Time Concept

Was lange währt …

Heinrich Schafmeister
11. März 2022

BFFS hat sich mit ARD, Degeto und der Produzentenallianz auf Gemeinsame Vergütungsregeln geeinigt

Nach 7 Jahren, 4 Monaten, 1 Woche, 2 Tagen – und um ganz genau zu sein – 22 Stunden sowie 37 Minuten wurde das historische Ziel erreicht. Zum ersten Mal wurde mit öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten urheberrechtliche begründete Folgevergütungen zugunsten der für fiktionale Filme bedeutenden Gruppe der Schauspieler*innen vereinbart.

Am Mittwoch, dem 8. Oktober 2014 um 14:00 Uhr hatte der Bundesverband Schauspiel seine erste Sondierungsbegegnung in kleiner Runde mit Entscheidungsträgern des BR. Es folgten unzählige Sitzungen in unterschiedlichen Konstellationen. Mindestens drei Mal wurden die Verhandlungen abgebrochen und in anderen Gesprächsformaten wiederbelebt. Wahrlich, für diese steinige Gipfelbesteigung musste der Bundesverband Schauspiel den viel beschworenen langen Atem in Sauerstoffflaschen mit sich schleppen. Endlich, am 18. Februar 2022 um 12:37 Uhr stieg weißer Rauch auf: Der BR informierte den Bundesverband Schauspiel, dass nicht nur alle ARD-Gremien, sondern auch alle ARD-Intendant*innen dem ausgehandelten Vertragsentwurf zur „BFFS-ARD-Schauspiel-GVR – 90-Minüter“ zugestimmt hätten. Der Bundesverband Schauspiel, die Degeto und die Produzentenallianz hatten schon zuvor ihr OK gegeben.

Sicher, unsere Verträge für Folgevergütungen mit den Kinoproduzenten, mit dem Privatsender ProSiebenSat.1, mit den Verleihern Constantin Film und Studiocanal über Synchronarbeiten und schließlich mit dem Global Player Netflix, waren jeder für sich genommen nicht zu unterschätzende Fortschritte für uns Schauspieler*innen. Aber die öffentlich-rechtlichen Sender sind immer noch die mächtigsten Platzhirsche in der deutschen Film- und Fernsehbranche. Ein Vertrag mit ihnen war insofern die größte Herausforderung und ist jetzt das eigentliche Meisterstück für unseren immer noch jungen Bundesverband Schauspiel.

Welche Gemeinsamen Vergütungsregeln (GVR) wurden beschlossen?

<strong>Der neue „BFFS-ARD-Schauspiel-GVR – 90-Minüter“-Vertrag regelt die Zahlung von Folgevergütungen an uns Schauspieler*innen.</strong>

Bisher hatten wir Schauspieler*innen unsere Nutzungsrechte – buyout – über die Produktionsfirmen an die ARD-Rundfunkanstalten übertragen, ohne dass diese jemals verpflichtet waren, für die erfolgreiche Auswertung unserer Leistungen irgendwelche Folgevergütungen an uns zahlen zu müssen. Nur einige glückliche Hauptrollenspieler*innen – z. B. Tatort- oder Polizeiruf-Kommissar*innen – stehen im direkten Vertragsverhältnis mit den Rundfunkanstalten und haben demnach ein Recht auf Wiederholungshonorare, während der Rest unserer Kolleg*innen all die Jahre leer ausgingen. Seit Gründung des Bundesverband Schauspiel im Jahre 2006 war es unser Bestreben, diesen unhaltbaren Zustand zu beenden.

Die neue BFFS-ARD-Schauspiel-GVR – 90-Minüter regelt nun Folgevergütungen zu unseren Gunsten für Spielfilme, Reihen oder Mehrteiler, die im Auftrag der ARD-Anstalten bzw. Degeto hergestellt und von ihnen erfolgreich ausgewertet, sprich, sehr oft gesendet werden.

