen Angelegenheiten dürfen, können oder wollen sie uns nicht vertreten. Manche prominente Kolleg*innen engagieren persönliche Sekretär*innen, aber das dürfte aus finanziellen Gründen für den Großteil unserer Schauspieler*innen wohl nicht in Frage kommen.
Im Gegensatz zu Verwaltungs- und Bewerbungsaktivitäten werden unsere Vor-, Zusatz und Nachbereitungen im Rahmen unserer Engagements erledigt und müssen grundsätzlich für die Vertrags- und Sozialversicherungszeiträume berücksichtigt werden.
Manche Vor-, Zusatz- und Nachbereitungen sind für uns bei jedem Projekt unerlässlich. Andere können je nach Schauspielpersönlichkeit, je nach Rolle, je nach Projekt und je nachdem, ob wir fürs Theater, für einen Dreh, für Synchron oder für Hörspiel arbeiten, mehr oder weniger notwendig werden. Unser Einsatzort bestimmt auch, ob und inwieweit wir unsere Vor-, Zusatz und Nachbereitungen allein und im „Schatten“ der Wahrnehmung unserer „Chefs“ erledigen, oder ob wir sie auf deren Anweisung gemeinsam mit unseren Kolleg*innen an der Arbeitsstätte zu leisten haben.
Typische Vor-, Zusatz und Nachbereitungen sind …
Teilweise überlappen sich auch diese Prozesse. So werden wir beim Szenenstudium den Weg zu unserer Rolle finden und mit Findung unserer Rolle unsere Texte mehr und mehr einprägen können. Gemeinsame Lese- und szenische Proben setzen beide Prozesse fort, binden Maske- und Kostümproben ein und so greifen die unterschiedlichen Vor-, Zusatz-, Nachbereitungen und unser Schauspiel ineinander.
„Schattentage“ sind Arbeitstage, an denen wir für eine Rolle Vor-, Zusatz- und Nachbereitungen erledigen oder „stand-by“ dem Theater oder der Filmfirma für eventuelle Spiel- oder Drehplanänderungen zur Verfügung stehen müssen. Unsere Pflicht zu diesen Leistungen ergibt sich zwar aus unseren Arbeitsverträgen, sie werden von unseren Arbeitgeber*innen auch eingefordert, aber wir erbringen sie oft im „Schatten“, das heißt, „zwischendurch“. Sie werden von unseren Arbeitgeber*innen stillschweigend entgegen genommen, aber häufig nicht wahrgenommen, nicht erfasst und deswegen bei Gagenverhandlungen nicht wertgeschätzt und für die Bemessung unserer Vertragszeit nicht berücksichtigt und nicht sozialversichert.
Das Unterschlagen dieser Schattentage führt bei uns zu noch größeren Versicherungslücken, als wir sie ohnehin schon durch die Befristung unserer Engagements in Kauf nehmen müssen. Darunter leidet unser Anspruch auf Arbeitslosengeld und unsere Rente im Alter.
Statistik
Natürlich, jeder von uns ist ein Unikat, jeder ist sein eigenes Instrument und jeder muss bei der Verkörperung einer Rolle seinen eigenen Weg finden, sein Instrument einzusetzen. Das ist nie die gleiche „Nummer“.
Aber Ämter ticken anders. Erstrecht, wenn sie wie die Bundesagentur für Arbeit neben ihrer Hauptaufgabe auch Arbeitsmarkt- und Berufsforschung betreiben muss. Die Bundesagentur für Arbeit codiert alle schauspielerischen Tätigkeiten gemäß der Klassifizierung der Berufe (KldB 2010) mit der fünfstelligen Ziffer 94214. Das Statistische Bundesamt hat die Klassifizierung der Berufe mitentwickelt und arbeitet ebenfalls mit dieser fünfstelligen Ziffer. Sie umfasst ziemlich genau alle Berufsbezeichnungen, hinter denen eine schauspielerische Tätigkeit steckt im Sinne von „A verkörpert B, während C zuschaut“.
Um eine internationale Vergleichbarkeit herzustellen, ist die deutsche Klassifizierung der Berufe kompatibel mit dem International Standard Classification of Occupations (ISCO-08), der weltweit zum Einsatz kommt. Die vierstellige ISCO-08-Ziffer 2655 korrespondiert mit der deutschen KldB-2010-Ziffer 94214 für die schauspielerische Tätigkeit.
