Wieder einmal wurde der traurige Beweis angetreten: Ohne Bündelung aller gewerkschaftlichen Kräfte, ohne tarifliche Einbeziehung des Bundesverbands Schauspiel (BFFS), ohne den frischen Wind seiner knapp 3.000 Schauspielerinnen und Schauspieler, bleibt unser Berufsstand bei Verhandlungen um den NV Bühne völlig unterrepräsentiert und im realen Theaterbetrieb auf der Strecke. Die jüngste NV-Bühne-Novellierung, die nur zwischen GDBA, VDO einerseits und Bühnenverein andererseits ausgehandelt wurde, ist dafür das beste Beispiel.
Dort wurde unter anderem vereinbart, eine Mindestgage für Gäste in Höhe von 200 Euro einzuführen. Das bedeutet gleich in doppelter Weise eine grundlegend falsche Weichenstellung – zu Lasten von uns Schauspielerinnen und Schauspieler.
Die Mindestgage passt nicht zu uns!
Der erste Systemfehler heißt „Mindestgage“, betrifft schon seit langem das spielzeitverpflichtete Schauspielensemble und wird nun auch bei Schauspielgästen sein Unwesen treiben.
Schauspielerinnen und Schauspieler lassen sich nicht über einen Kamm scheren und ihre Honorierung muss sich im Laufe des künstlerischen Reifeprozesses immer deutlicher von der am Anfang ihrer Laufbahn abheben. Eine erfahrene Schauspielpersönlichkeit, die bereits 40 Berufsjahre durch Dick und Dünn kämpfend das Publikum erobert hat, mit der gleichen mickrigen Mindestgage abspeisen zu dürfen, die allenfalls für Berufsanfänger angemessen erscheint, zeugt von der Respektlosigkeit gegenüber der schauspielerischen Arbeit und ist ein grundsätzlicher Makel des NV Bühne.
Darum hat unser Bundesverband Schauspiel mit seinem Tarifvertrag für Schauspielerinnen und Schauspieler bei Dreharbeiten eine sogenannte „Einstiegsgage“ durchgesetzt. Diese Einstiegsgage schützt und prägt die Gagen der Berufseinsteiger. Sie schützt aber auch die wohlverdienten, höheren Gagen der „älteren Hasen“. Denn die Einstiegsgage erweckt – im Gegensatz zum Begriff der „Mindestgage“ – nicht den falschen Eindruck, eine angemessene Vergütung für alle Schauspielerinnen und Schauspieler von jung bis alt darzustellen.
Mit In-Kraft-Treten der NV-Bühne-Novellierung wird die unheilvolle Philosophie der Mindestgage nun auch die individuelle Verhandlungsmacht der Schauspielgäste schwächen. Wir werden bald erleben, dass Schauspielgäste bei ihren Gagenverhandlungen unter Druck geraten und ihre Vorstellungsgagen herabgemindert werden und zwar ausdrücklich mit Verweis auf den NV Bühne und der dort festgeschriebenen Mindestgage von 200 Euro.
Eine starre Untergrenze für Vorstellungsgagen ist fatal!
Der zweite Systemfehler ist neu und besteht darin, dass diese Mindestgage pro Vorstellung für Gäste auf einen starren Betrag von 200 Euro festgezurrt wurde – völlig unabhängig von der Anzahl der geplanten Vorstellungen im geplanten Vertragszeitraum der Gäste.
Ja, wir kennen viele Kolleginnen und Kollegen, die froh wären, wenn ihnen als Gast an Theatern, an denen sie täglich spielen, zumindest 200 Euro pro Vorstellung zustehen würden. Bei wöchentlich 6 Vorstellungen ginge der Gast monatlich immerhin mit ca. 4.800 Euro nach Hause und könnte davon noch etwas Reserven für die Lücke bis zum nächsten Engagement zurücklegen. Aber die Mindestgagenregelung findet in der Regel gerade an diesen Bühnen keine Anwendung, weil das Ensuitespielen eigentlich nur an Privattheatern üblich ist. Genau für diese Häuser gilt der NV Bühne eben nicht und für die freie Szene sowieso nicht.
Die Mindestgage pro Vorstellung wird sich auf die Gage der Schauspielgäste an Staats-, Landes- und Stadttheatern auswirken – und zwar zum Nachteil. Denn dort wird „repertoire“ gespielt. Dort werden Stücke über eine ganze Spielzeit verstreut angesetzt. Dort werden Schauspielgäste unter Vertrag genommen a) für die Phase der Stückproben und b) für großräumige Phasen, vielleicht ganze Spielzeiten, in denen die einzelnen Vorstellungen mehr oder weniger weit auseinanderliegen.
