20231024 Wolkige Ffg Debatte

Filmförderung fördert unsere Selbstausbeutung …

Heinrich Schafmeister
24. Oktober 2023

… wenn Tarifbindung keine Voraussetzung ist

Unsere Belange werden bewusst außenvorgehalten

Seit 17 Jahren gibt es die Schauspielgewerkschaft, den Bundesverband Schauspiel (BFFS). Und seit 17 Jahren liegt er (ver.di noch um einige Jahre länger) der Politik gebetsmühlenartig in den Ohren, dass endlich im Filmfördergesetz (FFG) die Tarifbindung als Voraussetzung für den Erhalt von Filmfördermitteln verankert wird – vergebens. Stattdessen führen seit Jahren die Lobbyisten der Filmförderempfänger*innen mit den Kulturpolitiker*innen des Bundes eine in unseren Augen etwas abgehobene Debatte darüber, welche Gelder in welchem Umfang auf welchen Wegen in welche Taschen fließen sollen, wer von den begünstigten Gruppen in welcher Stärke in welchen Entscheidungsgremien sitzen dürfen und neuerdings, ob Streamern eine Investitionsauflage gemacht werden soll und in welcher Höhe. Laber-Rhabarber …

Aber die Arbeits- und Lebensbedingungen derjenigen, die Filme am Drehort schaffen und sich deswegen zurecht Filmschaffende nennen dürfen, spielen in diesem erlauchten Kreis keine Rolle. Und wenn die zuständigen Gewerkschaften ver.di und BFFS im Sinne der Filmschaffenden an die Verantwortung erinnern, welche mit dem Empfang öffentlicher Gelder anständigerweise einhergehen müsste, und die Tarifbindung als selbstverständliche Voraussetzung für solche Fördermittel in die Runde werfen, wird dort dieser Einwand als spießig deplatziert empfunden und von oben herab weggelächelt.

Zwei Drittel der Filmförderung für NICHT tarifgebundene Kinoproduktionen

Werfen wir einen Blick auf die Projektförderung der FFA von 2019 bis heute. Von den 184 Filmprojekten, die in dem Zeitraum von der FFA Projektförderungen erhalten haben, waren nur 51 tarifgebunden (≙ 28%). Die restlichen 133 waren NICHT tarifgebunden (≙ 72%). Von den rund 72 Millionen Euro FFA-Projektförderung flossen nur 24 Millionen Euro in tarifgebundene Produktionen (≙ 33%), aber 48 Millionen Euro in NICHT tarifgebundene (≙ 67%) – Hallo? Zwei Drittel der Filmförderung für NICHT tarifgebundene Kinoproduktionen?

Nun kann es durchaus sein, dass bei einigen der NICHT tarifgebundenen Kinoprojekte trotzdem tarifgemäße oder bessere Bedingungen vorzufinden waren. Diesen Produktionsfirmen täte es also nicht weh, wenn die Filmförderung an Tarifverträge gebunden wäre.

Es ist allerdings kein Geheimnis: Gerade bei Kinoproduktionen, gerade bei vielen NICHT tarifgebundenen unter ihnen überwiegen selbstausbeuterische Verhältnisse. Da werden unterirdische Gagen bezahlt, oder gleich ein Großteil der Gagen zurückgestellt. Da finden – an allen Arbeitszeitregeln vorbei – die längsten Drehtage statt, bis wortwörtlich der Arzt kommt.

Wir brauchen keinen „Weckruf“, keinen investigativen Spiegelartikel über Exzesse am Set, um zu wissen, dass vor allem bei Kinoproduktionen die raubeinigsten Verhältnisse herrschen, die um einiges schlimmer sind als bei den viel stärker tarifgebundenen Fernsehproduktionen, die auch nicht unbedingt wie im Streichelzoo sind. Bitte nicht missverstehen: Machtmissbrauch und gemeingefährliche Verstöße gegen Arbeitszeitgesetze sind nicht entschuldbar, auch nicht durch mangelnde tarifliche Mindeststandards. Aber erfahrungsgemäß kommt nun mal eins zum anderen.