Nach amtlichen Aussagen – sprich dem Statistischen Bundesamt, das sich auf die Statistiken der Landesämter und der Bundesagentur für Arbeit stützt – arbeiten hierzulande rund 15.000 Schauspieler*innen, genau 16.000 im Jahr 2017, 14.930 im Jahr 2019. Diese Messungen basieren auf der Klassifizierung der Berufe (KldB 2010), die unseren Schauspielberuf mit der Ziffer 94214 codiert.
Die beiden Jahre 2017 und 2019 zusammenfassend betrachtet …
- sind unter ihnen etwas mehr weibliche (54,8%) als männliche (45,2%) Schauspieler*innen (non-binäre Geschlechter werden leider nicht erfasst).
- Schauspieler*innen machen neben Tänzer*innen (21%) und Sänger*innen (30%) knapp die Hälfte (49%) aller darstellenden Künstler*innen aus
- und knapp 8% aller künstlerisch Berufstätigen in einem kulturrelevanten Wirtschaftszweig (ca. 190.000).
- Schauspieler*innen sind etwa 15% aller Erwerbstätigen im Theaterbereich (ca. 101.000),
- etwa 10% aller Erwerbstätigen bei Film-, Fernseh- und Hörfunkproduktionen (ca. 163.000),
- etwa 1,12% aller Personen in Kulturberufen (ca. 1.331.100)
- und etwa 0,036% aller Erwerbstätigen insgesamt in Deutschland (2017: 44.276.000, 2019: 42.378.000).
Soweit die amtlichen Zahlen.
Die strengen Kriterien der amtlichen Statistik, mit der die Angehörigen aller Berufe gemessen werden, mögen manch verdiente Kolleg*innen von uns nicht berücksichtigen, weil sie länger als ein Jahr nicht mehr gespielt haben, jedenfalls nicht in Deutschland, oder sie nur schauspiel-verwandten bzw. Misch-Tätigkeiten nachgegangen sind.
Aus diesem Grund spricht der Bundesverband Schauspiel von ca. 15.000 bis 20.000 Schauspieler*innen.
Weil – je nachdem, wer gefragt wird – mehr oder weniger großzügige Maßstäbe zur Schauspieltätigkeit, zur Berufsbetrachtung und zum Erfassungsgebiet (deutscher oder der ganze deutschsprachige Raum) mehr oder weniger große Schauspielmengen projizieren. So gehen manche Branchenstimmen von deutlich mehr als den amtlichen 15.000 Schauspieler*innen aus und berufen sich dabei auf die ca. 30.000 Einträge in den gängigen Casting-Datenbanken.
Trotzdem ist – insbesondere im berufspolitischen Diskurs – die amtliche Statistik unbedingt vorzuziehen. Sie basiert auf soliden Quellen und arbeitet mit Kriterien, die im Vergleich mit den Zahlen anderer Berufe die zuverlässigsten und brauchbarsten sind. Die Schauspieltätigkeit ist mit der fünfstelligen 94214 (KldB 2010) codiert, die ziemlich genau nur die reine schauspielerische Ausübung umreißt (A verkörpert B, während C zuschaut). Mit dem Schauspiel verwandte oder betriebsnahe Tätigkeiten werden so nicht mitgezählt. Wie bei Zählung aller anderen Berufe ist nicht die Berufsausbildung entscheidend. Erfasst werden nur solche Erwerbstätige, die tatsächlich schauspielerisch zum Einsatz kommen – und zwar im Zeitraum eines Jahres und nur in Deutschland, nicht im ganzen deutschsprachigen Raum.
Casting-Datenbanken leben davon, einen entgegengesetzten Anspruch zu haben. Sie wollen nicht nur die tatsächlich schauspieltätigen, sondern möglichst alle Personen sammeln, die für die Übernahme von Rollen in Erwägung gezogen werden können. Damit wenden sich die Casting-Datenbanken an uns, die wir, nachdem wir mit dem Schauspielberuf einmal angefangen haben, uns zumeist ein Leben lang als Schauspieler*innen bezeichnen würden. Das ist aus unserer Perspektive völlig schlüssig, aber mit statistischen Gesichtspunkten nicht kompatibel.
Werden nun all diejenigen dazugezählt, die den Schauspielberuf mal erlernt haben oder sich als Schauspieler*innen verstehen, aber längere Zeit nur mit verwandten Tätigkeiten beschäftigt waren, nur im deutschsprachigen Ausland oder gar nicht mehr gespielt haben, steigt die Zahl der Schauspieler*innen leicht auf 30.000 und mehr an. Solch überhöhte Zahlen beschreiben eher die Größe unserer Liebe zum Schauspielberuf als die Größe der Menge, die ihn tatsächlich ausüben darf.