Die Gagen dieser Vorstellungen sind meist die einzige Einnahmequelle der Schauspielgäste. Mehrere Gastengagements miteinander zu vereinbaren, fällt schwer, weil jedes Theater ungern auf seine alleinige „Priorität“, also sein durchgehendes Weisungsrecht verzichtet. Und das verbaut den Schauspielgästen auch noch die Möglichkeit, in den vorstellungsfreien Zeiten, notfalls Arbeitslosengeld 1 zu beanspruchen. Denn in diesen spielfreien Zeiten sind Schauspielgäste laut der Bundesagentur für Arbeit nicht arbeitslos, sondern befinden sich in einem sogenannten „Abrufrechtsverhältnis“ zum Theater, also in einem ununterbrochenen Beschäftigungsverhältnis.
Während Schauspielgäste im Monat vielleicht nur ein oder zwei Vorstellungen haben, also nur mit 200 oder 400 Euro – Brutto! – auskommen müssen, können Theater umgekehrt flächendeckend über diese Schauspielgäste verfügen und ersparen sich durch deren billigen Einsatz möglicherweise „feste“ Ensemblemitglieder mit deutlich höheren Monatsgagen.
Mit anderen Worten: Eine Mindestgage pro Vorstellung für Gäste, die ohne Rücksicht auf das Verhältnis, wieviel Vorstellungen in welcher Vertragszeit stattfinden sollen, auf einen starren Betrag – wie im Falle des NV Bühne auf 200 Euro – tariflich festgelegt wird, schadet uns als Schauspielgäste und schafft zusätzliche Anreize, uns als spielzeitverpflichtete Ensemblemitglieder nicht wieder zu verlängern, überhaupt Ensembles Schritt für Schritt abzubauen.
Oder umgekehrt ausgedrückt: Zielführend wäre gewesen, eine Gagenuntergrenze für Gäste flexibel zu tarifieren und zwar abhängig von der jeweiligen Anzahl der Vorstellungen im jeweiligen Vertragszeitraum.
Lasst uns Schauspielerinnen und Schauspieler beim NV Bühne mitreden!
Diese in doppelter Weise falsche Weichenstellung der NV-Bühne-Novellierung hätte der Bundesverband Schauspiel gerne verhindert – und womöglich verhindern können, wenn er, wie er es gefordert und der GDBA angeboten hat, zu den Verhandlungen hinzugezogen worden wäre. Denn die Arbeitnehmerseite wäre durch die Teilnahme des Bundesverbands Schauspiel entscheidend gestärkt gewesen.
„Hätte“, „wäre“ bringt nichts. Die NV Bühne Novellierung ist nun einmal ohne den Bundesverband Schauspiel beschlossen worden. Lasst uns lieber in die Zukunft schauen:
Bereits nächste Woche, am 22. und 23. Mai, findet in Dortmund der Genossenschaftstag der GDBA statt. Darum appelliert der Bundesverband Schauspiel mit seinen 3.000 Schauspielerinnen und Schauspielern eindringlich sowohl an die Vorstände als auch an alle Mitglieder der GDBA: Lasst uns Schauspielerinnen und Schauspieler beim NV Bühne mitreden. Macht auf diesem Genossenschaftstag den Weg frei für eine breite Zusammenarbeit aller Gewerkschaften im Bühnenbereich. Das Angebot des Bundesverbands Schauspiel steht: Er ist fest entschlossen, die Tarifgemeinschaft GDBA und VDO zu unterstützen und künftig an den Tarifverhandlungen zum NV Bühne teilzunehmen – zum Wohle der Schauspielerinnen und Schauspieler, aber auch zum Wohle aller Bühnenangehöriger.
Heinrich Schafmeister, 1957 im Ruhrgebiet geboren, dort sozialisiert, wurde Straßen- und Rockmusiker, studiert an der Folkwang-Hochschule Schauspiel und arbeitet seit 1984 als Schauspieler. Er war seit Gründung des BFFS 17 Jahre lang dort im Vorstand zuständig für Sozialpolitik und Tarifverhandlungen und kümmert sich auch nach seinem Ausscheiden aus dem Vorstand als Bevollmächtigter um Tarifverhandlungen.