<strong>Dem ausgehandelten ARD-Folgevergütungsmodell liegt ein Punktesystem zu Grunde.</strong>

Die BFFS-ARD-Schauspiel-GVR – 90-Minüter legt fest, dass die ARD-Rundfunkanstalten mit unserer ursprünglichen Gage in der Regel 420 Punkte, in Sonderfällen 180 Punkte erwerben. Mit jeder Ausstrahlung verringert sich die Punktezahl mehr oder weniger – je nach Attraktivität des ausstrahlenden Senders und der Sendezeit.

Wird beispielsweise ein Tatort im Hauptabendprogramm (mit dem Faktor 10) im Ersten Programm (mit dem Faktor 10) gesendet, werden 10 × 10 = 100 Punkte vom Punktekontigent abgezogen. Läuft der gleiche Tatort um 3 Uhr in der Nacht (mit dem Faktor 1) in einem Dritten Programm (mit dem Faktor 1,5) schrumpft die Punktezahl nur um 1 × 1,5 = 1,5 Punkte.

<strong>Wenn die ARD-Rundfunkanstalten das Punktekontigent einer bestimmten Produktion aufgebraucht haben und weitere Ausstrahlungen wünschen, müssen sie die entsprechenden Punkte nachkaufen, das heißt, uns Schauspieler*innen Folgevergütungen zahlen.</strong>

Dieser Punkte-Nachkauf wird wieder über die vom Bundesverband Schauspiel eigens für solche Zwecke gegründete deska Deutsche Schauspielkasse abgewickelt. Damit hat die deska neben der Verteilung …

  • der Kinoerlösbeteiligungen an alle Filmkreative,
  • der Netflix-Folgevergütungen an alle Filmkreative,
  • der ProSiebenSat.1-Folgevergütungen an uns Schauspieler*innen
  • der Verleih-Erlösbeteiligungen der Constantin Film und der Studiocanal an Synchronkreative

… nun eine weitere große Aufgabe:

  • Die Verteilung der ARD-Folgevergütungen an die Schauspieler*innen, die bei den Produktionen, für die nun Punkte nachgekauft werden, mitgewirkt haben.

Der Punkte-Nachkauf für eine Produktion wird einmal im Jahr abgerechnet und bildet die Gesamtsumme, die dann von der deska an alle berechtigten Schauspieler*innen grundsätzlich im Verhältnis ihrer Drehtagsmengen verteilt wird. Die ARD wird sich an den Verwaltungskosten der deska beteiligen, sie aber nicht vollständig tragen.

<strong>Die Gesamtsumme der Folgevergütungen wird nicht mit den Wiederholungshonoraren der Hauptrollenspieler*innen verrechnet, sondern in voller Höhe nur unter all denjenigen von uns aufgeteilt, die keinen Anspruch auf Wiederholungshonorare haben.</strong>

Der Bundesverband Schauspiel war einerseits sehr darauf bedacht, nicht die günstigen Vereinbarungen der Hauptrollenspieler*innen anzutasten, nach denen sie ein Recht auf die bisherigen Wiederholungshonorare haben. So gilt die neue BFFS-ARD-Schauspiel-GVR – 90-Minüter ausschließlich für diejenigen von uns, die keinen Anspruch auf Wiederholungshonorare haben. Für diejenigen, die einen direkten Arbeitsvertrag mit einer ARD-Anstalt und einen dementsprechenden Wiederholungshonorare-Anspruch haben, ändert sich nichts. Andererseits – das war dem Bundesverband Schauspiel genauso wichtig – werden die Wiederholungshonorare in keiner Weise bei der Gesamtsumme der Folgevergütungen in Abzug gebracht. Diese Gesamtsumme wird allein an die Kolleg*innen verteilt, die keinen Anspruch auf Wiederholungshonorare haben.

<strong>Der Punkte-Preis spiegelt die Wertigkeit der schauspielerischen Leistung wider im Vergleich zu den Leistungen der anderen kreativen Gewerke.</strong>

Beim Überschreiten des 420-Punktekontigents kostet jeder nacherworbene Punkt zugunsten der Schauspieler*innen 130 €. Das sind einerseits 10 € mehr als der Punkte-Preis von 120 € für die Gewerke Drehbuch und Regie. Andererseits sind diese 130 € allein für den Teil der Schauspieler*innen vorgesehen, die weniger prominent besetzt sind als die Hauptrollenspieler*innen, die bereits Wiederholungshonorare beziehen. Würden diese Wiederholungsgelder zu den nun dazukommenden Folgevergütungen aufgerechnet, ergäbe sich ein Punkte-Preis von ca. 150 € bis 200 €. Mit anderen Worten: Der Punkte-Preis von 130 € für einen Teil des Schauspiel-Gewerks passt in etwa zu den Verteilverhältnissen, wie sie auch zwischen den Gewerken Regie und Schauspiel bei der Kinoerlösbeteiligung oder bei den Netflix-Folgevergütung herrschen.