Rechtliches
Urheberrechtlich sind wir Schauspieler*innen ausübende Künstler*innen, die mit den Urheber*innen viele Rechte teilen.
Diese Frage nach dem sogenannten Sozialstatus führt immer wieder zu heftigen Diskussionen. Die Antwort darauf ist aber hierzulande ziemlich eindeutig und kein Wunschkonzert.
Unsere schauspielerischen Erwerbstätigkeiten werden – wie von der Arbeits- und der Sozialgerichtsbarkeit mit ähnlicher Argumentation – auch in der Finanzgerichtsbarkeit fast durchweg als abhängige Beschäftigung und damit unselbstständig eingestuft.
Diese Sozialstatus-Frage berührt hauptsächlich die Rechtsgebiete dieser drei Gerichtsbarkeiten, also das Arbeits-, das Sozialversicherungs- und das Steuerrecht. In allen drei Rechtsgebieten wird die Sozialstatus-Frage zu ca. 98% der Fälle gleich beurteilt. Aber es gibt auch einige Erwerbstätigkeiten, in denen die drei Gerichtsbarkeiten für ihre jeweiligen Rechtsgebiete zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Und für den Bereich der Kulturlandschaft ist das z. B die Synchrontätigkeit.
Während die Arbeits- und die Sozialgerichtsbarkeit auch bei Synchrontätigkeiten und -schauspieler*innen von abhängigen Beschäftigungen, von Anstellungen, von Arbeitnehmer*innen ausgeht, befindet die Finanzgerichtsbarkeit, dass Synchronschauspieler*innen steuerrechtlich selbstständig sind.
Das heißt in der Praxis: Als Synchronschauspieler*innen gelten für uns die Vorteile des Arbeitsrechts, wir sind sozialversicherungspflichtig – zumeist als „Unständige“ –, aber werden nicht über der Steuerkarte abgerechnet, sondern müssen eine Rechnung stellen. Diese rechtliche Diskrepanz führt in unserem Synchronalltag zu etlichen administrativen Schwierigkeiten, wie sich jeder denken kann – aber vor Gericht zählen nicht administrative Fragen, sondern rechtliche.
Vertragsverhandlungen sind grundsätzlich frei und werden nur von einem Recht beherrscht: vom Recht des Stärkeren – und das sind in der Regel die anderen, nicht wir als einzelne Arbeitnehmer*innen, Solo-Selbstständige, Urheber*innen, Schauspieler*innen usw.
Aus diesem Grund versuchen unsere Verbände und Gewerkschaften (wie der Bundesverband Schauspiel), mit unseren Theatern, Filmunternehmen, Sendern, Streamingdienstanbietern Kinoverleihern, etc. Kollektivverträge auszuhandeln. Diese Kollektivverträge beinhalten gewisse Mindeststandards zu unseren Gunsten und schaffen eine Basis, damit wir nicht von den mächtigeren Branchengrößen völlig übervorteilt werden.
Verbindlich für uns Schauspieler*innen sind …
Daneben existieren in unserem Umfeld noch verschiedene Listen mit Gagenempfehlungen: z. B. die „Gagenliste deutscher Sprecher“, die „Velma Liste“ für Werbespots oder die „Empfehlungen zu Honoraruntergrenzen“ in der freien Theaterszene. Auch sie schaffen Orientierung, sind aber, wie gesagt, nur Empfehlungen, die zumeist allein von der Seite der Schutzbedürftigen aufgestellt wurden. Sie schrecken unsere „Ausbeuter“ nicht ab, nicht einmal die „Selbstausbeuter“ in unseren Reihen.
Wir Schauspieler*innen sind Arbeitnehmer*innen und stehen wie alle von ihnen grundsätzlich unter dem Weisungsrecht (oder auch „Dispositionsrecht“ genannt) unserer Arbeitgeber*innen. Das heißt: Wir sind in ihre Arbeitsorganisation eingebunden und sie haben – innerhalb unserer Vertragszeit – das Recht zu bestimmen, wann wir wo zum Arbeitseinsatz kommen, ob wir währenddessen auch andere Engagements annehmen dürfen oder nicht.