Was ist die Aufgabe der Politik?

Nun hat unsere Kulturstaatsministerin Claudia Roth Anfang des Jahres acht Punkte zum FFG angeregt. Mit der Novellierung im Jahre 2025 solle der große Wurf kommen. Und unter Punkt sieben will sie Filmförderung sogar an „soziale Standards“ koppeln, an „Geschlechtergerechtigkeit“ und „Diversität“.

Das ist gut und schön, das ist auch überfällig, aber noch längst nicht nachhaltig. Denn Ihr Ruf nach „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ klingt schön, ist aber nichts wert, wenn Filmschaffende z. B. bei Gagenrückstellung auf den größten Teil ihres Lohns verzichten müssen. Und wenn bei einem Kinofilm die Frauen (wie die Kolleg*innen der anderen Geschlechter) Tag für Tag 16 bis 18 Stunden drehen müssen, dann denken unsere Kolleginnen nicht zuerst an „Geschlechtergerechtigkeit“, sondern an ihre Gesundheit.

Es ist die Aufgabe der Politik, sich an den sozialen Mindeststandards zu orientieren, wie sie von den Sozialpartnern ausgehandelt und als Rechtsnormen in Tarifverträgen festgeschrieben werden. Tarifverträge haben laut unseres Grundgesetzes einen hohen verfassungsrechtlichen Rang und die Politik ist bei ihrer Gesetzgebung – in diesem Fall der Novellierung des FFG – gut beraten, dieser besonderen Bedeutung von Tarifverträgen Rechnung zu tragen.

An den Sozialpartnern vorbei nach eigenem Gusto einige wenige soziale Standards herauszupicken – wie Geschlechtergerechtigkeit und Diversität – und sie als genügend zu erachten und das war’s dann …wird dieser Aufgabe nicht gerecht.

Und bitte, komme niemand mehr mit der abgenudelten Platte, die Filmförderanstalt (FFA) könne nicht Polizei spielen, könne nicht kontrollieren, ob Tarifverträge eingehalten würden. Nein, das soll sie auch nicht. Das ist die Aufgabe unserer Gewerkschaften. Aber der FFA wird inzwischen durchaus zugetraut und scheint nicht überfordert zu sein, die Einhaltung der Mindeststandards ökologisch nachhaltigen Drehens zu überwachen. Denn im § 59a des FFG steht: „Förderhilfen gemäß § 59 werden nur gewährt, wenn bei der Herstellung des Films wirksame Maßnahmen zur Förderung der ökologischen Nachhaltigkeit getroffen werden.“ Genauso bündig könnte auch die Tarifbindung im FFG verankert werden. Mehrarbeit für FFA wäre damit allerdings nicht verbunden.

Es ist völlig verrückt!

Auf der einen Seite will diese Regierung mit einem Tariftreuegesetz die Vergabe öffentlicher Gelder von einer Tarifbindung abhängig machen. Auf der anderen Seite wird wieder ein Entwurf eines Filmfördergesetzes für das Jahr 2024 vorgelegt, bei dem absehbar wieder die Tarifbindung keine Rolle spielen und wieder nur eines sicher sein wird:

Filmförderung! … fördert! … die Selbstausbeutung! … der Filmschaffenden!

Filmförderung ohne Nachhaltigkeit ist keine Filmförderung!

Nachhaltigkeit ohne soziale Mindeststandard für diejenigen, die die Filme schaffen, ist nicht nachhaltig!

Und das aller Mindeste an sozialen Mindeststandards steht nun mal in Tarifverträgen!

Ergo: Im Filmfördergesetz (FFG) muss endlich verankert werden, dass Filmförderungen aus öffentlicher Hand nur an solche Filmproduktionen vergeben werden, die sich verpflichten, an die Mindeststandards des Tarifvertrags für auf Produktionsdauer beschäftigte Film- und Fernsehschaffende (TV FFS) zu halten.