<strong>Unser Bundesverband Schauspiel konnte eine 14-jährige Rückwirkung für den Anspruch auf Folgevergütungen durchsetzen.</strong>

Alle „Alt“-Produktionen, die nach dem 01.01.2008 das erste Mal ausgestrahlt und seitdem auf den ARD-Kanälen so oft wiederholt wurden, dass sie nach den Maßstäben der jetzt vereinbarten GVR die Erfolgsmarke erreicht haben, werden Folgevergütungen an die mitwirkenden Schauspieler*innen auslösen. Der Bundesverband Schauspiel rechnet mit einer Ausschüttungswelle in siebenstelliger Höhe.

<strong>Allerdings und zum Glück: Die Folgevergütung für die Nutzungen der fiktionalen Auftrags-Filme, -Reihen und -Mehrteiler in der ARD-Mediathek bleiben vorläufig ungeregelt.</strong>

Zur ARD-Mediatheken-Nutzung ist in der gegenwärtigen Situation keine Einigung möglich. Jedenfalls nicht in einem für den Bundesverband Schauspiel akzeptablen Rahmen.

Mit den Gewerken Regie und Drehbuch verfährt die ARD so: Für den Nutzungszeitraum in der ARD-Mediathek von sechs (!!!) Jahren wird einer Produktion pauschal nur der Verbrauch von 20 Punkten zugebilligt. Wird die Produktion in den sechs Jahren mehr als 400.000 Mal abgerufen, kommt je angefangener 100.000 Abrufe noch 1 Pünktchen hinzu.

Das sind Peanuts.

Die ARD argumentiert gegenüber den Kreativverbänden, die ARD-Mediathekennutzung sei nur eine unbedeutende und zu vernachlässigende Begleiterscheinung der linearen Nutzung im Fernsehen. Diese Darstellung steht aber im krassen Widerspruch zu den Äußerungen anderer ARD-Verantwortlichen, die gegenüber der Öffentlichkeit die Mediatheken-Erfolge in den höchsten Tönen loben und tönen, welch immense Bedeutung die Mediathekennutzung für die ARD hätte.

Diese Aussagen passen nicht zusammen und bilden keine Basis für eine Mediatheken-Einigung, die bei den Kreativen – in diesem Fall bei uns Schauspieler*innen – Vertrauen schaffen könnte. Insofern ist der Bundesverband Schauspiel zufrieden, durchgesetzt zu haben, dass die Mediatheken-Frage in der jetzigen BFFS-ARD-Schauspiel-GVR – 90-Minüter ganz ausgeklammert wurde und damit noch völlig offen ist. Immerhin gibt es den Willen beider Seiten, diese Baustelle so bald wie möglich in Angriff zu nehmen.

Den größten Teil des Weges haben wir noch vor uns!

Auch andere wichtige Bereiche sind bisher noch nicht ausgehandelt. Was ist z. B. mit Folgevergütungen für geförderte Spielfilme? Was ist mit Hochschulfilmen? Mit Kinofilmen, die auf ARD-Kanälen ausgestrahlt werden?

Ja, der erste Vertrag mit der ARD zu Folgevergütung war eine Herkulesaufgabe, kam der Erstbesteigung des Mount Everest gleich und kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Aber mit den Öffentlich-Rechtlichen insgesamt ins Reine zu kommen, bedarf in Wahrheit der Überquerung des ganzen Himalaya-Massivs. Insofern dürfen wir jetzt – ruhig mit einer Prise Stolz – sagen: Was lange währt, wurde … so weit so gut. Aber den größten Teil des Weges haben wir noch vor uns.