Anders als bei normalen Arbeitnehmern sind unsere Schauspiel-Beschäftigungen mehr oder weniger kurz befristet, genau auf die Zeiträume zugeschnitten, die für die Erarbeitung und Abspielen unsere Rollen benötigt werden. Trotzdem brauchen unsere Arbeitgeber*innen für etwaige Vorstellungs- oder Drehplanänderungen etwas mehr Spielraum, „Stand-by“- oder Puffer-Zeiträume, in denen wir zwar – voraussichtlich – keine Vorstellungen oder Drehtage haben werden, aber dennoch allzeitbereit zur Verfügung stehen sollen. Denn was heißt in der Bühnen-, Film- und Fernsehlandschaft schon „voraussichtlich“? Jederzeit kann aus heiterem Himmel etwas passieren, das alle Pläne des Theaters oder der Filmproduktion über den Haufen wirft. Arbeitgeber*innen, die sich für solche Fälle keinen Puffer in unseren Vertragszeiten gesichert haben, riskieren den völligen Abbruch ihrer Produktion und ein finanzielles Desaster.
Nicht zuletzt deswegen erleben wir Schauspieler*innen immer wieder, dass sich unsere kurz befristeten Beschäftigungen zeitlich überlagern, nicht nur zwei, vielleicht sogar mehrere. Wer von unseren „Chefs“ hat dann das Sagen? Wie gehen sie damit um?
Alle Arbeitgeber*innen – ob sie uns exklusiv, mit erster Priorität oder nachrangigen Prioritäten gebucht haben – müssen ihre Vertragszeiten mit uns sozialversichern.
Wenn unsere Vertragszeiten – wie es bei denen nach Priorität geordneten möglich ist – überlappen, kann das oft zu Beitragszahlungen führen, die über die Beitragsbemessungsgrenzen (BBG) hinausgehen. Wir und die Arbeitgeber*innen sollten darauf achten und die jeweilige Beitrags-Einzugsstelle (das sind die gesetzlichen Krankenkassen) auffordern, die überzahlten Beiträge wieder zurückzuzahlen.
Für uns Schauspieler*innen ist die Einteilung in „feste“ und „freie“ Schauspieler*innen völlig einleuchtend – für Außenstehende, vor allem für die Politik eher irreführend.
„Fest“ sind nach unserem Verständnis unsere ca. 2.000 in festen Theaterensembles gebundenen Kolleg*innen. Sie haben sich für ein, manchmal zwei Jahre, an einem Stadt-, Landes- oder Staatstheater spielzeitverpflichtet und sind rund um die Uhr ziemlich fest in der Hand der dortigen Theaterleitung. Sie müssen mehr oder weniger alle Rollen spielen, die ihnen aufgetragen werden, haben bei einer tariflichen 5½-Tage-Woche – ½ Tage?! – kaum freie Zeit für ein Privatleben, auch nicht an Wochenenden. Sie haben sogar eine „Residenzpflicht“, das heißt, sie dürfen wegen eventuell plötzlich notwendig werdender Vorstellungsänderungen nicht ohne Weiteres die Stadt verlassen. Auf der anderen Seite bekommen sie dafür ein festes Monatsgehalt oder wie wir scherzhaft sagen: „Als ‚Feste‘ am Theater bekommen wir zwar nichts, aber das wenigstens regelmäßig.“ Mit einem Wort: Wenn das nicht „fest“ ist, was dann?
„Frei“ nennen wir alle anderen 13.000 bis 18.000 Schauspieler*innen, die außerhalb fester Theaterensembles arbeiten, die von Rolle zu Rolle sich „frei“ für ein neues Engagement an einer Bühne, für eine Dreharbeit, ein Hörspiel oder eine Synchronisation entscheiden dürfen – aber eben auch müssen, um die Miete bezahlen zu können. „Frei“ bezieht sich insofern auch auf unsere ständig begleitenden Existenzängste, im freien Fall zu sein.
„Fest“ und „frei“ sind für uns Schauspieler*innen also klare Himmelsrichtungen. Außenstehende werden aber eher aufs Glatteis geführt. Sie lesen diese Begriffe anders und stufen deswegen unsere Arbeitsverhältnisse falsch ein.
Denn „feste“ Schauspieler*innen im Sinne von festangestellt, also unbefristet beschäftigt, gibt es so gut wie keine. Auch als „feste“ Ensembleangehörige arbeiten wir auf Befristung und werden, falls man uns loswerden will, einfach nur nicht verlängert. Eine Kündigung ist gar nicht nötig und Kündigungsschutz ein Witz. Nur wer nach 15 Spielzeiten hintereinander an einem Theater vergessen wurde, nicht verlängert zu werden, ist unkündbar.
