Wie gelangen wir Schauspieler*innen an neue Engagements?

Heinrich Schafmeister
10. Januar 2022

Für uns gilt: Wer immer nur befristet arbeiten kann, ist ständig arbeitsuchend. Diese Suche kann bei uns mehr Raum einnehmen als die eigentliche schauspielerische Arbeit. Wir sollten …

<strong>… äußerst zurückhaltend „Klinken putzen“:</strong>

Unsere Bühnen-, Film- und Fernsehlandschaft hat einiges aus dem Ausland, z. B. aus Amerika übernommen – aber nicht die Unverkrampftheit, mit der dort Künstler*innen zwecks neuer Engagements sich direkt an Entscheidungsträger wenden können, ohne schief angesehen zu werden. Hierzulande wird sowas eher als übergriffig und unvereinbar mit dem Selbstverständnis von Künstler*innen angesehen. Dass Berufsanfänger*innen sich bewerben, um am Theater vorsprechen oder bei Film und Fernsehen mitspielen zu können, ist selbst bei uns üblich. Aber wenn ältere Schauspieler*innen bei Casting-Direktor*innen, Regisseur*innen, Intendanten usw. nachfragen, einfach mal sich vorstellen oder vorsprechen zu dürfen, riskieren sie, abgewiesen und womöglich als Versager abgestempelt zu werden. Denn warum sonst – so wird unterstellt – sollte jemand sich genötigt sehen, direkt überall anzuklopfen?

Natürlich, „Klappern“ gehört auch zu unserem Handwerk, aber bitte mit Fingerspitzengefühl, eher indirekt, es darf eben nicht zu arg nach „Klappern“ aussehen.

<strong>… … unsere Fotos, Demobänder, Schauspiel-Biografien aktualisieren:</strong>

Wir müssen ständig unser Bewerbungsmaterial …

  • Fotos (alle zwei Jahre, kostet zwischen 900 € und 1.500 €),
  • Demobänder oder neudeutsch „Showreels“ (alle zwei Jahre, kosten je nachdem, ob Szenen nur zusammengeschnitten oder produziert werden müssen, ca. 160 € oder 1.200 €),
  • Schauspiel-Biografien

… aktualisieren und dafür sorgen, dass alle, die mit Besetzungen von Rollen betraut sind, davon Kenntnis nehmen können.

<strong>… Casting- bzw. Stimm-Datenbanken pflegen:</strong>

Wir bezahlen sogenannte Casting-Datenbanken (Kostenpunkt ca. 99 € bis 119 € im Jahr) und füttern sie immer wieder aufs Neue mit unserem Bewerbungsmaterial – aktuelle Schauspiel-Biografien, Fotos und Demobänder (Showreels). Vor allem Casting-Direktoren und andere Besetzungsverantwortliche bei Dreharbeiten arbeiten regelmäßig mit dort hinterlegten Daten. Schauspieler*innen, die von Synchronstudios engagiert werden wollen, laden auf sogenannten Stimm- oder Sprecher-Datenbanken ihre Stimmproben hoch.

<strong>… uns von der Künstlervermittlung der ZAV, Schauspielagenturen bzw. Schauspielmanagements vertreten lassen:</strong>

Weil hierzulande die Bewerbung für Schauspielengagements eher „über die Bande“ zum Erfolg führt, dabei besonderes Fingerspitzengefühl, Professionalität, Kenntnisse zum Vertrags-, Arbeits-, Sozialversicherungs- und Tarifrecht erforderlich sind, sind wir auf Vermittlungsbeistand angewiesen. Wir haben die Wahl:

  • Wir melden uns entweder bei der Künstlervermittlung der ZAV (einer Unterorganisation der Bundesagentur für Arbeit) an, die unsere Vermittlung an Bühnen und Filmproduktionen als neutrale Partei und kostenfrei übernimmt.
  • Oder wir suchen eine private Schauspielagentur unseres Vertrauens, die für ihre Arbeit von unserer Bruttogage ca. 10% Agenturprovision bei Dreh- und 6% bei Theaterarbeiten (50% davon zahlt das Theater) plus 19% MwSt. bekommt, aber dafür allein unsere Partei ergreift und neben der reinen Vermittlungsarbeit je nach Absprache auch noch andere Aufgaben für uns übernimmt.
<strong>… an Vorsprechen, Castings oder e-Castings teilnehmen:</strong>

Der entscheidende künstlerischen Test, ob wir für eine Rolle bzw. ein Engagement geeignet sind, wird am Theater als „Vorsprechen“ und für Dreharbeiten als „Casting“ bezeichnet. Der Test besteht zumeist darin, dass wir ausgewählte Szenen oder Improvisationen vorspielen.

Ein e-Castings ist im Grunde das gleiche, nur dass wir unsere Szenen oder Improvisationen selbst aufnehmen und an die Casting-Direktor*innen verschicken, statt sie live ihnen oder anderen Besetzungsverantwortlichen vorzuspielen. Das E-Casting erspart uns Reisekosten und wir sollen nach Aussage der Casting-Direktor*innen den technischen Aufwand geringhalten. Aber viele von uns investieren vor lauter Konkurrenzdruck in e-Castings viel Mühe, Zeit hoffentlich jährlich nicht mehr als 100 €.

<strong>… Branchen-Events besuchen:</strong>

Der Gang über rote Teppiche ist für uns Schauspieler*innen nicht die Kür, sondern die Pflicht. Es ist die eleganteste Art sich zu bewerben, ohne sich zu bewerben. Wir peppen uns auf, besuchen Theater- oder Kinopremieren, Festivals (Akkreditierungen kosten zwischen 40 € und 100 €), Preisverleihungen, treffen – ungezwungen und mit guter Laune – Kolleg*innen, aber auch Entscheidungsträger*innen und treiben charmante Konversation. Ohne irgendjemanden plump auf neue Jobs anzuhauen! Und so dürfen wir auch nicht allzu viel von solchen Events erwarten. Aber unsere Branche funktioniert wie alle anderen: Aus den Augen aus dem Sinn – und umgekehrt!

<strong>… Presse- bzw. Social-Media-Arbeit betreiben (lassen):</strong>

Das Motto – „Tue Gutes und rede drüber“ – gilt auch für uns. Wenn wir gerade beruflich etwas am Start haben, dürfen wir, ja sollten wir ruhig etwas damit hausieren gehen – in Social-Media-Kanälen, in der Presse, auch mit professioneller Hilfe von PR-Agenturen (wenn wir uns das leisten können). Und wenn wir von der Presse gefragt werden und wir wirklich über Gott und die Welt etwas zu sagen haben, warum nicht? Wir sind Personen des öffentlichen Lebens und lebenslustig, dazu dürfen wir stehen. Aber nicht überall, wo uns Mikrophone oder Kameras vor die Nase gehalten werden, sind wir Experten. Die Gletscherspalte zwischen Geistes-Witz und Lächerlichkeit ist schmal.

… und bloß nicht durchdrehen, falls das alles nicht zu leisten ist oder nicht unmittelbar zum Ziel führt. Das Glück lässt sich nicht erzwingen und Panik oder Anbiederei wirken wenig anziehend. Das Erfolg versprechendste ist immer noch unsere gute (erfolgreiche und hoffentlich weithin sichtbare) Schauspielleistung.