Die Formel unserer schauspielerischen Tätigkeit ist „A verkörpert B, während C zuschaut“, wobei C für unser Publikum steht.
Menschen können ihr Umfeld mit maximal sechs von ihren acht Sinnen wahrnehmen: Mit dem Seh- dem Hör-, dem Tast-, dem Geruchs-, dem Geschmacks- und dem Temperatursinn. Der Gleichgewichtssinn und das Empfinden des eigenen Körpers konzentrieren sich auf die Eigenwahrnehmung und sind für die Erfassung des Umfelds eher untauglich.
Unsere schauspielerische Verkörperung einer Rolle B kann dem Publikum C über Theater, Film, Fernsehen, Video on Demand etc. allerdings nur im audiovisuellen, über Radio, Audiotheken etc. sogar nur im auditiven Rahmen übermittelt werden.
Die vier schauspielerischen Verkörperungskomponenten“:
Die schauspielerische Verkörperung setzt sich im visuellen wie im auditiven Wahrnehmungsbereich jeweils aus einer gegebenen und einer gestalteten Komponente zusammen. Die zwei visuellen Verkörperungskomponenten einer schauspielenden Person sind …
- ihre gegebene körperliche Erscheinung und
- ihre schauspielerische Gestaltung der Animation ihrer körperlichen Erscheinung (Mimik, Gestik, Gang, Körperhaltung, aktives wie reaktives Handeln, etc).
Spiegelbildlich sind die Verkörperungskomponenten einer schauspielenden Person im auditiven Wahrnehmungsbereich …
- ihr gegebener Stimmklang und
- ihre schauspielerische Gestaltung ihrer Stimm- und Sprachführung.
Diese vier Verkörperungskomponenten beziehen sich nicht auf die verschiedenen inneren Vorgänge einer schauspielerischen Verkörperung, nicht auf die Vor-, Zusatz- und Nachbereitungen, die mit unserer schauspielerischen Tätigkeit verbunden sind, sondern beschreiben nur die Wirkung der schauspielerischen Verkörperung im visuellen und auditiven Wahrnehmungsbereich.
Die drei wahrnehmenden Verkörperungskomponenten“:
Genaugenommen wird unsere schauspielerische Verkörperung erst in der Vorstellungskraft des Publikums C und zwar in der jeder einzelnen Zuschauer*in bzw. Zuhörer*in vollendet und lebendig. Um den Prozess der Verkörperung zu beschreiben, muss den schauspielerischen noch die wahrnehmenden Verkörperungskomponenten hinzugefügt werden. Jede Zuschauer*in bzw. Zuhörer*in empfängt und verarbeitet die schauspielerischen Verkörperungskomponenten mit den folgenden wahrnehmenden Verkörperungskomponenten:
- der individuelle Wahrnehmungsfokus der visuellen Verkörperung,
- der individuelle Wahrnehmungsfokus der auditiven Verkörperung und
- die individuelle Verschmelzung der visuellen und auditiven Wahrnehmung auf Basis der individuellen Erfahrungs-, Wunsch-, Traumwelt etc.
Die differenzierte Betrachtungsweise vor allem der vier schauspielerischen Verkörperungskomponenten hilft, die technischen Bearbeitungen, Veränderungen oder Teilverkörperungen detailliert zu beschreiben und einzuordnen.
Im klassischen Raum des Bühnenschauspiels, das vom Publikum zeitgleich zum Geschehen erlebt wird, greifen die vier schauspielerischen Verkörperungskomponenten so untrennbar ineinander, dass ihre Differenzierung unnötig erscheint.
Aber jedes andere Medium, das unseren schauspielerischen Prozess aufzeichnet, überträgt, zum Abruf bereitstellt usw., eröffnet technische Möglichkeiten, nachträglich oder sogar gleichzeitig die vier schauspielerischen Verkörperungskomponenten getrennt voneinander zu bearbeiten, zu verändern, oder sogar teilweise durch „Teilverkörperungs“-Komponenten anderer Darsteller*innen zu ersetzen. Dies gilt umso mehr, wenn solche Bearbeitungen von generativer künstlicher Intelligenz (KI) unterstützt werden.