Und die „freien“ Schauspieler*innen sind zumeist nicht freischaffend im Sinne von selbstständig. Auch die kurz befristeten Engagements sind in der Regel Anstellungen.
Fazit: Die „Festen“ sind nicht fest(-angestellt) und die „Freien“ nicht frei(-schaffend). Wir sind weder das Eine noch das Andere, sondern alle dazwischen.
Wir sollten „fest“ und „frei“ in unserem Zusammenhang besser nur mit Anführungsstrichen verwenden!
Ausbildung
Talent ist für den Schauspielberuf eine notwendige Voraussetzung – aber noch lange keine hinreichende! Wer aus seinem Schauspieltalent einen Beruf machen will, muss ihn erlernen. In Ausnahmefällen mag vielleicht Learning by Doing reichen – und das ist bestimmt nicht der leichteste Weg. Quereinsteiger*innen, also solche, die aus anderen Berufsläufen ausbrechen und ohne Schauspielschule in unseren Beruf wechseln wollen, können vielleicht in der Synchron-, manchmal in der Dreh-Branche Fuß fassen, aber kaum in der Theaterszene.
Grundsätzlich sollte am Anfang der Laufbahn eine Schauspielschule besucht werden – das ist jedenfalls die dringende Empfehlung des Bundesverband Schauspiel.
… um die 60 private Schauspielschulen im deutschsprachigen Raum, die staatlich anerkannt sind,
und eine unbekannte Anzahl weiterer privater Schauspielschulen, die nicht staatlich anerkannt sind.
Private Schauspielschulen kosten ungefähr zwischen 300 € und 600 € monatlich – die staatlichen nichts. Aber dafür ist die Chance, bei einer staatlichen Schauspielschule aufgenommen zu werden, ungleich schwieriger als bei einer privaten.
Denn zuerst muss eine Aufnahmeprüfung bestanden werden. An den staatlichen Schauspielschulen werden von rund 500 bis 2.000 Bewerber*innen ca. 10 bis 20 aufgenommen. An den meisten Schauspielschulen findet nach jedem Ausbildungsjahr eine Zwischenprüfung statt. Sie ist entscheidend für das Verbleiben auf der Schule. Nach gewöhnlich vier Jahren wird die Ausbildung mit einer Abschlussprüfung abgeschlossen. Mit diesem Abschluss hatten wir früher unser Schauspieldiplom, heute erlangen wir einen Artist Diploma oder Bachelor, je nach Schauspielschule.
Die Ausbildung wurde schon immer je nach Schauspielschule, je nach Schauspiel-Zeitgeist sehr unterschiedlich ausgestaltet.
Klar, bestimmte Klassiker dürfen nicht fehlen: Atem-, Stimm- und Körpertraining, Rollenstudium, Ensemblespiel, Improvisation. Vielleicht Bühnenfechten, Gesangstraining, Akrobatikunterricht. Diese praxisnahen Stoffe bilden den Schwerpunkt der Schauspielausbildung. Aber manch wissenschaftliche Fächer gehören dazu: z. B. Theatergeschichte, Dramaturgie, Ästhetik, Medienkunde. Wie, oder nach welcher Methodik diese Stoffe vermittelt werden, ist stark davon abhängig, welche Dozentenpersönlichkeiten auf welche Schauspielschüler*innen treffen.
Aber ganz gleich, welche Wege beschritten wurden und werden – viele Wege führen nach Rom – drei Aufgaben muss eine Schauspielausbildung erfüllen:
- Ich muss lernen, meine eigene individuelle „Bedienungsanleitung“ zu finden und weiterzuentwickeln, um mich mit meinem „Instrument“ – das bin ich selbst – meinen Rollen nähern zu können.
- Ich muss mein „Handwerkzeug“ lernen, um auf der Bühne, vor der Kamera, vor dem Mikrophon meine Rolle „rüberzubringen“ und mich für den Beruf fit halten zu können.
- Und letztendlich werde ich an einer Schauspielschule „geimpft“ für mein späteres fiebergeschütteltes Schauspiel-Berufsleben.
Vergütung
Das ist eine einfache Frage, die nur komplizierte Antworten kennt. Denn ein Wir gibt es beim Verdienen nicht, die Spanne geht so weit auseinander wie bei kaum einem anderen Beruf. Jede Schauspielpersönlichkeit hat einen unterschiedlichen Mix von Engagements, ist unterschiedlich stark gefragt und kann je nach Berufserfahrung und Marktwert unterschiedlich viel je Spielzeitmonat, je Vorstellung, je Drehtag, je Take heraushandeln. Und nichts steht fest. Wer gestern nach oben auf der Welle surfte, kann sich morgen vielleicht nicht mehr über Wasser halten.
