Wie werden wir Schauspieler*innen gesetzlich sozialversichert?

Heinrich Schafmeister
10. Januar 2022

Wir bestreiten unseren Lebensunterhalt ja oft nicht nur mit der reinen Schauspielerei, sondern tummeln uns auch in „verwandten“, „betriebsnahen“ oder mit dem Schauspiel „vermischten“ Erwerbstätigkeiten. Insofern sind wir „Hybride“ oder „sozialrechtliche Amphibienfahrzeuge“, mal befristet angestellt, mal selbstständig, mal dies, mal das …

Unsere typischen Schauspieltätigkeiten sind allerdings in der Regel nur befristete Anstellungen, in denen wir pflichtversichert sind! Das betrifft grundsätzlich die Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen-, Renten- und Unfallversicherung. Letztere ist uns oft nicht bewusst, weil sie allein von unseren Arbeitgeber*innen zu zahlen sind. Als Schauspieler*innen haben wir entweder …

… Jahresanstellungen in Theater-Ensembles:

Ca. 2.000 von uns haben Spielzeitverträge am Theater und sind auf ein oder zwei Jahre befristet beschäftigt. Wie alle anderen normalen Angestellte gehören sie zur Personengruppe 101, entrichten Pflichtbeiträge in die Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung, und zwar in der Höhe bestimmter Prozentsätze von der Bruttogage – aber nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze (BBG) der jeweiligen Versicherung. Für die ganzen Kalendermonate der Beschäftigung gelten die monatlichen BBGs. Belegt der Anfang oder das Ende der Beschäftigung nur 15 Tage eines Kalendermonats, gelten die Hälften der monatlichen BBGs, belegt der Anfang oder das Ende nur 1 Tag, gelten die Dreißigstel der monatlichen BBGs. Die Höhe der BBGs werden also auf den Tag der Beschäftigungsdauer genau abgerechnet.

Oder wir gehören zum großen Rest der ca. 13.000 bis 18.000 Schauspieler*innen. Dann wird es arg kompliziert. Als solche haben wir …

… kurz befristete Anstellungen, die eine Woche und länger dauern:

Das gilt überwiegend für Gastengagements am Theater oder für mittlere bis große Rollen bei Dreharbeiten. Auch in diesen Fällen zahlen wir wie alle anderen normalen Angestellte Pflichtbeiträge in die Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung mit Beitragsbemessungsgrenzen (BBGs), deren Höhe auf den Tag der Beschäftigungsdauer genau abgerechnet werden. Wir sind wieder in der normalen Personengruppe 101.

Das Problem ist nur, dass wir dazwischen ständig Versicherungslücken haben. Dazu erledigen wir viele Vor-, Zusatz- und Nachbereitungen und haben Standby-Zeiten. Beides liegt zumeist im „Schatten“ der Aufmerksamkeit der Arbeitgeber*innen und wird von ihnen nicht für unsere Beschäftigungszeit berücksichtigt. Diese Lücken und unversicherten „Schattentage“ summieren sich im Laufe der Zeit und verhindern so unseren Anspruch auf Arbeitslosengeld sowie eine ordentliche Rente im Alter.

… kurze befristete Anstellungen, die unter einer Woche lang dauern:

Synchronjobs sind meistens an einem Tag erledigt, aber auch kleinere Dreh-Rollen können unter einer Woche bemessen sein. Das sind sogenannte unständige Beschäftigungen.

Wird bei mir der betreffende Kalendermonat auch ansonsten von Anstellungen geprägt, die kürzer als eine Woche sind, gelte ich in dem Moment als „berufsmäßig unständig“ und gehöre zur Personengruppe 118. Das trifft vor allem bei Synchronschauspieler*innen zu. Für die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung werden Pflichtbeiträge fällig, die kaum gekappt werden. Denn für diese Versicherungen gelten immer die Beitragsbemessungsgrenzen (BBGs) des ganzen Kalendermonats – auch wenn die tatsächliche Beschäftigungsdauer unter einer Woche, vielleicht nur einen Tag dauert. In die Arbeitslosenversicherung wird in dem Fall nichts gezahlt. Wir können so keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld erringen. Auf der anderen Seite behalten wir den Krankenversicherungsschutz noch mindestens drei Wochen nach der letzten berufsmäßig unständigen Beschäftigung.

Wenn stattdessen solch unständige Beschäftigungen mein Berufsleben im betreffenden Kalendermonat nicht dominieren, weil ich ansonsten noch andere Dreharbeiten habe, oder am Theater spiele – länger als eine Woche –, oder selbstständig mein eigenes Programm aufführe, gelte ich in dem Moment als „nicht berufsmäßig unständig“ und gehöre zur Personengruppe 117. Für diese nicht berufsmäßig unständige Beschäftigung zahle ich zwar ungebremst in die Rentenversicherung, weil für sie die Beitragsbemessungsgrenze (BBG) des ganzen Kalendermonats gilt. Aber für die Kranken-, Pflege- und auch die Arbeitslosenversicherung werden die BBGs auf die einzelnen unständigen Tage reduziert und entsprechend geringe Beiträge fällig.

„Berufsmäßig“ bezieht sich also nicht auf mein Berufsbild, hinterfragt nicht, inwieweit ich schauspielerisch unterwegs bin, sondern ob ich im betreffenden Kalendermonat berufsmäßig überwiegend Beschäftigungen unter eine Woche habe.

Die hohen Rentenbeiträge bei unständigen Beschäftigungen sind gut für meine spätere Rente, sorgen aber auch für hohe Abzüge von der Bruttogage.

… selbstständige Engagements:

Vor allem in der freien Theaterszene können wir Schauspieler*innen auch selbstständig tätig sein. Nämlich dann, wenn sich unsere schauspielerische Tätigkeit untrennbar etwa mit Regie-, Autorenschaft-, Unternehmer-Aufgaben verbunden ist und uns niemand Weisungen geben kann, wo und wann wir unserer Arbeit nachkommen müssen. Wenn diese selbstständigen Tätigkeiten künstlerisch und nicht nur vorübergehend sind, müssen wir uns über die Künstlersozialkasse (KSK) pflichtversichern. Die KSK organisiert für uns die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung. Wir haben aber keinen Versicherungsschutz bei Arbeitslosigkeit und bei Unfällen.

… schein-selbstständige Engagements:

Leider arbeiten nicht wenige Schauspieler*innen von uns an kleinen Bühnen schein-selbstständig. Das heißt, wir werden von unseren Arbeitgeber*innen regelwidrig wie Selbstständige behandelt, obwohl wir bei ihnen (unselbstständig) beschäftigt sind. Wird die Künstlersozialkasse (KSK) darauf aufmerksam, macht sie uns Ärger mit der Folge, dass sie uns nicht versichert und wir zwischen allen Stühlen landen.

… und jede Menge Probleme:

Unsere Versicherungsverläufe sind also sehr lückenhaft, oft überlappend, sehr verworren und sehr fehleranfällig. Dadurch ergeben sich erhebliche Nachteile bei der sozialen Absicherung im Falle von Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Arbeitslosigkeit, Berufsunfähigkeit und im Rentenalter.