Trotzdem: Der Bundesverband Schauspiel hat im Jahre 2010 zur Verdienstfrage und anderen Themen bei der Westfälischen Wilhelms-Universität eine Studie in Auftrag gegeben. Die sogenannte BEMA-Studie bestätigte unsere Annahme der weit auseinanderklaffenden Einkommenssituationen:
- Bei 4,7% der Schauspieler*innen lag das Bruttojahreseinkommen über 100.000 €. So klein diese Gruppe ist, so sehr prägt sie aber das öffentliche Bild von uns.
- 80,5% aller Schauspieler*innen hatten ein Bruttojahreseinkommen unter 50.000 €
- und immerhin noch 55,5% von allen eines unter 20.000 €.
Stimmen diese Zahlen heute auch noch? Elf Jahre später? Wohl nicht mehr im Detail, aber nach allem, was wir zu hören bekommen, im Prinzip schon.
Noch etwas: Nach den Angaben der Bundesagentur für Arbeit verdienen Schauspielerinnen im Schnitt 8% weniger als ihre männlichen Kollegen.
Ganz egal, ob unsere Gage monatlich, je Vorstellung, je Drehtag oder je Take berechnet wird, mit unserer Vergütung wird nicht nur unser Schauspiel auf der Bühne, vor der Kamera oder dem Mikrofon entlohnt, sondern auch unsere …
Für die hierzulande rund 2.000 Schauspieler*innen, die als Spielzeitverpflichtete „fest“ zu einem Ensemble der Stadt-, Landes- und Staatstheater gehören, gilt zumeist der NV-Bühne-Tarifvertrag, der eine Mindestvergütung von 2.550 € brutto im Monat zusichert.
Der gleiche Tarifvertrag verspricht „freien“ Schauspieler*innen, die nur für ein bestimmtes Stück an solchen Theatern gastieren, eine Mindestgage von 255 € brutto je gespielter Vorstellung. Probentage werden mit 90 € bezahlt.
Die meisten Privat- und Tourneetheater haben kein „festes“ Ensemble und arbeiten nur mit Gastschauspieler*innen, die für bestimmte Stücke engagiert werden und diese en suite spielen, das heißt, möglichst täglich. Der NV-Bühne-Tarifvertrag gilt für solche Beschäftigungen nicht. Das heißt, je nach Größe des Theaters, der Menge der mitspielenden Schauspieler*innen und des eigenen Marktwertes bzw. der eigenen Verhandlungsmacht verdienen wir je gespielter Vorstellung unter 255 € oder darüber. Die „Zugpferde“ unter uns, mit denen das Stück beworben wird, deutlich darüber, die anderen weniger deutlich. Probentage werden von Privat- oder Tourneetheatern im Allgemeinen nicht extra vergütet. Die Vorstellungsgagen sollten nach Möglichkeit so bemessen sein, dass sie auch die Probenphase berücksichtigen. Die eigentliche Möglichkeit, bei Privat- oder Tourneetheatern mehr zu verdienen, liegt in der Masse der eng getakteten Vorstellungen in wenigen Monaten.
An den Privattheatern der freien Theaterszene ist der Verdienst eher noch geringer bis unterirdisch. Idealismus und Einnahmen stehen im umgekehrten Verhältnis. Wenn eine freie Theaterproduktion öffentliche Gelder erhält – das ist alles andere als selbstverständlich –, sollten sie die Produktionskosten bis zur Premiere abdecken und möglichst so bemessen sein, dass den mitwirkenden Schauspieler*innen zumindest eine Probengabe gezahlt werden kann, die sich an der Mindestvergütung des Tarifvertrags NV-Bühne orientiert. Denn wir Schauspieler*innen arbeiten in der freien Theaterszene häufig nur auf Rechnung. Ab Premiere werden wir an den kümmerlichen Einnahmen beteiligt und müssen davon auch noch selber unsere Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Weil wir in der freien Theaterszene oft wie Selbstständige behandelt werden, gibt es für uns dort keine Tarifverträge, die uns schützen würden. Das könnte sich – hoffentlich – in Zukunft ändern. Die EU-Politik hat im Juni 2022 die kartellrechtlichen Beschränkungen für bestimmte Gruppen von Solo-Selbstständige insoweit abgemildert, dass Gewerkschaften auch für sie Tarifverträge aushandeln dürfen. Ob dies rechtlich auch für Solo-Selbstständige in der freien Theaterszene gilt, muss juristisch noch geprüft werden, mal sehen …
In der Film- und Fernsehbranche hat der Bundesverband Schauspiel im Jahre 2014 für Schauspieler*innen einen Schauspieltarifvertrag durchgesetzt mit einer Einstiegsgage von 850 € je Drehtag (Stand 2021), die für alle als Gagenuntergrenze dient. Wie der Name schon sagt, orientiert sich die Einstiegsgage an Schauspielberuf-Einsteiger*innen, die gerade ihre Ausbildung beendet, aber noch keinen Namen oder Berufserfahrung haben. Kolleg*innen, die länger im Geschäft und bekannter sind, sollten entsprechend mehr verlangen können.
Nur in Ausnahmefällen – z. B. bei durchgehenden Rollen in einer Daily-Soap – erhalten wir eine Monatsgage, manchmal mit Zuschlägen je geleistetem Drehtag.
Wenn die Filme, Reihen oder Serien erfolgreich im Kino, bei ProSiebenSat.1, Netflix oder ARD laufen, gelten die vom Bundesverband Schauspiel ausgehandelten Gemeinsamen Vergütungsregeln bzw. der Kinoerlösbeteiligungstarifvertrag. Laut dieser Verträge werden uns Schauspieler*innen je nach Erfolg der Produktion und Größe unserer Rolle noch Folgevergütungen nachträglich ausgeschüttet. Das Einsammeln und die Verteilung dieser Ausschüttungen organisiert die deska Deutsche Schauspielkasse, die vom Bundesverband Schauspiel eigens dafür ins Leben gerufen wurde.
Hier herrscht leider der Wilde Westen. Tarifverträge oder Gemeinsame Vergütungsregeln gibt es noch nicht.
Auch für Werbespots werden die Dreharbeiten nach Anzahl unserer Drehtage vergütet. Allerdings bekommen wir Schauspieler*innen je Drehtag nicht selten Angebote unter dem Niveau der Einstiegsgage von 850 €.
Im Preis inbegriffen sind dann noch alle möglichen weitreichenden Einräumungen von Rechten: Die Werbekunden lassen sich zusichern, den Werbespot für eine geraume Zeit in zig Ländern platzieren zu dürfen.
Über den Tisch gezogen werden wir Schauspieler*innen oft auch von den Agenturen, die sich auf die Vermittlung von Schauspieler*innen für Werbespots spezialisiert haben. Sie verlangen von uns nicht nur überhöhte Vermittlungsgebühren von bis zu 20% unserer Gage ohne Mehrwertsteuer. Üblich sind ansonsten 10% und laut Vermittlungsvergütungsverordnung erlaubt maximal 18% inklusive Mehrwertsteuer. Sie halten auch noch bei den Werbeproduzenten ordentlich die Hand auf – kassieren also doppelt ab.
Wilder Westen eben!
Leider gelten für uns in der Synchronbranche – noch – keine Tarifverträge mit verbindlichen Mindeststandards.
Wir erhalten zunächst pro Tag und Projekt im Studio eine Pauschale von ca. 60 € bis 65 € und dann zusätzlich für jeden gesprochenen „Take“ ca. 3 € aufwärts. Ein „Take“ ist ein kurzer, nicht mehr als zweizeiliger Ausspruch, Teilsatz oder Satz, der in einem Rutsch – sprich: in einem Take – aufgenommen wird.
In Hamburg liegt der Verdienst – ohne, dass es dafür einen sachlichen Grund gäbe – um 30% niedriger.
Soziale Absicherung
Wir bestreiten unseren Lebensunterhalt ja oft nicht nur mit der reinen Schauspielerei, sondern tummeln uns auch in „verwandten“, „betriebsnahen“ oder mit dem Schauspiel „vermischten“ Erwerbstätigkeiten. Insofern sind wir „Hybride“ oder „sozialrechtliche Amphibienfahrzeuge“, mal befristet angestellt, mal selbstständig, mal dies, mal das …
Unsere typischen Schauspieltätigkeiten sind allerdings in der Regel nur befristete Anstellungen, in denen wir pflichtversichert sind! Das betrifft grundsätzlich die Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen-, Renten- und Unfallversicherung. Letztere ist uns oft nicht bewusst, weil sie allein von unseren Arbeitgeber*innen zu zahlen sind. Als Schauspieler*innen haben wir entweder …
Oder wir gehören zum großen Rest der ca. 13.000 bis 18.000 Schauspieler*innen. Dann wird es arg kompliziert. Als solche haben wir …
Altersarmut ist für uns eine große Gefahr. Viele von uns haben kümmerliche Gagen und nicht die Chance, fürs Alter etwas zurückzulegen. Die Sozialversicherungsgesetzgebung nimmt zu wenig Rücksicht auf atypische und hybride Erwerbsverhältnisse, wie wir sie haben. Das hat viele Nachteile – auch für unsere Rente.
Ohne Zusatzversorgung sähe es für uns im Alter düster aus. Zum Glück haben wir zwei betriebliche Altersvorsorgesysteme:
Unsere Schauspielengagements gelten zwar als künstlerische, aber in der Regel nicht als selbstständige Erwerbstätigkeiten, die dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) unterliegen würden. Insofern kann die Künstlersozialkasse für uns nicht die Patentlösung sein. Erstens ist sie für uns – wie gesagt – in der Regel nicht zuständig. Und zweitens müssen die Versicherten zur Bestimmung ihrer Beitragshöhe ihr Einkommen fürs kommende Jahr selbst einschätzen. Da sind sie oft zu bescheiden – mit bescheidenem Ergebnis für ihre Rente.
Aber so manche von uns üben schauspiel-verwandte Erwerbstätigkeiten aus, weil sie z. B. als Schauspielcoach, Comedians, Kabarettist*innen arbeiten. Oder wir sind in der freien Theaterszene unterwegs, in der wir mit dem Schauspiel kombinierte Mischtätigkeiten haben, also als Schauspieler*innen auch Mitunternehmer*innen, Autor*innen, Regisseur*innen usw. sind. Oder wir entwickeln und spielen unser eigenes Solo-Programm – haben also die Misch-Tätigkeiten Produktion, Autorenschaft, Regie und Schauspiel. In diesen Beispielen sind wir selbstständig tätig und – wenn diese Erwerbstätigkeit nicht nur vorübergehend ist – ein Fall für die Künstlersozialkasse.
Sonstiges
Kaum ein Berufsstand steht so in der Öffentlichkeit, ist so sehr Gegenstand der Medien, wie wir Schauspieler*innen. Dennoch – oder gerade deswegen – herrschte (und herrscht immer noch) in unserer Gesellschaft eine völlig romantisch verzerrte Vorstellung von unserer Berufs- und Lebenswirklichkeit.
Einerseits prägen die glamourös retuschierten Hochglanzaufnahmen einiger weniger Schauspiel-Stars das Bild der reichen, sorglosen und über den roten Teppich wandelnden Schauspieler*innen. Andererseits hält sich im Bürgertum hartnäckig der schaurig schöne Aberglaube: Nur eine arme, einsame und leidende Künstler*in (die jung stirbt) wird von der Muse geküsst und ist eine wahre Künstler*in. Ein realistischer Blick hinter die Kulissen ist den meisten verwehrt. Das facht die Spekulationen über das Geheimnis des Künstler*innen-Daseins noch mehr an – und lässt sie ins Kraut schießen. Wie schnöde der Alltag im angeblichen heiligen Gral der Schauspielkunst tatsächlich aussieht, wird niemand wirklich wissen wollen.
Dazu kommt die Krux: Der wahre Akt des Schauspielens ist unsichtbar. Je besser uns die Verkörperung einer Rolle gelingt, desto weniger ist für Außenstehende der dazu notwendige immense Aufwand unserer Arbeit, Zeit und Überwindung spürbar. Wir sind scheinbar von Natur aus genau wie unsere Rolle. Und so wird gerätselt: Was treiben Schauspieler*innen eigentlich tagsüber, wenn alle anderen arbeiten? Wieso können sie sich so viel Text merken? Und wozu müssen Schauspieler*innen eigentlich Geld verdienen, wenn sie doch vom Applaus leben?
Von nix kommt nix!
Ohne bestimmte Institutionen, ohne Vertretungen unserer Interessen wären wir von allen guten Geistern verlassen, wären unsere Arbeitsbedingungen, Verdienstmöglichkeiten und sozialen Schutzsysteme noch bescheidener, noch unsicherer als sie es ohnehin schon sind.
Darum reicht es nicht, nur im Elfenbeinturm der Schauspielkunst zu stecken. Wir müssen auch …